Unrühmliche Aussagen

Ein Innenministerium trollt den Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 6 Min.

Es ist schon der zweite Anlauf, den der Verfassungsschutzchef des Landes Mecklenburg-Vorpommern zum Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss nimmt. Nachdem sein erster Auftritt Ende November einer Aussageverweigerung glich und ihm ein Ordnungsgeld drohte, hatte das Innenministerium vermeintlich ein Einsehen und gewährte eine großzügigere Aussagegenehmigung.

Reinhard Müller sollte zu Hinweisen aussagen, die Mitarbeiter seiner Behörde im vergangenen Jahr direkt an die Generalbundesanwaltschaft gegeben hatten. Er wurde brüskiert und zeigt sich unzufrieden damit, dass ein Meldeweg an ihm vorbei gewählt wurde. Schon vor dem Anschlag am Breitscheidplatz und auch kurz danach gab es Hinweise, die auf Anschlagspläne und eine Unterstützung des Attentäters Anis Amri durch eine Berliner Familie hindeuteten, die dem Bereich der organisierten Kriminalität zugerechnet wird. Geld und Fluchtfahrzeug, eventuell auch die Tatwaffe, sollen aus den Kreisen einer arabisch sprechenden Großfamilie stammen.

Verfassungsschützer Müller hatte diese Hinweise als nicht glaubwürdig eingestuft und entschieden, auch nach dem Anschlag die Ermittlungsbehörden nicht einzuschalten. Dazu wäre er laut Verfassungsschutzgesetz verpflichtet gewesen, da bereits eine Straftat begangen worden war. Die Hinweise die vor der Tat eingegangen sind, aber als unglaubwürdig galten, haben sich schlussendlich bewahrheitet. Einsicht zeigt Müller nicht, jedoch würde er diese Hinweise künftig weitergeben. All das sei »Ärger, den man sich hätte ersparen können«, äußert Müller.

Mit seiner in weiten Teilen widersprüchlichen, langwierigen und ausweichenden Aussage konnte Müller im Untersuchungsausschuss erneut nicht überzeugen und strapazierte die Geduld der Abgeordneten und des Publikums. Mehrfach versuchte er aus einem eingestuften Dokument zu zitieren und konnte weder durch den Landesvertreter Berlins, noch durch den Ausschussvorsitzenden Klaus-Dieter Gröhler (CDU) in seinem Rededrang gestoppt werden. Erst eine Intervention der Landesvertreterin Mecklenburg-Vorpommerns, Yvonne Mathiske, lies Müller erkennen, dass er unbeabsichtigt auf dem Weg war, selbst zum Whistleblower zu werden.

Kalaschnikow im Tresor

Durch die Aussagen der Quellenführer A.B. und T.S. war Verfassungsschutzchef Müller unter Druck geraten. In nicht-öffentlicher Sitzung hatten die Beamten zu Protokoll gegeben, ihnen sei untersagt worden, die Hinweise der Quelle auf den Attentäter Anis Amri und dessen Verbindungen schriftlich niederzulegen. Müller bestreitet das wenig überzeugend, da er sich in Widersprüche verstrickt und kaum stringent aussagt.

Wie schon Ende November zeigt Müller auch in dieser Sitzung Lücken, wenn es um die gesetzliche Grundlagen seiner Arbeit geht. Befugnisse und Pflichten, die die Parlamentarier unterschiedlicher Fraktion mit ihm besprechen, sieht er eher als »Auslegungssache« und »Führungsentscheidungen« an. Müller muss auch erklären, was es mit einer tschechischen Kalaschnikow auf sich hat, in deren Besitz seine Behörde gelangt ist. Eine Kriegswaffe, die unbrauchbar gemacht wurde und nun als Dekorationswaffe gilt, beschäftigt über weite Teile die Parlamentarier*innen.

Unter den Augen der rund 30 Menschen auf der Zuschauertribüne stellt Müller zunächst unter Beweis, dass er den Unterschied zwischen einer Dekorationswaffe und einer Anscheinwaffe offenbar nicht kennt. Martina Renner (Linke) erläutert, dass eine Dekorationswaffe eine echte Waffe ist, die unter Umständen wieder funktionsfähig gemacht werden kann, während eine Anscheinwaffe nie dazu geeignet war, überhaupt ein tödliches Geschoss abzufeuern. Müller streitet das ab und wirkt nicht in der Lage den Unterschied und die Relevanz zu erkennen.

