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Wo ist der Zweifel im Weltraum?
In der dritten Staffel von »Discovery« gibt es erste trans und nicht-binäre Charaktere im »Star-Trek-Universum«. Überzeugen kann die Serie trotzdem nicht
Eine Welt, in der Kapitalismus, Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung erfolgreich auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind, bekommt man relativ selten im Fernsehen zu sehen. »Star Trek« bildet da eine Ausnahme: Die Filme, Serien, Bücher und Comics der Science-Fiction-Franchise erzählen von einer Zukunft, in der die Menschheit sich der friedlichen interplanetarischen Zusammenarbeit verschrieben hat. Macht und Besitz sind keine Ideale mehr, stattdessen will man lernen und sich weiterentwickeln. Rassismus und Sexismus gelten als abgeschafft. In »Star Trek« lassen sich Themen der Gegenwart in einem Zukunftssetting behandeln, das es erlaubt, anders über sie nachzudenken und die scheinbare Alternativlosigkeit zu hinterfragen. Genutzt wird diese Möglichkeit allerdings immer seltener.
»Star Trek« wurde von Anfang an als progressiv wahrgenommen. Mitten im Kalten Krieg, am Ende der 1960er-Jahre, arbeiteten im Raumschiff Enterprise US-amerikanische und sowjetische Besatzungsmitglieder gemeinsam für den intergalaktischen Frieden. Und Lieutenant Uhura war eine der ersten Schwarzen Frauen, die im US-amerikanischen Fernsehen in einer Führungsposition gezeigt wurde. Schaut man sich die Serie heute an, bemerkt man aber schnell, dass sie voller rassistischer und sexistischer Klischees steckt. Auch viele der billigen Special Effects, schlecht choreografierten Kampfszenen oder bizarren Dialoge wirken heute unfreiwillig komisch. Einen gewissen Kultfaktor kann man den alten Folgen mit Captain Kirk und Mister Spock allerdings nicht absprechen. Es entstand eine riesige Fangemeinde, die umfassende Vermarktungsmöglichkeiten der Serie garantierte.
Gut verkaufen ließen sich die Abenteuer der Sternenflotte ganz am Anfang allerdings nicht. »Star Trek« wurde 1969 in den USA nach drei Staffeln mit insgesamt 79 Folgen wegen zu niedriger Zuschauerquoten wieder abgesetzt. Im Kino lebten die Figuren weiter, doch erst 1987 gab es im Fernsehen die nächste große »Star-Trek«-Serie. In »The Next Generation« (auf Deutsch: »Raumschiff Enterprise - Das nächste Jahrhundert«) verkörpert der besonnene, teetrinkende Intellektuelle Captain Picard das angenehme Gegenteil seines Vorgängers, dem Hau-drauf-Schürzenjäger Captain Kirk. Die neue Serie strotzte nur so vor Zukunftsoptimismus, mit ihr begann die ernsthafte Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Fragen im »Star-Trek«-Universum. Bald kamen mit »Deep Space Nine« und »Voyager« zwei weitere qualitativ hochwertige Serien hinzu, und endlich konnte auch die erste Frau im Sitz des Captains Platz nehmen: Die großartige Kathryn Janeway.
Queere Themen und Figuren ließen zwar weiter auf sich warten, aber die Fortsetzungen der Serie vermittelten eine große Aufgeschlossenheit für von der Norm Abweichende, Unterdrückte und Vergessene. Die hehren Ideale der Planeten-Föderation - Frieden, Vielfalt, gegenseitige Unterstützung und Gerechtigkeit - nahmen in den Folgen der achtziger und neunziger Jahre großen Raum ein, ohne dass diese dabei an Unterhaltungswert verloren hätten. Nicht selten lässt sich heute an den einzelnen Folgen ablesen, welche Themen zu ihrer Entstehungszeit gerade in der Gesellschaft verhandelt wurden. Eine der großen Fragen, die immer wieder in verschiedenen Szenarien und Variationen verhandelt wurde, bleibt aktuell: Inwiefern können wir über die Normen anderer Kulturen urteilen und wann ist es erlaubt, in die Praktiken anderer Gesellschaften einzugreifen? Die Föderation will weder wegschauen, wenn Lebewesen leiden und unterdrückt werden, noch sich selbst zum Richter über andere erheben und als Weltraumpolizei auftreten.
