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Fünf nach zwölf im Krankenhaus

In Teilen Sachsens gerät das Gesundheitssystem an seine Grenzen / Freistaat Spitzenreiter bei Infektionsquote

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Appell war ungewöhnlich und dramatisch: Mit ganzseitigen Anzeigen unter der Überschrift »Helfen Sie mit!« in Zeitungen des Landkreises Bautzen wandte sich die kreiseigene Oberlausitz Kliniken gGmbH an die Bürger im Kreis und rief zur Einhaltung der Vorsichtsregeln gegen Infektionen mit dem Corona-Virus auf. Die Pandemie gehe »mittlerweile ungebremst vonstatten«, heißt es. Dass eine solche bestehe und das Virus gefährlich sei, werde teilweise noch immer in Frage gestellt: »Wir in den Krankenhäusern erleben allerdings die harte Realität auf den Isolier- und Intensivstationen.«

Diese sind nicht nur in Bautzen, sondern auch im benachbarten Landkreis Görlitz faktisch voll belegt. Im Kreis Görlitz war von 29 Betten, die auf Intensivstationen der Krankenhäuser für Covid-19-Patienten zur Verfügung stehen, zeitweise nur noch eines frei. Gleichzeitig mussten bereits zehn Patienten in Kliniken jenseits der Landkreisgrenzen verlegt werden, so nach Dresden und Cottbus. Kapazitäten für Patienten, die an anderen Infektionskrankheiten wie Influenza, Noro- und Rotaviren erkranken, seien »derzeit nicht in ausreichendem Maße vorhanden«, erklärte der Landkreis. Reiner Rogowski, der Geschäftsführer der Oberlausitz Kliniken, sagte im Interview der »Sächsischen Zeitung« zur Lage in den Krankenhäusern, es sei »nicht mehr fünf vor zwölf, es ist um zwölf«. Die Sächsische Krankenhausgesellschaft erklärte, wenn es nicht gelinge, den »Zustrom« in die Intensivstationen zu bremsen werde man vor »existenziellen Entscheidungen« stehen. Die Lage sei »sehr ernst«.

Die beiden ostsächsischen Landkreise gehören neben dem Erzgebirgskreis seit Wochen zu den Corona-Hotspots im Freistaat und bundesweit; der Wert der Neuinfektionen je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen liegt stabil über der Grenze von 200, ab der Sachsens Regierung strengere Maßnahmen vorgab, darunter strengere Ausgangregeln, die im Fall von Görlitz ab Dienstag gelten. In dem Landkreis mit gut einer Viertelmillion Einwohnern wurden am Freitag 240 Neuinfektionen bestätigt; insgesamt waren zu dem Zeitpunkt 2516 Menschen aktuell infiziert. 127 Menschen sind im Zusammenhang mit Corona gestorben. Die 7-Tages-Inzidenz lag bei 401. In Bautzen (300 000 Einwohner) gab es am Freitag 220 Neuinfektionen und 6194 aktive Fälle; der Inzidenzwert lag bei 399. Es gab bisher 77 Todesfälle.

Gleichzeitig gelten beide Landkreise als Hochburgen des Corona-Protests. Seit Wochen versammeln sich Gegner der Hygienemaßnahmen sonntags entlang der Bundesstraße B 96 zum »stillen Protest«. Verbreitet werden Reichs- und Reichskriegsfahnen gezeigt. Auch im Alltag werden die Hygieneregeln nicht selten nur widerwillig, halbherzig oder gar nicht eingehalten. Politiker etwa der AfD, die in Ostsachsen ihre Hochburgen hat und bei Wahlen teils über 40 Prozent der Stimmen erhält, befeuern den Widerstand. Bei Krankenhauschef Rogowski stößt das auf Ärger und Unverständnis. »Wenn wir Demos sehen, die sich zu wahren Hotspots entwickeln«, sagte er im SZ-Interview, »und regionale Würdenträger durch die Gegend stiefeln und sagen: Das ist alles nicht so. Dann möchte ich jenen sagen: Ihr solltet langsam begreifen, dass es so ist.«

Die Einschätzung, dass die Lage ernst ist, wird indes weiter nicht von allen geteilt. Der Bürgermeister von Stollberg im Erzgebirge, Marcel Schmidt, erklärt beispielsweise, man werde erst noch sehen, »ob Corona mehr Opfer kosten wird, als schwere Grippewellen in den letzten Jahren forderten«; zudem könne man »nicht in jeder kommenden Grippewelle sämtliche Traditionen über Bord werfen«. Die Sätze finden sich in einer Erklärung zur Absage von Weihnachtsmarkt und Bergparade, die Schmidt mit erkennbarem Widerwillen und nur unter Verweis auf die Autorität des übergeordneten Landkreises bekannt gab. Corona sei »glücklicherweise nicht die Pest des Mittelalters«, heißt es darin auch: »An Corona sterben Menschen und zurzeit mehr als im Sommer. Aber solange es Weihnachten gab, haben die Menschen sich mit Naturkatastrophen, mit Krankheiten und Kriegen herumschlagen müssen.« Im Erzgebirge liegt der 7-Tage-Inzidenzwert bei 353. Der Landkreis hatte kürzlich in Anzeigen zur Einhaltung der Corona-Regeln gemahnt – mit dem Slogan, wenn es so weiter gehe, sei in der Region »bald Schicht im Schacht«.

Brenzlig ist die Lage aber nicht nur in Ostsachsen und dem Erzgebirge. Im Freistaat, in dem die Zahlen lange weit unter denen anderer Bundesländer lagen, wurden zuletzt 252 Infektionen je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen festgestellt, was der bundesweit höchste Wert ist. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte lange an die Eigenverantwortung der Bürger appelliert. Im Rathaus von Stollberg wird derweil angesichts von »Corona-Deutern und -Verordnungen« angemerkt, die Infektion sei für die meisten harmlos, und man könne nun mal nicht »jeder Minderheit alles recht machen«

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