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Gegen Boykott wie Gegenboykott
Der BDS-Beschluss des Bundestages löse »gefährliche« Diskursverengungen aus, sagen wichtige Kulturinstitute
Jüngst erschien in der »Taz« ein Text über die in Israel umkämpfte Berufung des weit rechts stehenden Nicht-Historikers Effi Eitam zum Leiter der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Unter der auf »Jana aus Kassel« - jene »Querdenkerin«, die sich jüngst mit Sophie Scholl verglich und zum Internetgespött wurde - anspielenden Überschrift »Effi aus Israel« war von einer »Instrumentalisierung der Holocausterinnerung« zu lesen: Auch »in Israel erleben wir«, so der Autor, schon »seit Jahrzehnten, wie die ›Lehre‹ aus der Schoah als Begründung für nationalistische und rassistische Ideologie verwendet wird«.
Kaum wurde nun dieser kurze Text in einer Social-Media-Gruppe zur Diskussion gestellt, in der sich mehrere Tausend mehr oder weniger linke Teilnehmende aus dem deutschsprachigen Raum meist unter Klarnamen zu Geschichtsthemen austauschen, hagelte es böse Kommentare. Die »Taz« sei und bleibe nun mal ein »antisemitisches Drecksblatt«, hieß es da zum Beispiel. Und der Verfasser persönlich bekam auch gehörig sein Fett weg: »Hat die taz wieder einen jüdischen Kronzeugen gefunden?«
Man muss dazu sagen, dass derart polemische Reaktionen auf besagter Geschichtswissenschaftsplattform weder den allgemeinen Tenor vorgaben noch unwidersprochen blieben. Doch zeigt der Umstand, dass offenbar akademisch gebildete Leute selbst in diesem recht »klaren Fall« - mit einem Yad-Vashem-Leiter ohne jede Vorbildung, der mehrfach durch rassistische Entgleisungen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung auch im Kernland Israels aufgefallen ist, will die israelische Rechte den Holocaust und den Antisemitismus noch enger auf den Nahostkonflikt beziehen - zu einem derart zugespitzten Vokabular greifen, wie polarisiert dieses Feld mittlerweile ist.
Nun unterliegen polarisierte politische Konstellationen stets einem Effekt, den man frei nach dem Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger das Feindliche-Medien-Syndrom nennen kann: Wo bereits Differenzierungen, Relativierungen oder gar Historisierungen der eigenen Haltung als tendenziell »gegnerisch« verstanden werden, neigt man oft zu der Wahrnehmung, die jeweilige »Gegenseite« sei in der Öffentlichkeit überrepräsentiert.
Wald der Warnschilder
Doch auch im Bewusstsein dessen lässt sich wohl sagen, dass sich im Deutschland der jüngsten Vergangenheit das Feld in eine eindeutige Richtung verschoben hat: Wer Empathie oder gar politische Solidarität mit palästinensischen Perspektiven auf den Nahostkonflikt ausdrücken - oder mit Personen kooperieren will, von denen das zu erwarten ist -, bewegt sich in einem Wald von Warnschildern und Stoppzeichen. Zugleich sitzt ein zunehmend auf die Frage von Parteinahme im Nahostkonflikt abstellender Vorwurf des Antisemitismus - was zumal in Deutschland gravierend ist - relativ locker.
Da ist auf der einen Seite ein System aus lose vernetzten Echokammern, das von weit links bis weit rechts reicht und sich nicht scheut, Institutionen, Publikationen und Personen scharf anzugreifen. Und da ist auf der anderen Seite seit etwa anderthalb Jahren ein Akt des Gesetzgebers - der im Mai 2019 mit den Simmen der CDU/CSU, SPD, FDP und großer Teile von Bündnis 90/Die Grünen den Antrag »BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten - Antisemitismus bekämpfen« beschlossen hat.
Dass nun dem wachsenden Antisemitismus in Deutschland und Europa »entschlossen begegnet« werden müsse, unterschreiben dabei alle derjenigen Personen und Institutionen, die am Donnerstag unter dem etwas sperrigen Titel »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit« auf einer Pressekonferenz in Berlin hervortraten. Ebenso einhellig war auf dem Termin im Deutschen Theater die grundsätzliche Kritik am Ansinnen der palästinensischen Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions«, Israel umfassend zu boykottieren, also ganz unabhängig jeder Positionierung auch seine Wissenschaft, seine Intellektuellen und Kulturschaffenden. Und mehr als das: BDS erhebe, sagte etwa Hanno Loewy, der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, nicht minder einen »ethnisch exklusiven Anspruch« als die israelische Rechte - was politisch »fatal« sei, aber weder der einen Seite als »per se antisemitisch« noch der anderen Seite als »per se rassistisch« vorzuwerfen.
Es gehe der Initiative, das sagte nicht nur Barbara Stollberg-Rilinger, allerdings darum, dass »Boykott nicht mit Boykott« beantwortet werden dürfe. Innerhalb von Wissenschaft und Kultur, so die Direktorin des Wissenschaftskollegs Berlin, dürfe es gerade keine »Safe Spaces« geben, also Mechanismen, die Kontroversen im Rahmen von Recht und Verfassung a priori ausschließen - wohl aber müsse der Bereich von Kunst- und Wissensproduktion insgesamt als »Safe Space« verteidigt werden. Nähme sie den BDS-Beschluss »wörtlich«, sagte Stollberg-Rilinger, könne sie künftig auch etliche jüdische und israelische Persönlichkeiten nicht mehr einladen, mit denen das Kolleg in der Vergangenheit kooperiert habe. Ähnlich war es Susan Neiman wichtig, auch »als Jüdin« zu sagen, dass man nach derzeitiger Lage wohl selbst Hannah Arendt oder Albert Einstein nicht ohne Weiteres auf ein Podium setzen könne - hatte doch Letzterer etwa das 1948 von israelischen Kämpfern im palästinensischen Dorf Deir Yasin verübte Massaker »faschistisch« genannt.
