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  • U-Bahn-Verlängerungen

Tunnel in die Klimahölle

Wegen geringer Fahrgastzahlen können geforderte U-Bahn-Verlängerungen zu CO2-Schleudern werden

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Sollte die U9 vom Endbahnhof Osloer Straße bis zum Bahnhof Pankow verlängert werden, würde es 109 Jahre dauern, bis die beim Bau verursachten Kohlendioxidemissionen kompensiert wären. Bei der diskutierten Verlängerung der U7 von Rudow zum Flughafen BER würde es 114 Jahre dauern, bei der U 8 ins Märkische Viertel 168 Jahre. Am Schlechtesten schnitte der Abzweig der U6 vom Kurt-Schumacher-Platz zum neuen Quartier auf dem Gelände des jüngst außer Betrieb gegangenen Flughafens Tegel ab. 230 Jahre müssten verstreichen, damit die vermiedenen CO2-Emissionen durch eingesparten Auto- und Busverkehr jene des Baus aufgewogen hätten.

Zu diesem Schluss kommen Matthias Dittmer, Sprecher der Initiative Stadt für Menschen, der Mathematiker und Informatiker Axel Geraets sowie der Verkehrsplaner Axel Schwipps. die am Mittwoch eine entsprechende Untersuchung vorgelegt haben. »Die Klimabilanz Berliner U-Bahn- und Straßenbahnplanungen«, lautet der Titel.

»Wir wollen die U-Bahn-Debatte versachlichen. Wir wollen den Diskurs vom Kopf auf die Füße der Fakten stellen«, sagt Matthias Dittmer bei der Online-Pressekonferenz zwei Tage vor Inbetriebnahme der U5-Verlängerung vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof. »Auch für uns war die Erkenntnis völlig neu, dass weitere Strecken der U-Bahn in Tunnellage das Klimaproblem verschärfen werden - und zwar in einer Dimension, die wir nicht für möglich gehalten haben«, so Dittmer weiter.

Zum Vergleich: Die CO2-Emissionen der geplanten Straßenbahnstrecke vom Alexanderplatz durch die Leipziger Straße zum Potsdamer Platz wären laut der Untersuchung in 9,4 Jahren kompensiert.

»Wir haben uns für die Berechnung einen Normkilometer U-Bahn überlegt«, berichtet Verkehrsplaner Schwipps. Inklusive Bahnhof, Streckentunnel, Erdaushub, Rolltreppen und, und, und. Dabei wurde auch die einfachere Bauweise der außerhalb der Innenstadt gelegenen Tunnel berücksichtigt. Rund 99 000 Tonnen CO2 je Kilometer kommen demnach zusammen. Beton und Stahl sind nämlich echte Schleudern des Klimagases. Sie kommen reichlich zum Einsatz beim Bau. Die Produktion einer Tonne Rohstahl emittiert 1,8 Tonnen CO2. Mit aufgeschmolzenem Stahlschrott lassen sich rund 360 Kilogramm Klimagas einsparen. Beim Beton sieht die Bilanz ähnlich aus. Der Einsatz von Recyclingmaterial ist derzeit wegen der geforderten Festigkeit nicht möglich.

Für die Gegenrechnung werden die eingesparten Auto- und Busfahrten einbezogen. Pro Kilometer U-Bahn fallen laut Untersuchung 2,5 Kilometer Buslinie weg. 20 Prozent der Fahrgäste des neuen U-Bahn-Abschnitts sind demnach ehemalige Autofahrer. Bei den 40 000 erwarteten Nutzerinnen und Nutzern der U 9 nach Pankow wären es also 8000 vermiedene Autofahrten.

»Wir fordern ein Moratorium für alle U-Bahn-Verlängerungen, bis Klimagerechtigkeit hergestellt ist«, sagt Matthias Dittmer. Das gelte auch für Machbarkeitsstudien. Alle planerischen Kapazitäten und die der baulichen Umsetzung müssten auf die Entwicklung des Straßenbahnnetzes fokussiert werden. »Wir sparen Geld und Zeit und tun gleichzeitig etwas für das Klima«, so Dittmer.

Das Problem sei nicht der Tunnelbau, sondern die vergleichsweise niedrigen Fahrgastzahlen auf den betrachteten Abschnitten. Anders sehe die Bilanz bei der geplanten City-S-Bahn aus, auch unter dem Namen S21 bekannt. Die Verlängerung vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor wäre klimatechnisch in 20 Jahren kompensiert. »Der Abschnitt ist 1,2 Kilometer lang, brächte aber 100 000 Fahrgäste pro Tag«, erklärt Axel Schwipps. Eine neue U-Bahn-Strecke mit solchem Potenzial sehe er in Berlin nicht.

»Wir sind keine Feinde der U-Bahn«, erklärt Dittmer. Die Investitionen müssten in die Sanierung des Bestands fließen. »Da ist man eigentlich zwei Legislaturperioden beschäftigt«, so der Aktivist.

»Den U-Bahn-Ausbau zu verteufeln ist der verkehrte Weg«, sagt SPD-Verkehrsexperte Tino Schopf zu »nd«. Auch wenn es richtig sei, auf die Klimabilanz aufmerksam zu machen. »Ohne den Ausbau des Schnellbahnnetzes wird die Verkehrswende in der wachsenden Stadt nicht gelingen«, ist er überzeugt. Er verweist auf höhere Kapazität und höheres Durchschnittstempo der U-Bahn im Vergleich zur Tram. Auch deren Ausbau müsse vorangetrieben werden, so Schopf.

Der Appell von Matthias Dittmer an die Parteien, im Wahlkampf keinen U-Bahn-Bau zu fordern, wird wohl nicht fruchten.

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