Transgression und Gewalt von gestern
Plattenbau. Die CD der Woche: »The Acid Lands« vom Opening Performance Orchestra
Seit 2006 fabriziert das Prager Opening Performance Orchestra an Laptops konzeptlastigen Krach. Ein die Nerven fordernder Noise, der sehr streng daherkommt und mit Vehemenz anknüpfen will an die transgressiven Stränge der musikalischen Avantgarde des letzten Jahrhunderts. In vielen Stücken und den Paratexten verweist das Quartett gerne auf John Cage und den italienischen Futurismus, von dem man sich vor allem die harsche Rezipientenansprache geborgt hat: Die Rechner produzieren auf maximale Zermürbung hin geschichtete, übersteuerte Flächen, Gekreische und andere Dissonanzen.
Die zweite Quelle, aus der hier geschöpft wird, ist japanische Noise-Musik. Die Zusammenarbeit mit Merzbbow, den Veteranen aus Tokio, war nur eine Frage der Zeit - 2018 war es dann so weit, mit dem angemessen anstrengenden Doppelalbum »Merzopo«. Die Selbstbeschreibung dieses immer wieder sehr kraftmeiernden Orchesters aus Prag fällt entsprechend aus: »No melody, no rhythm, no harmony - this is fraction music.«
Solche Brüche stehen auch im Zentrum von »The Acid Lands«, einer Kollaboration des Opening Performance Orchestra mit dem Bassisten und Produzenten Bill Laswell und Iggy Pop. Wieder geht die Musik von einem Text aus, allerdings nicht von einem Manifest oder ähnlichem, sondern von William S. Burroughs’ berühmten Romandebüt »Junkie« (1953 unter Pseudonym erschienen, damals noch unter dem Titel »Junk«) und dessen Spätwerk »The Western Lands«, dem letzten Teil der Red-Night-Trilogie (1987). 2014 wäre Burroughs hundert Jahre alt geworden. Zur Feier des runden Geburtstags führte das Orchestra damals auf einem Festival ein gut halbstündiges Stück auf, in das von dem tschechischen Dichter und Musiker Pavel Zajíček gelesene Burroughs-Texte eingewoben sind (nachzuhören auf der Website www.o-p-o.cz).
Für die jetzt erschienene Studioaufnahme von »The Acid Lands« hat Iggy Pop die Rolle des Erzählers übernommen, und er trifft die Tonalität von William S. Burroughs’ dunkler, trockener Stimme genau. Nur wirkt Pops Timbre voller, unverwüstlicher als das von Burroughs, der bei aller auratischen Präsenz immer so klang, als würde er bereits aus einem nicht weiter definierten Jenseits kommen, mit eigenen Gesetzen und eigener Moral.
Die Brüche, die für die Musik des Opening Performance Orchestra bestimmend sein sollen, werden hier vom Sound hergestellt, mit plakativen, aber effektiven Mitteln: Nachdem Burroughs beziehungsweise Iggy Pop sechs Minuten über ägyptische Gottheiten doziert hat, hört man Glasgeklirre und dann eine genretypische Distortion-Breitseite. Dahinter hat einer, wahrscheinlich Laswell, gar nicht mal unangenehme Drone-Schleifen gelegt. Es folgen Pistolenschüsse und Burroughs Stimme, als geisterhaftes Sample, die aus seiner frühen Kindheit erzählt. Dann wieder Krach.
Es braucht hier nur einige Signale, um das Arsenal der sich als grenzüberschreitenden verstehenden und inszenierenden Ästhetik abzurufen, spartenübergreifend: Literatur, Neue Musik, Noise, Pop. In Burroughs’ Leben und Werk sind radikaler Nonkonformismus, Intensitätssucht, Destruktivität, Härte und Queerness dauerpräsent.
Heute klingt das dann noch einmal anders als zur Zeit des Erscheinens der Texte, weil der Kontext wieder ein anderer ist und die Avantgarde heute ganz woanders ist als noch in den noise-seligen Neunzigern oder gar in den Sechzigern (wo sie ist, weiß ich allerdings nicht, vielleicht gibt es sie auch nicht mehr?). Das ganze Gemisch, das Opening Performance Orchestra, Laswell und Pop hier präsentieren, wirkt inzwischen historisch. Einfach weil die Verbindung von Transgression und Gewalt und Freiheit (für die nicht zuletzt auch Iggy Pop noch einsteht) heute anachronistisch wirkt. Was ja auch wieder ganz erleichternd ist.
Opening Performance Orchestra with Bill Laswell and Iggy Pop feat. William S. Burroughs: »The Acid Lands« (Sub Rosa/Alive)
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