Faschisten für die Freiheit?

In den Corona-Protesten artikuliert sich eine faschistoide Ablehnung der Moderne, meint Jan Schlemermeyer.

  • Jan Schlemermeyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Da staunt der Verfassungsschutz: Bundesweit geht eine ungewohnte Mischung aus Rechten, Evangelikalen, Hippies und Esoterikern auf die Straße. Die Mischung ist bunter als bei früheren rechten Bewegungen, etwa Pegida. Auch die Stoßrichtung der »Corona-Proteste« ist unerwartet. Fans des Kaiserreichs, Neonazis, Trump-Anhänger und Antisemiten sind bisher nicht als Verteidiger von Grundrechten aufgefallen. Von den Rechten wird die Irritation über ihre Aktionen mit Genuss zelebriert. In der Zeitschrift »Sezession« verkündet ein Florian Sander, dass die Rechte als einzige »um die Demokratie kämpfe«. Beobachter haben darauf hingewiesen: »Demokratie« meint hier vor allem ein Recht des Stärkeren. Gemeinsam mit Unternehmern und »Bild«-Zeitung will man die Kosten des Infektionsschutzes in Grenzen halten. Insofern sind die Proteste ungefähr so rebellisch wie eine Bundesregierung, die jahrelang jene Solidarität zerlegt hat, die sie nun von allen einfordert.

Auch die Selbststilisierung zur »einzigen Opposition« ist zu Recht als Beleg für die rechte Distanzierung von der Realität zurückgewiesen wurden. Schließlich waren es Linke, die für eine gerechtere Verteilung von Kosten und Einschränkungen, Arbeitsschutz, Auflösung von Sammellagern und Schutz der Versammlungsfreiheit demonstriert haben.

Jan Schlemermeyer
Jan Schlemermeyer ist 1983 in Berlin geboren und hat Politikwissenschaft in Frankfurt/M studiert. Er ist seit Jahren in sozialen Bewegungen aktiv, publiziert zu Staatstheorie, Komplexität und Kapitalismus und arbeitet im Bereich Strategie und Grundsatzfragen der Linken.

Aber die Ideologie der Corona-Demos wurde nicht ausreichend analysiert. Denn der unheimliche Abstieg vom autoritären Kleinbürger zum Vollfaschisten geht aktuell ziemlich schnell, siehe Kochbuchautor Hildmann. Offenbar genügt es, sich kurz in den Kaninchengängen des intellektuellen Darkweb zu verirren. Hier bietet sich ein Blick auf die Faschismusforschung der Kritischen Theorie an. Nach ihr ist der Faschismus nämlich kein »Extremismus«, der von den irren Rändern einer guten Gesellschaft ausgeht. Er ist aber auch nicht bloß die terroristische Form der Klassenherrschaft. Faschismus lässt sich demnach vielmehr als Widerstandsbewegung gegen die moderne Auflösung traditioneller Ordnung verstehen. So weit, so wenig überraschend – schließlich liegt die Ablehnung von Emanzipation voll auf Linie des rechten Autoritarismus.

Denkt man dieses Motiv allerdings weiter, kommt man zu einer anderen Pointe: Emanzipation hat bisher nie auf die Auflösung aller Ordnung gezielt. So eine Freiheit wäre nur Willkür, konkrete Freiheit setzt dagegen Institutionen voraus, die ein entsprechendes Verhalten auf Dauer möglich machen. Das aber heißt: Wenn die Überschreitung traditioneller Hierarchien in Nationalstaat und Geschlechterrollen Vermittlungsleistungen auf neuer Stufe nötig macht, ist es kein Wunder, dass sich die rechte Wut gegen jene Institutionen gesellschaftlicher Vermittlung richtet. Selbst wenn ihnen diese Funktion nur zugeschrieben wird. Die Ziele rechter Kampagnen der letzten Jahre reichen daher von der EU, einem UN-Migrationspakt über WHO und Klimawissenschaften bis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Alles Institutionen, an denen man einiges kritisieren kann, schließlich stehen sie unter den Zwängen kapitalistischer Interessen. Aber die Rechte richtet sich gerade nicht gegen die kapitalistische Kolonialisierung von Politik, Medien, Gesundheitsbranche und Wissenschaft. Im Gegenteil: Mit ihren Fakenews zielen sie auf Zerstörung der institutionellen Formen gesellschaftlicher Spezialisierung selbst.

Natürlich sind die Corona-Proteste keine klassisch faschistischen Bewegungen mit Führerkult, straffer Organisation und geschlossenem Weltbild. Das ist aber auch nicht nötig. Ihr antimoderner Impuls ist Bedingung für alles Weitere. Schon die Verhinderung neuer Institutionen oder die Blockade wissenschaftlicher Erkenntnisse ist heute ein echtes Katastrophenprogramm. Die Krisen der Weltgesellschaft machen mehr, nicht weniger Koordination nötig. Und Faschisten ging es, trotz allem Gerede von Ewigkeit und tausendjährigem Reich, noch nie um Dauer. Wem der Heldentod das Himmelreich ist, der muss sich um die langfristigen Effekte seiner Politik auf Menschen und Planeten keine Sorgen machen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.