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Viel Rauch um nichts
SCHWARZ AUF WEISS: Sheila Mysorekar über die tendenziöse Berichterstattung von Spiegel TV und anderen Medien über »Clan-Kriminalität«
Woran denken Sie, wenn Sie »Großfamilie« oder »Clan« hören? An eine Bauernfamilie aus dem Hunsrück oder eher an dunkelhaarige Männer mit Goldkettchen und schnellen Autos – die obendrein in zweiter Reihe parken?
Vermutlich letzteres. Dies ist das Ergebnis medialen Framings. Seit einigen Jahren bauen verschiedene deutsche Medien ein Drohszenario auf, die »Clan-Kriminalität« durch »arabische Großfamilien«. Entsprechende Fernsehreportagen – allen voran bei »Spiegel TV« zeigen stereotype Bilder von aggressiven bärtigen Männern, setzen Kriminelle gleich mit »Arabern« und betreiben Sippenhaft bei Familienmitgliedern.
Egal ob Goldmünze im Bode-Museum, Überfall aufs KaDeWe oder auf ein Pokerturnier: Oft geht es in den Berichten um immer gleiche spektakuläre Straftaten, die von einer Handvoll Leuten begangen wurden, teils Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen, aber als Beleg ausreichen, um hunderttausende Menschen zu kriminalisieren.
Dass Beschuldigte oder Betroffene zu konkreten Vorwürfen sachlich Stellung nehmen können – eigentlich das Einmaleins im seriösen Journalismus – kommt in diesen Berichten so gut wie nie vor. Wenn Vertreter von »Clans« zu Wort kommen, dann als wütende Männer, die auf der Straße überrumpelt wurden und den Reporter beschimpfen. Oder als anonymisierte »Aussteiger«, die sämtliche Klischees bestätigen. Obendrein markieren diese hautnahen, undistanzierten Reportagen über Polizei-Razzien ganz normale Orte wie Shisha-Bars als Treffpunkte von Verdächtigen und Kriminellen.
Kurz: Viele Berichte über »Clan-Kriminalität« sind verzerrt, stigmatisierend und rassistisch.
Aber fürs Protokoll: Natürlich muss über Organisierte Kriminalität berichtet werden, auch über arabischstämmige Kriminelle, denn es geht hierbei nicht nur um spektakuläre Raubzüge wie beim Goldmünzen-Fall, sondern auch um Drogenverkauf, Erpressung oder Mord. Es gibt mutige Reporter, die genau dies recherchieren – und deswegen bedroht werden. Allerdings sollte die Berichterstattung sachlich und faktenbasiert sein. Und kritisch – auch gegenüber der Polizei. Die typischen Reportagen über »Clan-Kriminalität« sind es jedoch nicht, sondern erklären die kriminelle Energie Einzelner mit der angeblichen Gewaltbereitschaft ganzer Völker.
Das Problem ist also nicht, dass über kriminelle Clans berichtet wird, sondern wie. »Archaische Clans« werden einer »westlichen Moderne« gegenübergestellt – obwohl diese Form der organisierten Kriminalität ein modernes Phänomen ist. Rassistische Erklärungsmuster stigmatisieren jedoch große Minderheiten in Deutschland, wie etwa arabischstämmige Menschen oder Rom*nja – auch über deren vermeintliche Clans wird regelmäßig berichtet.
Und es kommt auf die Verhältnismäßigkeit an: Laut BKA werden nur acht Prozent aller Verfahren zu organisierter Kriminalität den »Clans« zugeordnet. In der Berichterstattung von Spiegel TV oder Bild wird jedoch – bewusst oder unbewusst – der irreführende Eindruck erweckt, dass die »Clans« ganze Städte beherrschen und ein schwacher Staat dieser Entwicklung hilflos ausgeliefert ist.
Warum macht man das, als Redaktion? Vielleicht glauben die Kolleg*innen inzwischen selbst an den Mythos vom Untergang des Abendlands durch kriminelle Migranten. Oder es bringt halt Einschaltquoten –wer weiß das schon genau. Journalistische Sorgfalt kommt dabei jedenfalls zu kurz.
Auch Politiker haben das Thema »Clan-Kriminalität« für sich entdeckt: Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, lässt spektakuläre nächtliche Razzien in Shisha-Bars durchführen. Die Presse wird vorab informiert – und der Herbert, dieser harte Hund, ist live dabei! Persönlich! Mitten in der Nacht!
Dass bei diesen flächendeckenden Razzien oft nicht mehr herauskommt als ein paar Kilo unversteuerter Tabak, wird selten erwähnt – was auch daran liegt, dass häufig unkritisch und distanzlos gegenüber der Polizei und anderen Behörden berichtet wird. Es gibt auch große Zweifel an den Polizeistatistiken zu »Clan-Kriminalität«, wie der Journalist Mohamed Amjahid recherchierte.
Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Razzien sind gravierend, denn damit werden auch unbescholtene Bürger*innen und ganze Stadtviertel stigmatisiert. Darüber müssen wir reden. Doch selbst nach dem rechtsextremen Attentat von Hanau, bei dem Shisha-Bars zu Anschlagsorten wurden und zahlreiche Menschen starben, blieb eine Debatte über die rassistische Markierung dieser Orte aus.
Also stoßen wir das jetzt an: Der Medienpreis »Goldene Kartoffel« geht 2020 an die Berichterstattung über »Clan-Kriminalität« in deutschen Medien, stellvertretend an Spiegel TV. Herzlichen Glückwunsch! Wir, das sind die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), ein Netzwerk von Journalist*innen mit und ohne Migrationsgeschichte, die sich für Vielfalt in den Medien einsetzen. Jedes Jahr verleihen wir die Goldene Kartoffel als Medienpreis für besonders unterirdische Berichterstattung, die ein verzerrtes Bild vom Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland zeichnet. Und, wallah, die deutsche Clan-Berichterstattung tut das. Wer uns nicht glaubt, kann sich das Video zur Preisverleihung anschauen – stilecht direkt aus dem Wohnzimmer der Clans.
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