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Es ist kompliziert
Während die Regierung das Recht auf Homeoffice diskutiert, droht es in vielen Unternehmen bereits zur Pflicht zu werden
Vor einigen Jahren, als Facebook noch hip war, galt es als mindestens ebenso hip, auf seinem Profil in diesem sozialen Netzwerk als Beziehungsstatus »Es ist kompliziert« anzugeben. Jetzt, nach Monaten der Pandemie, dürften das viele übers Homeoffice sagen.
Als man im Frühjahr von heute auf morgen mit dem Dienstrechner nach Hause geschickt wurde, lernten zumindest jene, die nicht neben dem Job noch auf ihre Kinder aufpassen mussten, den Vorteil zu schätzen, morgens wegen des Wegfalls des Arbeitsweges locker eine halbe Stunde länger schlafen und im Meeting Hemd und Jogginghose tragen zu können. Doch irgendwann nutzte sich das ab. Rückenschmerzen machten sich bemerkbar, weil der Stuhl aus der Küche eben kein ergonomisch geformter Bürostuhl ist, und die Augen schmerzten, weil der Laptop-Bildschirm auf Dauer viel zu klein ist. Trotzdem werden die meisten wohl einige während Corona gewonnene Homeoffice-Freiheiten nicht mehr missen wollen.
Das dachte sich auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Anfang Oktober schlug er vor, alle Angestellten sollten künftig jährlich ein Anrecht auf 24 Tage Arbeit im Homeoffice haben, solange keine betrieblichen Gründe dagegen sprechen. Doch leider ist auch die Beziehung zwischen Union und SPD kompliziert. Aufgrund der als sicher erachteten Ablehnung durch den Koalitionspartner schickte das Bundeskanzleramt den Vorschlag des Ministers noch nicht einmal in die Ressortabstimmung.
Nun legte Hubertus Heil nach. Im Entwurf zu seinem »Mobile-Arbeit-Gesetz«, der Anfang der Woche öffentlich wurde, ist vom Recht auf 24 Tage Homeoffice keine Rede mehr. Stattdessen sollen die Beschäftigten lediglich das Recht bekommen, ihren Wunsch nach regelmäßigem mobilen Arbeiten mit dem Chef zu erörtern. Lehnt der den Antrag ab, soll er dies innerhalb von zwei Monaten begründen. Das wird die Sache sicherlich nicht einfacher machen. Vermutlich wird es viel Streit darum geben, ob die Begründung ausreicht.
Doch ist längst nicht jeder Chef ein Präsenz-Fetischist, der denkt, dass seine Angestellten nur arbeiten, wenn sie im Büro sind. Das macht es nochmal komplizierter. Denn die schlauen Unternehmer haben spätestens mit der Coronakrise begriffen, dass es handfeste, betriebswirtschaftliche Vorteile mit sich bringt, wenn die Beschäftigten nicht mehr alle einen Arbeitsplatz benötigen.
»Hybrides Arbeiten« und »Desksharing« sind die Buzz-Wörter des Jahres, die erahnen lassen, wie die Zukunft der Arbeit aussehen könnte. Viele Unternehmen kalkulieren bereits damit, dass künftig nicht mehr alle Angestellten gleichzeitig im Büro anwesend sein werden. Und da kommt das »Desksharing«, das Teilen des Schreibtischs, ins Spiel. Es besagt, dass nicht mehr jeder im Office ein eigenen Platz hat, sondern dieser mit Kollegen geteilt werden muss. Das spart Bürofläche, die wiederum in den Innenstädten von Metropolen besonders teuer ist. So wird Homeoffice für Angestellte schnell vom Wunsch zur Pflicht. Und Experten warnen sogar vor einer Krise am Immobilienmarkt, weil seitens der Unternehmen künftig weniger Büroflächen nachgefragt werden könnten. In Berlin zum Beispiel könnten dieses Jahr die Mieten um 20 Prozent sinken, warnte das arbeitgebernahe Instituts der deutschen Wirtschaft bereits im Juli. »Wenn mehr Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten, wird weniger Bürofläche benötigt. Die Nachfrage nach Büros wird also sinken, und zwar auch dann, wenn die Wirtschaft wieder in Schwung kommt«, so deren Immobilienspezialist Michael Voigtländer.
Dass viele von zu Hause aus arbeiten müssen, will auch die Bundesregierung berücksichtigen. Ebenfalls Anfang dieser Woche beschloss die Koalition die Einführung eines Homeoffice-Steuerfreibetrags. Fünf Euro darf man künftig pro Tag Heimarbeit absetzen, maximal 600 Euro pro Jahr. Das klingt erst mal gut. Rechnet man aber nach, wie viel es kostet, wenn man seinen Arbeitsplatz vom Büro in die eigenen vier Wände verlegt, bleibt vom Steuervorteil nichts mehr übrig.
Allein die Heizkosten würden dadurch in der kalten Jahreszeit im Schnitt um 45 Euro steigen, rechnete das Vergleichsportal Verivox jüngst aus. Auf Dauer muss auch irgendwo in der Wohnung angemessen Raum geschaffen werden. Laut Arbeitsstättenverordnung müsste der Chef im Büro mindestens sechs Quadratmeter dafür bereitstellen. Rechnet man das auf die Miete um, die man für seine Wohnung zahlt, merkt man, dass dies schnell die Höhe des geplanten Steuerfreibetrag überschreiten kann. Und warum überhaupt soll die Allgemeinheit für die Kosten in Form des Freibetrags aufkommen, wenn sich manch ein Arbeitgeber, der davon profitiert, einen schlanken Schuh macht?
Fazit: Früher war vielleicht die Frage nach dem Beziehungsstatus kompliziert, aber nicht die nach dem Arbeitsplatz. Und viele freuen sich wohl schon, nach der Pandemie endlich wieder ein unbeschwertes Kaffeepläuschchen mit den Kollegen im Büro führen zu können.
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