Stichwort Heimatrendite
Ein antifaschistischer Horrorfilm: »Schlaf« nimmt sich mit böser Freude den rechtsoffenen, spezifisch deutschen Dorffaschismus vor
»Im Moment braucht man vielleicht noch ein wenig Fantasie, aber wenn Sie, wie ich, förmlich eins sind mit dem Projekt, dann sehen Sie nur die Möglichkeiten«, sagt der alte weiße Mann, während er eine junge Frau stolz durch sein Hotel »Sonnenhügel« führt. Es ist ein Provinzhotel, derzeit ziemlich verlassen, jedoch: »Noch sind wir ein Saisonbetrieb, aber in zwei, drei Jahren, maximal fünf, sind wir ausgebucht, das ganze Jahr über. Unser Investitionsmodell ist visionär, Stichwort Heimatrendite. Das ist von mir.«
Was wie aus einem Werbefilm einer urbanen Start-up-Klitsche klingt, kommt aus einem Mann gepullert, der von seinem ersten Auftritt an konsequent scheißfreundlich, unsympathisch und hemdsärmelig gezeichnet wird, dass er tatsächlich aus jeder AfD-Ortsgruppe in jedem beliebigen deutschen Provinznest stammen könnte. »König Otto« wird der Mann im Dorf genannt und von August Schmölzer präzise als ebenso größenwahnsinniger wie spießig-durchschnittlicher Dorfotto dargestellt. In dieser Figur laufen die Fäden und Themen des Films zusammen: toxische Männlichkeit, Gewalt gegen Frauen, Nationalstolz und der Faschismus, der in Träumen von »Heimatrenditen« und Ähnlichem immer lauert. Regisseur Michael Venus, der mit »Schlaf« sein Spielfilmdebüt feiert, muss kaum mehr machen, als diesem Provinzhorror die entsprechenden Bilder zu entlocken.
Eigentlich hat die Flugbegleiterin Marlene (Sandra Hüller) mit dem Hotel Sonnenhügel im fiktiven Dorf Stainbach nichts zu tun. Sie lebt allein mit ihrer erwachsenen Tochter Mona (Gro Swantje Kohlhof) im tristen Mehrfamilienhaus in Hamburg. Das Verhältnis von Mutter und Tochter hat vermutlich auch schon herzlichere Zeiten erlebt, und Marlene wird von wiederkehrenden Albträumen geplagt, über die sie ein Albtraum-Tagebuch führt. Als sie erkennt, dass der Ort ihrer nächtlichen Plagen, nämliches Hotel Sonnenhügel, tatsächlich existiert, mietet sie sich dort ein und fällt nach einem heftigen Albtraum in einen Stupor, also eine Art anhaltende komatöse Schockstarre. Tochter Mona besucht die Mutter im Krankenhaus und macht sich dann, ausgerüstet mit einigen der mütterlichen Traumaufzeichnungen, auf den Weg, um der Sache vor Ort nachzugehen. Auch sie wird von dem Hotelier-Ehepaar, bestehend aus König Otto und dessen sinistrer Frau, empfangen und auch Mona leidet bald an tiefen und heftigen Albträumen, die auf mehreren Traumebenen spielen und offenbar mit der Wachwelt und einem dunklen Geheimnis, das Mona und ihre Mutter persönlich betreffen, in Verbindung stehen.
Doch sie macht auch Bekanntschaft mit einigen der wenigen jungen Bewohnern des Dorfes, die etwas krampfhaft versuchen, der Ödnis so etwas wie Genuss und Rausch abzugewinnen. Doch auch sie stehen in Verbindungen zu Hotel und König Otto. So entwickelt sich eine Schnitzeljagd in einer Atmosphäre, die fast an die großartige Unbehaglichkeit von Filmen wie »The Lodge« oder »Hereditary« heranreicht.
Wo der Regisseur die Eiseskälte selbst wohlwollender menschlicher Beziehungen zum Grundton seiner Erzählung macht, werden die wenigen Ausbrüche aus dem deutschen Eisschrank zur Antithese der dörflichen Muffigkeit, und so macht der Film beinahe in Optimismus, wo es die Dorfjugend ist, die »den Nazis Drogen in den Schnaps« mischt und der deutschen Verdrängungskultur so etwas wie zaghaften Widerstand und Aufklärungswillen entgegensetzt.
Auch wenn das als Botschaft etwas zu plakativ ist und es sich der Film auch zu einfach macht, wenn er den herankriechenden Neofaschismus allein mit alternden Dorfmännern assoziiert, darf »Schlaf« getrost als gelungener Beitrag zur Welle neuerer Horrorfilme gezählt werden, die das Abgründige (auch) im Politischen finden. In diesem Fall in der Getriebenheit des deutschen Dorfpatriarchs, dessen Forderung nach einem Kampf gegen die Anerkennung von und Auseinandersetzung mit Schuld sich nicht nur auf die mörderische deutsche Vergangenheit richtet, sondern auch auf seine eigene: »Unser Stolz«, teufelt er bei einer Versammlung der Dorfgemeinschaft auf die begeisterten Zuhörer ein, »ist unsere Rüstung im Kampf gegen den Schuldkult«, und mit zunehmend hitleresker Gestik: »Und ich werde mich nicht schämen in meiner Rüstung.« Während sein jüngeres Ich im Gegenschnitt das Gas aufdreht. Kann es etwas Entsetzlicheres geben, als deutsche Heimatliebe?
»Schlaf«, schreibt Drehbuchautor Thomas Friedrich, »ist meine Antithese zum deutschen Heimatfilm. Der Film konfrontiert den Heimatfilm mit dem, was er verdrängt hat, dem Schrecken, der bedrückenden Ahnung um ein dunkles, schwermütiges Herz. Die Heimat trifft auf ihre eigene Natur und Geschichte, den Horror - Heimathorror.«
Dabei ist ein hochkarätig besetzter, wenn man so will antifaschistischer Horrorfilm entstanden, der das unselige Heimatgedöns ebenso mit dem vergangenen Nationalsozialismus, aktueller Männerbündlerei und dem hohldrehenden Hipster-Kapitalismus in Verbindung setzt und sich mit böser Freude den rechtsoffenen, spezifisch deutschen Dorffaschismus vornimmt.
»Schlaf«: Deutschland 2020. Regie: Michael Venus; Drehbuch: Thomas Friedrich, Michael Venus. Mit: Gro Swantje Kohlhof, Sandra Hüller, August Schmölzer, Marion Kracht. 102 Min.
Den Film gibt es als Video on Demand im »Salzgeber Club« und auf den Homepages vieler Kinos, die den Film sonst gespielt hätten.
Mehr Infos unter: salzgeber.de/schlaf
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