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Der Klima-Schlüssel in Merkels Hand
Beim EU-Gipfel soll das Klimaziel für 2030 angehoben werden. Klimaschützer warnen vor »Schummelei«
Fünf Jahre ist es mittlerweile her, da einigten sich die Vertreter von fast 200 Staaten in Paris beim Klimagipfel COP 21 auf ein neues Klimaabkommen, das die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad Celsius begrenzen soll. Aus Anlass des Fünfjährigen wollen sich diesen Samstag führende Politiker zu einem virtuellen »Climate Ambition Summit« treffen. Unmittelbar vor dem globalen Klimatreffen kommen die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag zusammen, um bei ihrem Gipfel unter anderem das neue Klimaziel der 27 Staaten bis zum Jahr 2030 zu beschließen. Statt um 40 Prozent sollen die CO2-Emissionen der EU bis dahin um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken, wie es die Beschlussvorlage zur Tagung des Europäischen Rates vorsieht. Den Regierungen Polens und Ungarns ist dies freilich zu viel.
Und welcher Staat hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne, ist also verantwortlich für das Gelingen? Deutschland. Und welches Land ist die größte CO2-Schleuder in der EU? Deutschland. Da muss man nur eins und eins zusammenzählen: »Auf dem EU-Gipfel und auch dem UN-Gipfel in dieser Woche kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundesregierung eine Schlüsselrolle zu«, meint Brick Medak vom europäischen Umwelt-Thinktank E3G. Merkel und ihre Regierung müssten sicherstellen, dass die EU ein Klimaziel von mindestens 55 Prozent verabschiedet und zwar »ohne Buchungstricks«. Medak: »Damit würde die EU ein starkes Signal an die Staatengemeinschaft senden und ihrer Vorreiterrolle beim Klimaschutz auch tatsächlich gerecht werden.«
Der größte Buchungstrick der EU: Das bisherige 40-Prozent-Ziel berücksichtigt keine CO2-Senken wie Wälder oder andere Landnutzungen. Beim 55-Prozent-Ziel sollen die Minderungseffekte aus solchen Senken künftig mitzählen - wie beim Pariser Klimaabkommen. Das sei im Endeffekt eine »Schummelei«, meint Viviane Raddatz von der Umweltstiftung WWF. Rechne die EU künftig die Senken ein, kämen in energielastigen Bereichen wie Strom, Gebäude und Verkehr real nur 51 bis 53 Prozent Einsparung zusammen.
Das miteinander Verrechnen hält Raddatz daher für ein falsches Signal. »Wir brauchen in allen Bereichen Klimaneutralität - plus die Effekte aus den Senken«, betont die WWF-Expertin. »Diese können nämlich auch einfach zu CO2-Quellen werden. Wenn der Wald brennt, ist die Senke weg und die Reduktion auch.«
Klimaschützer zeigen sich ob des 55-Prozent-Ziels offensichtlich hin- und hergerissen. Gegenüber den 40 Prozent sei es schon eine »erhebliche Verbesserung«, räumt Raddatz ein. Um allerdings das Pariser 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müsste die EU ein Ziel von 65 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 beschließen und dann auch ohne Buchungstricks erreichen, fordern der WWF und andere große Umweltverbände einhellig.
Diese sich abzeichnende EU-Klimalücke von zehn Prozentpunkten sollte politisch bearbeitet werden, schlägt Raddatz vor. Ihre Hoffnungen ruhen zunächst auf dem EU-Parlament, das mehrheitlich ein Minderungsziel von 60 Prozent beschlossen hat. Es müsse »ein Mehr her« in den anstehenden Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und den EU-Ländern. Minus 55 Prozent ohne Anrechnung der Senken - das wäre für Raddatz das Mindestziel, das als Kompromiss am Ende stehen könnte.
Ein 55-Prozent-Ziel würde für Deutschland jedenfalls ganz neue Einspardimensionen bedeuten, macht Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe klar. So müssten im Verkehr die Emissionen bis 2030 nicht mehr nur um 40, sondern um 57 Prozent sinken, verglichen mit 1990. In absoluten Zahlen: Statt 95 Millionen wären nur noch jährliche Verkehrsemissionen von 70 Millionen Tonnen CO2 erlaubt. Allerdings hat Müller-Kraenner den Eindruck, dass die amtierende Bundesregierung, sobald die EEG-Novelle beschlossen ist, die klimapolitische Arbeit einstellen möchte. »Das Klimakabinett hat letzte Woche nicht eine Maßnahme beschlossen - wo jeder weiß, dass zusätzliche Maßnahmen notwendig sein werden.«
Unterstützung in puncto Verkehr erhielt Müller-Kraenner von der EU-Kommission. Deren Vizepräsident Frans Timmermans legte am Mittwoch einen Plan für eine klimafreundliche Verkehrsstrategie bis 2050 vor. Schon 2030 sollen 30 Millionen Autos ohne Abgase in Europa fahren, der Verkehr in Hochgeschwindigkeitszügen soll sich verdoppeln.
Silvie Kreibiehl, Vorsitzende der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, baut derweil weiter auf den sogenannten Paris-Mechanismus, bei dem sich die Staaten praktisch freiwillig zu immer höheren Klimazielen verpflichten und sich gegenseitig so hochschaukeln sollen, dass die Welt auf den 1,5-Grad-Pfad kommt. Hoffnungsvolle Beispiele für ambitionierte Klimaziele kamen für Kreibiehl jüngst aus Großbritannien und Südkorea. »Das internationale Rennen um die Klimaneutralität hat begonnen«, sagt sie. Und es wäre doch schade, wenn die Kanzlerin und die EU da nicht mithalten könnten.
Ob Angela Merkel auf dem »Ambition Summit« reden wird, ist nach bisherigem Stand noch nicht klar. Voraussetzung dafür wäre wohl, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU zuvor auf die 55 Prozent einigen. Merkel wird reden, wenn sie etwas anbieten kann, wird orakelt. Ob sie aber auf dem EU-Gipfel darum kämpfen wird, etwas anbieten und international glänzen zu können - das steht in den Sternen.
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