Renner erläutert, dass Dekorationswaffen, die wieder funktionsfähig gemacht wurden bei den Anschlägen in Paris auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und das Bataclan-Konzerthaus 2015 genutzt wurden. Sie vermutet, dass es in der Region Rostock einen relevanten Schwarzmarkt gibt, der gleichermaßen Dschihadisten, wie auch Rechtsradikale mit Waffen versorgt. Müller habe davon noch nichts gehört.

Weitere Fragen zur Kalaschnikow hatte der Landtagsabgeordnete Dirk Friedriszik (SPD) am Mittwochabend aufgeworfen, als er in einer offiziellen Anfrage auf diese Waffe und ihren möglichen Einsatz bei den Anschlägen von Paris hinwies. Müller verstrickt sich in Widersprüche. So behauptete er, ihm sei seit Sicherstellung der Waffe »irgendwann vor 2017« klar gewesen, dass diese Waffe nicht funktionsfähig sei. Ein Gutachten dazu hatte Müller aber erst nach dem Whistleblowing-Vorfall Ende 2019 durch das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern auf anraten des Staatssekretärs Thomas Lenz erstellen lassen.

Vom Verbleib der Waffe, die sich nach seiner Aussage in einem Tresor im Landesamt für Verfassungsschutz befunden habe, will er nichts wissen. Müllers Einlassung wirkt wie eine Ausrede, denn er kann weder den Ort, noch den für den Tresor zuständigen Mitarbeiter oder die Abteilung benennen. Nach mehreren ausweichenden Antworten verstrickte er sich zusehends in Widersprüche. »Gucken Sie in ihr Eingangsstatement! Da steht es ganz anders drin!«, ruft der CDU-Abgeordnete Alexander Throm in die immer weiter abgleitende Aussage Müllers.

Als nach mehreren Stunden dann die Aussage endet, ist Müllers größte Sorge, ob der Ausschuss weiterhin plant, ein Ordnungsgeld gegen ihn zu verhängen. Der Ausschuss prüfe weiterhin, versichert der Ausschussvorsitzende Gröhler. Müller nutzt einen letzten Moment der Aufmerksamkeit und diskreditiert die Zeugen, die die unliebsamen Hinweise vorgebracht haben mit dem Hinweis, der Ausschuss solle doch einmal prüfen, welchen Hobbies und Aktivitäten A.B. und T.S. »in ihrer Freizeit so nachgehen« würden.

Fragwürdiger Staatssekretär

»Offenbar meint man in Mecklenburg-Vorpommern Untersuchungsausschuss sei irgendein Witzgremium«, twitterte Martina Renner am Mittwochabend, als bekannt wurde, dass Staatssekretär Thomas Lenz am Vorabend seiner Aussage ein Pressegespräch mit ausgewählten lokalen Pressevertretern anberaumt hatte. Renner vermutet, Lenz wolle »schon mal die eigene Erzählung« setzen. Ein Verhalten, das wenige Wochen zuvor vom umstrittenen Ex-Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen gezeigt wurde.

Lenz bleibt nach der langwierigen Aussage seines Kollegen Müller am Donnerstag dann nur noch ein kurzes Zeitfenster von dreißig Minuten. Die Forderung des FDP-Abgeordneten Benjamin Strasser, die Aussage zu vertagen, verhallt ungehört. Lenz scheint sein Eingangsstatement unbedingt in die Welt setzen zu wollen, spricht mit hoher Geschwindigkeit und kündigt an, das Statement auch sogleich im Internet veröffentlichen zu wollen.

Mehr und mehr Zuschauer und Abgeordnete verlassen den Saal, als Lenz seine Redezeit überwiegend dazu nutzt, die Zeugen A.B. und T.S. zu diskreditieren und Versäumnisse zu bestreiten. In seinem Rededrang zitiert Lenz aus eingestuften Dokumenten der Berliner Behörden und wird gebremst. »Wenn diese Passage Teil seiner Presseinformation ist hat er möglicherweise Geheimnisverrat begangen«, macht Martina Renner deutlich.

Am Ende des Tages rät der Ausschussvorsitzende Gröhler dem Zeugen Lenz davon ab, das Eingangsstatement zu veröffentlichen. Auch hier gleicht das Vorgehen von Lenz dem von Hans-Georg Maaßen, dessen Eingangsstatement noch während der laufenden Aussage veröffentlicht wurde. Immerhin entschuldigt sich Lenz für die Aussage des ihm unterstellten Müller. Diese sei so nicht beabsichtigt gewesen, »jedenfalls nicht von mir«, meint Lenz.

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