Bundeskultur versus Parlament
Schon seit dem Frühjahr, sagte eingangs der Gastgeber am Deutschen Theater, Ulrich Khuon, habe sich die Initiative zu treffen begonnen. Das Ergebnis ist schon formal eine spektakuläre Breitseite: Hier spricht sich nicht vereinzelte Kulturprominenz gegen einen mit großer Mehrheit gefallenen Beschluss des Bundestages aus, sondern Personal aus der Führungsebene mehrerer zentraler Institutionen staatlicher Kulturpolitik: Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, Hortensia Völckers, die künstlerische Leiterin der Kulturstiftung des Bundes, Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung - und auch Hartmut Dorgerloh, der Generalintendant des Humboldt-Forums in Berlin.
Dürfte heute jemand wie der südafrikanische Bischof und legendäre Anti-Apartheid-Kämpfer Desmond Tutu nach Berlin eingeladen werden, dem in gewisser Weise sicherlich Sympathien zum BDS nachgesagt werden können? Wie nehmen jene israelischen Studierenden der Berliner Kunsthochschule Weißensee einen deutschen Staat wahr, der ihnen im Oktober auf Intervention einer konservativen israelischen Zeitung die Mittel für ihr Projekt »School for Unlearning Zionism« strich? Was ist davon zu halten, dass dieses Projekt junger linker Israelis von einer staatlich mitfinanzierten Stiftung rasch als antisemitischer Vorfall gelistet wurde, als wäre das mit Nazi-Schmierereien vergleichbar? Wurde je zu recherchieren versucht, ob und welche Meinung der 1990 von Nazis erschlagene Vertragsarbeiter Amadeu António Kiowa zu Israel und Palästina hatte oder gehabt haben könnte, in dessen Namen jene Stiftung spricht? Seine Heimat Angola unterhält Beziehungen zu Israel, doch sind dort propalästinensische Statements nicht nur Regierungslinie, sondern durchaus auch Teil der politischen Folklore.
Überhaupt werden afrikanische Perspektiven auf die deutsche wie auch die israelische Geschichte hierzulande noch nicht sehr lange wahr-, geschweige denn nachhaltig und in ihrer Differenzierung ernst genommen. Das zeigte sich zuletzt in dem Gezerre um Achille Mbmebe, das im vergangenen Frühjahr durch die Feuilletons tobte - und nun auf der Veranstaltung im Deutschen Theater die meisterwähnte Causa war. Bernd Scherer, Intendant des Berliner Hauses der Kulturen der Welt - wo Mbembe vor jenem Skandal schon mehrfach zu Gast war - , hat daraus vor allem gelernt, dass unter jetzigen Bedingungen Einladungen an außereuropäische Persönlichkeiten mit einem erheblichen Risiko verbunden sein können, dieselben ernstlichen Verletzungen auszusetzen.
Amelie Deuflhard, Leiterin des Hamburger Kulturzentrums Kampnagel und für das Bündnis Internationaler Produktionshäuser auf der Veranstaltung, kritisierte, wie unverblümt die Intendantin der Ruhrtriennale, Stefanie Carp, wegen des geplanten Auftritts Mbembes aus dem politischen Raum angegriffen worden sei. Hortensia Völckers von der Kulturstiftung des Bundes sagte, man werde niemals jemanden »als Unterstützer des BDS« einladen. Doch inwieweit kann man Kulturschaffende und Wissenschaftspersönlichkeiten auf ihren diesbezüglichen Standpunkt »checken«?
Im »Plädoyer der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit« wird ausdrücklich nicht jener BDS-Beschluss selbst kritisiert, aber ganz grundsätzlich dessen »Anwendung«: Es sei eine »Logik des Boykotts« entstanden, die »gefährlich« sei. Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, sprach von einer »schwarzen Liste«, die sich ob der so geförderten Grauzonen in seinem Hinterkopf festgesetzt habe - wer drauf steht, wollte er nicht sagen, um diese Leute zu schützen.
Freiheit von der Staatsräson
Angesichts all dessen will die Initiative den Grundgesetzartikel 5.3 starkmachen: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.« Christoph Möllers, Rechtsphilosoph und Verfassungsrechtsprofessor an der HU Berlin, kritisierte einen »staatlich gebilligten Meinungsdruck auf Individuen«, der hierzu in Gegensatz geraten könne: »Öffentliche Kulturförderung darf keiner Staatsräson folgen, auch keiner guten Staatsraison.«
Der Klage gegen den BDS-Beschluss, die der Anwalt Ahmed Abed anstrengt, hat sich die Initiative freilich nicht angeschlossen. Sie sucht einstweilen eher die öffentliche Auseinandersetzung - und wird dieselbe aus den den einschlägigen Echokammern auch bekommen. Mal wieder typisch, so könnte es heißen, die deutsche Kulturschickeria sei eben latent antisemitisch: Wenn schon jemand wie Meron Mendel, der jenen Text über »Effi aus Israel« verfasst hatte, als »Kronzeuge« des Antisemitismus angegangen wird, ist vom Niveau der anstehenden Debatte nicht viel zu erwarten. Denn immerhin beschäftigt Mendel an der Bildungsstätte Anne Frank durchaus auch Personen, die über Achille Mbembe den Stab zu brechen auch öffentlich bereit waren.
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