Im Zeitalter von Cliffhangern und ausufernden Handlungsbögen der neuen, romanhaften Fernseh-Serien, die seit Ende der 1990er Jahre zum Binge-Watching einladen, wirkt die Erzählweise der älteren Star-Trek-Serien altmodisch. Es gibt dort zwar auch größere Rahmenerzählungen, aber der Fokus liegt auf kurzen Geschichten, die nach einer, maximal zwei Episoden abgeschlossen sind. Diese Struktur ermöglichte es, pointiert zu erzählen, verschiedene Settings auszuprobieren und die philosophischen und politischen Fragestellungen der Serie anhand konkreter Beispiele zu diskutieren.
Gleichzeitig entwickelten sich im Hintergrund die Charaktere und ihre Beziehungen weiter. Interessant sind dabei vor allem Emanzipationserzählungen, etwa vom Androiden Data oder der befreiten Borg-Drohne Seven of Nine, die sich langsam wieder ihre Menschlichkeit und Individualität zurückerobert. Diese Geschichten werfen Fragen nach Subjektivität, rechtlicher Teilhabe und Selbstbestimmung auf.
Ab den frühen 2000ern ging es dann bergab mit »Star Trek«. Die Serie »Enterprise«, eine Vorgeschichte zu den allerersten »Star-Trek«-Folgen, war zwar inhaltlich nicht ganz uninteressant, aber schlecht umgesetzt. Nach vier Staffeln wurde sie wegen niedriger Quoten eingestellt. Danach begann der Ausverkauf. Die Kinofilmreihe von Produzent und Regisseur J. J. Abrams machte aus »Star Trek« ein langweiliges Actionspektakel. Um dem großen Nostalgiebedürfnis des Publikums zu genügen, wurde eine hippe Version der alten Figuren um Kirk und Spock mit ihrem Raumschiff auf Reisen geschickt.
2018 kamen dann die ersten Folgen der lange erwarteten Serie »Discovery« heraus. Wie schon »Enterprise« ist sie ein Prequel der anderen »Star-Trek«-Serien und wie Abrams´ Filme leidet sie darunter, cool und hip sein zu wollen und eine schnelle, actionreiche Handlung zu zeigen, in der zwanghaft ständig etwas Neues passiert, ständig noch eins obendrauf gesetzt werden muss. Das macht die Serie gleichzeitig platt, wie unnötig kompliziert.
In der ersten Staffel wirkt vieles an den Haaren herbeigezogen (der nette junge Mann ist eigentlich ein umoperierter klingonischer Spion, woran er sich aber selbst nicht erinnern kann) oder esoterisch (im Universum ist durch geheimnisvolle Pilz-Sporen alles mit allem verbunden). Die zweite Staffel kramt dann abermals bekannte Figuren hervor und beschäftigt sich intensiv mit der schweren Kindheit von Mister Spock.
Die neuen Charaktere bleiben seltsam oberflächlich, denn ihrer Entwicklung wird keine Zeit eingeräumt, und die Dialoge erschweren durch ihre künstliche Coolness jede ernsthafte Auseinandersetzung. Es ist erfreulich, dass in »Discovery« zum ersten Mal homosexuelle Charaktere in »Star Trek« zu sehen sind und in der aktuellen dritten Staffel eine nichtbinäre und eine trans Figur hinzukommen. Die überfällige Diversität macht allerdings leider noch keine gute Serie.
Die dritte Staffel beginnt recht vielversprechend. Die erste Folge lässt sich viel Zeit und das Setting ist spannend: Commander Burnham ist nach einer halsbrecherischen Zeitreise weit in der Zukunft gelandet. Sie erfährt, dass die Föderation nach einer ungeklärten Katastrophe ihre Macht verloren hat und macht sich auf die Suche nach ihren Resten. Wie schon in der Serie »Picard«, die Anfang des Jahres startete, werden hier endlich nicht weiterhin alte Geschichten wieder aufgewärmt, sondern es wird ein Blick in die Zukunft der Föderation gewagt.
Es kommt also wieder ein wenig »Star-Trek«-Feeling auf, was auch daran liegt, dass teilweise wieder auf die alte Erzählstruktur mit abgeschlossenen Episoden gesetzt wird. Auch das alte Pathos ist wieder da - wirkt aber fehl am Platz und passt nicht so ganz zur aufgesetzten Coolness. Auf die Werte der Föderation wird häufig verwiesen, allerdings ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung, sondern als leere Behauptung. Der Zweifel, der früher in vielen Folgen zentral war, muss herablassender Selbstgefälligkeit weichen, ganz nach dem Motto: »Wir sind die Guten und wir wissen, was zu tun ist.« Wer nach einer gelungenen Fortsetzung der großen »Star-Trek«-Zeit sucht, sollte besser »Picard« schauen. Dort gibt es Raum für den Zweifel und die Uneindeutigkeit, für Charakterentwicklung und sogar die Reflexion aktueller politischer Themen.
»Discovery«, läuft auf Netflix
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