Rechte Terrorunterstützer bei »Querdenken«-Protesten

Antifaschistische Recherche weist Teilnahme zahlreicher Neonazikader in Berlin nach - Zentralrat der Juden fordert Überwachung

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach Ausschreitungen bei Demonstrationen in Leipzig und Berlin gegen die Coronapolitik der Bundesregierung wird öffentlich weiter diskutiert, welche Gefahr von der Protestbewegung ausgeht. Eine aktuelle Recherche der antifaschistischen Gruppe »Exif« beleuchtet unter diesem Gesichtspunkt einige der Teilnehmer, die sich Mitte November in der Hauptstadt nahe dem Brandenburger Tor versammelt und dann teilweise Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert hatten. Demnach waren neben Maskenverweigerern, Esoterikern, Verschwörungsgläubigen und bürgerlichen Protestierenden auch zahlreiche bekannte Neonazifunktionäre, Terrorunterstützer sowie unter Terrorverdacht stehende Rechte auf der Kundgebung.

Das Rechercheteam konnte mittels Fotos belegen, dass sich etwa Jörg S., ein Mitglied von »Nordkreuz«, auf der Demonstration befand. Die extrem rechte Prepper-Gruppe steht in Verbindung mit dem bundesweiten »Hannibal«-Netzwerk, das Waffen hortet, Feindeslisten anlegt und sich auf einen »Tag X« vorbereitet. Zahlreiche Polizisten, Soldaten sowie Mitarbeiter von Sicherheitsunternehmen sind hier organisiert. Der ehemalige Bundeswehrsoldat S. soll dem Bericht zufolge 2016 auf einem »Nordkreuz«-Treffen gewesen sein, auf dem eine Liste mit möglichen Zielpersonen herumgezeigt wurde.

Laut den Recherchen demonstrierten auch Thomas G., Jens B. und Maik E. aus dem NSU-Unterstützernetzwerk in Berlin. Jens B. ist Vorsitzender der völkischen, extrem rechten »Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft« und hatte den verurteilten NSU-Helfer Ralf Wohlleben nach dessen Haft auf seinem Hof untergebracht. Thomas G. hatte mit Wohlleben Rechtsrockkonzerte organisiert und Kameradschaftsstrukturen aufgebaut, seine ehemalige Partnerin verhalf der NSU-Terroristin Beate Zschäpe im Untergrund zu einer neuen Identität. Maik E. ist wiederum der Bruder des verurteilten Terrorhelfers André Eminger. Auch der Chemnitzer Neonazi Gunter F. soll bei der teils militanten »Querdenken«-Demonstration in Leipzig aufgefallen sein. F. hatte dem NSU-Kerntrio nach dessen Untertauchen eine Wohnung organisiert und mit Papieren geholfen.

Nach »Exif«-Informationen hat auch der Neonazi Maik S. an der Demonstration in Berlin teilgenommen. Er gilt als mutmaßlicher Haupttäter eines Brandanschlages auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Brandenburg 2015. Das erste Urteil fiel beim Bundesgerichtshof jedoch durch, gegen das zweite wurde Revision eingelegt. Der verurteilte Rechtsterrorist Martin Wiese aus Mecklenburg-Vorpommern nahm laut den Antifaschisten bereits Anfang August an einer »Querdenken«-Kundgebung in Berlin teil. Seine Gruppe hatte 2003 einen Sprengstoffanschlag auf den Neubau des Jüdischen Zentrums München geplant, wurde aber zuvor zerschlagen.

Die Anwesenheit organisierter Neonazis wird von anderen Protestierenden teilweise diskutiert, aber nicht grundlegend hinterfragt. »Die einen leugnen die Teilnahme von extrem Rechten, während die anderen sich drüber freuen, endlich auf einen schlagkräftigen Arm zurückgreifen zu können - was als widersprüchlich und Sollbruchstelle wirken mag, funktioniert tatsächlich gut«, resümiert »Exif«. Den »Spagat zwischen Distanzieren und Umarmen von Neonazis« habe in der Vergangenheit bereits die rechte Straßenbewegung »Pegida« erfolgreich vollzogen.

»Der Schulterschluss gelingt über ein diffuses ›Wir‹ gegen ›die da oben‹ sowie über antisemitische und regierungsfeindliche Inhalte«, erklärt »Exif« weiter. Viele rechte Kader würden »Querdenken« dabei lediglich als Werkzeug sehen, um eine »nationalrevolutionäre Massenbewegung« aufzubauen und die Regierung zu stürzen. Die Voraussetzung: Die »Querdenken-Bewegung« sei bereits im Kern »antidemokratisch, autoritär und brandgefährlich«, so das Fazit.

Das sehen offenbar auch andere so. Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, fordert eine stärkere Überwachung der Bewegung durch die Sicherheitsbehörden ein. »Ich bin der Meinung, dass ›Querdenken‹ tatsächlich zum Prüffall für den Verfassungsschutz werden sollte, denn das, was hier artikuliert wird, geht einfach bei Weitem über das hinaus, was man auch in einer Demokratie mit freier Meinungsäußerung akzeptieren soll und akzeptieren muss«, sagte Schuster am Wochenende gegenüber Medien. Der Präsident des Zentralrats forderte zudem, das Zeigen von Judensternen auf den Demonstrationen strafrechtlich zu verfolgen. Das seien »völlig abscheuliche Vergleiche«, die keiner ernsthaften Überlegung und Nachforschung standhielten. Ob gerade der Verfassungsschutz der richtige Ansprechpartner ist, dürfte dabei umstritten sein.

Das Zusammenwachsen von »Querdenken« und der extrem rechten Szene zeigt sich indes nicht nur auf der Straße. In der Ausgabe 27 der Wochenzeitung »Demokratischer Widerstand« gaben die Herausgeber jüngst erstmals Ellen Kositza und Benedikt Kaiser die Möglichkeit, Texte zu schreiben. Beide sind dem Verlag Antaios und der Denkfabrik »Institut für Staatspolitik« verbunden, zentrale Institutionen der »Neuen Rechten«.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!