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Lange vor der Pandemie kaputt gespart
In einer Bremer Studie erklären Pflegekräfte, was ihnen in der Coronakrise am meisten Sorgen macht
Beim ersten Lockdown erhielten die Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeheimen viel Applaus. Doch dabei blieb es meist. Viele Pflegekräfte erklärten, dass sie sich statt zehn Minuten Beifall mehr Unterstützung bei der Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen wünschen. Aufgehoben ist der Personalmangel im Caresektor, wie der Pflege- und Gesundheitsbereich auch genannt wird, aber noch lange nicht.
Jetzt hat der Gesundheitswissenschaftler und Leiter des Bremer Büros für Arbeit, Gesundheit und Biographie, Wolfgang Hien, gemeinsam mit dem Arbeitsmediziner Hubertus von Schwarzkopf eine Studie veröffentlicht, für die sie Pflegekräfte zur ihrer Arbeitssituation in der Corona-Pandemie befragten. Insgesamt 26 Interviews führten die beiden Wissenschaftler mit Beschäftigten aus Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen zwischen Mai und Juli 2020. Dabei ging es schwerpunktmäßig auch um ihre speziellen Belastungen in der Coronakrise.
Viele der Befragten äußerten, dass ihr größtes Problem weniger die Angst vor dem Virus als die unzureichende Organisation in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sei. »Die Coronakrise deckte schnell die Versäumnisse und die seit Jahren kumulierenden Belastungsstrukturen auf«, so ein Fazit von Hien und von Schwarzkopf. Ein Kapitel in der Studie widmet sich der Frage, warum es eine Häufung von Krankheits- und Todesfällen wegen Covid-19 in Alten- und Pflegeheimen gab, obwohl es bereits seit Jahren Warnungen vor einer Pandemie sowie konkrete Empfehlungen für Hygienemaßnahmen gibt. Die Antwort: Da diese Empfehlungen aus Kostengründen nicht umgesetzt wurden, waren Alten- und Pflegeeinrichtungen schlecht vorbereitet. Versäumnisse sowohl bei den Behörden als auch bei den Heimleitungen werden in der Studie als Ursache benannt. Die Pandemie traf ein nach wirtschaftsliberalen Grundsätzen zurechtgestutztes Gesundheitssystem, so eine der Erkenntnisse der Studie.
»Die schon in den 1990er Jahren einsetzenden Rationalisierungsmaßnahmen … waren darauf ausgerichtet, Raum und Personal zu sparen«, schreiben die Autoren. Zu den Folgen gehört, dass die Bevorratung mit Schutzkleidung und -masken entgegen der behördlichen Vorgaben zur Pandemievorsorge auf ein Minimum heruntergefahren und nie kontrolliert wurde. Doch auch Raum für Solidarität im Arbeitsalltag, auch zeitlich gemeint, in dem die Beschäftigten mal Luft holen können, sei durch die Rationalisierung zunichte gemacht worden.
»Corona - das führt uns die sowieso existierenden Probleme nur stärker vor Augen. Wenn wir rationalisieren und alles kaputtsparen - und es ist ja vor allem an Personal gespart worden, statt hier sehr viel mehr Geld reinzutun - dann dürfen wir uns nicht wundern, dass alle aus der Pflege weglaufen«, erklärte eine der von den Wissenschaftlern befragten Beschäftigte. In der Studie wird auch deutlich, dass der Carebereich oft nur funktioniert, weil viele der dort Tätigen enorme Belastungen auf sich nehmen, um Menschen zu helfen.
Die Autoren leiten aus ihrer Studie auch politische Forderungen ab. Die gesellschaftliche Wertigkeit von gesundheitlicher Vorsorge müsse sichtbar erhöht, der öffentliche Gesundheitsdienst personell aufgestockt werden. Auch die Raum- und Materialausstattung sei dringend zu verbessern. Die Studie kann auch als Ermutigung für gewerkschaftliche und soziale Initiativen verstanden werden, sich gemeinsam mit den Beschäftigten für ein besseres Gesundheits- und Pflegesystem einzusetzen. In einigen Städten existieren bereits entsprechende Bündnisse.
Die Studie online: www.wolfgang-hien.de/download/Pflege-2020.pdf
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