- Politik
- Polizeigewalt
Franzosen wehren sich gegen Polizei
Demonstrationen gegen Gewalt der Sicherheitskräfte
Frankreich hat eine lange Geschichte der Polizeigewalt, die durch Videoaufnahmen belegt ist. Selbst Präsident Emmanuel Macron zeigte sich am Freitag schockiert über »beschämende« Aufnahmen von Polizisten, die einen schwarzen Musikproduzenten in seinem Pariser Studio zusammengeschlagen und rassistisch beleidigt hatten. Zuvor hatte es bereits massive Kritik an der Polizei wegen der gewaltsamen Räumung eines Flüchtlingslagers in Paris gegeben.
Die Proteste am Wochenende richteten sich gegen ein geplantes Gesetz, mit dem die französische Regierung bestimmte Foto- oder Filmaufnahmen von Polizisten unter Strafe stellen will. Das neue Gesetz über globale Sicherheit wurde bereits in erster Lesung in der Nationalversammlung angenommen. Mit dem Paragrafen 24 soll das Filmen und Fotografieren von Polizisten im Einsatz mit dem Ziel, sie im Internet zu diffamieren, unterbunden werden. Die Demonstranten forderten, diesen Paragrafen oder besser gleich das ganze Gesetz zurückzuziehen. »Da man niemandem ansieht, was er mit den Bildern vorhat, werden die Polizisten versuchen, vorbeugend jegliche Aufnahmen zu verhindern«, sagt Olivier Compagnon, der als freier Fotograf für verschiedene Zeitungen und Agenturen arbeitet.
Dass Innenminister Gérard Darmanin jetzt versichert, die Pressefreiheit solle nicht angetastet werden und jeder Journalist oder einfache Bürger könne auch weiterhin Aufnahmen machen, überzeugt ihn nicht. Schließlich war es der Innenminister, auf den die Initiative für diesen Paragrafen zurückgeht und der damit einem dringenden Wunsch der rechten Polizeigewerkschaften nachkam. »Um sich nicht der Gefahr auszusetzen, das Ziel von Übergriffen gereizter Polizisten zu sein, werden es sich Fotografen oder einfache Beobachter dreimal überlegen, ob sich das Risiko lohnt. Doch mit einem solchen Abschreckungseffekt hätte die Polizei schon weitgehend ihr Ziel erreicht«, sagt Compagnon.
Wie großzügig die Ordnungskräfte den durch die Gesetzesinitiative vorgezeichneten Rahmen für sich interpretieren, belegt ein dieser Tage an die audiovisuellen Medien versandtes Rundschreiben der Direktion für Kommunikation der Nationalen Polizei, gegen das Vertreter dieser Medien in einem Offenen Brief protestieren.
Danach sollen Filmreportagen bei der Polizei und vor allem von deren Einsätzen davon anhängig gemacht werden, dass sich die Medien vorab schriftlich verpflichten, der Polizeibehörde die Aufnahmen »so rechtzeitig vor der Sendung zur Begutachtung und Freigabe vorzulegen, dass gegebenenfalls noch Änderungen vorgenommen werden können«. Das werten die Medienvertreter als empörenden Versuch, durch die Hintertür eine Zensur einzuführen, die das Pressegesetz von 1881 ausdrücklich verbietet.
»Wenn Journalisten mit ihrer Kamera oder auch einfache Augenzeugen mit ihrem Handy nicht mehr ungehindert Aufnahmen machen können, soll damit ganz offensichtlich die Aufdeckung von Polizeigewalt-Skandalen verhindert werden, die in der Vergangenheit oft nur aufgrund von unwiderlegbaren Bildern bekannt gemacht und juristisch geahndet werden konnten«, stellt der Verband Journalisten ohne Grenzen fest. Das gilt auch für den Fall, der Macron schockiert hat. Dabei haben vor einer Woche vier Polizisten den Schwarzen Musikproduzenten Michel Zecler, der sich auf der Straße ohne Maske einer Polizeikontrolle entziehen wollte, indem er schnell sein Studio betrat, dorthinein verfolgt und mehr als fünf Minuten lang zusammengeschlagen.
Wiederholt haben sie ihn als »dreckigen Neger« beschimpft. Sie ahnten nicht, dass das Innere des Studios durch eine Videokamera überwacht wird, die alles aufgezeichnet hat. Kopien des Films hat Michel Zecler ins Internet gestellt und auch im Polizeirevier vorgelegt, wo er am nächsten Tag Anzeige erstattet hat.
Nachdem der Vorfall über die Medien bekannt wurde, hat Innenminister Darmanin eine Untersuchung durch die Polizei-Kontrollbehörde GIGN angeordnet. Dabei wurde schnell festgestellt, dass die Beamten in ihrem Bericht über den Vorfall gelogen und beispielsweise behauptet haben, Zecler habe sie tätlich angegriffen. Das wird durch die Videoaufnahmen widerlegt. Die vier Polizisten wurden auf Weisung des Innenministers umgehend vom Dienst suspendiert und nach mehrtägigen Vernehmungen und Untersuchungen bei der GIGN wurde am Sonntag bekannt gegeben, dass gegen sie ein juristisches Verfahren wegen gemeinschaftlicher Gewalt im Dienst, Urkundenfälschung und rassistischer Beleidigung eingeleitet wird.
»Sie haben sich wie Kriminelle verhalten und werden wie solche behandelt«, erklärte Innenminister Darmanin, der mit solch ungewöhnlich starken Worten ganz offensichtlich auf die immer lauteren Forderungen nach seinem Rücktritt und dem des Pariser Polizeipräfekten Didier Lallement reagiert. Macron erklärte in einem langen Text im Internet: »Frankreich darf sich niemals mit Gewalt und Brutalität abfinden, woher sie auch kommt. Frankreich darf keinen Hass und Rassismus aufkommen lassen.« Als Beamte in vorderster Linie werde von ihnen Besonnenheit und ein untadeliges Verhalten erwartet.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.