- Politik
- Asylpolitik
Innenminister beenden Abschiebestopp nach Syrien
Ab 2021 Rückkehr zur Einzelfallprüfung / Linke warnt vor »Stimmungsmache gegen Geflüchtete«
Berlin. Der seit 2012 bestehende Abschiebestopp für Syrien läuft zum Jahresende aus. Bei den Beratungen der Innenminister von Bund und Ländern konnten sich die Vertreter der SPD-geführten Länder nicht mit ihrer Forderung nach einer Verlängerung durchsetzen. Das wurde der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstagabend von Teilnehmern der Konferenz bestätigt, unter anderem aus dem Kreis der SPD-geführten Länder.
Das bedeutet, dass die Behörden ab dem kommenden Jahr wieder in jedem Einzelfall solch eine Möglichkeit prüfen können. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) als Sprecher der unionsgeführten Länder hatte aber schon während der Beratungen betont, dass sich die Frage einer möglichen Abschiebung bei den allermeisten syrischen Flüchtlingen gar nicht stelle. Es gehe um die kleine Gruppe von schweren Straftätern und Gefährdern, also Menschen, denen die Sicherheitsbehörden schwerste politisch motivierte Straftaten bis hin zum Terroranschlag zutrauen.
Deren Aufenthalt hierzulande sei der Bevölkerung nicht zuzumuten, sagte Herrmann. »Da muss im Einzelfall in Zukunft wieder geprüft werden können, sie auch in ihre Heimat zurückzuführen.« Dies hatte zuvor auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gefordert, der sich bei der Konferenz nach einem Kontakt mit einer coronainfizierten
Mitarbeiterin von einem Staatssekretär vertreten ließ. Die unionsgeführten Länder drängen schon seit Längerem auf ein Ende des pauschalen Abschiebestopps, das Thema sorgte bei früheren Innenministerkonferenzen für heftige Diskussionen.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius als Sprecher der SPD-geführten Länder hatte am Nachmittag erklärt, die Diskussion sei realitätsfern. Allein technisch und praktisch seien Abschiebungen in das Bürgerkriegsland derzeit nicht möglich, schon weil Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zum Regime von Baschar al-Assad unterhalte. Damit fehlten auch Anlaufstellen, um eine Rückführung zu organisieren. Außerdem dürfe niemand in ein Land abgeschoben werden, in dem ihm Folter oder Tod drohten. Sollte der Abschiebestopp nicht verlängert werden, werde er nachhalten, wie viele Menschen tatsächlich abgeschoben werden.
Herrmann sagte, nach Deutschland seien auch Assad-Anhänger gekommen, die angegeben hätten, von der Terrormiliz IS verfolgt zu werden. »Wenn ich so jemanden nach Damaskus zurückschicke, ist überhaupt nicht erkennbar, dass dem irgendwas dort sozusagen vom dortigen Regime droht.« Assad-Gegner hingegen könnten womöglich in Landesteile
unter der Kontrolle der Türkei oder kurdischer Gruppen geschickt werden.
Von Grünen und Linken kam schon während der Gespräche heftige Kritik. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth warf den Innenministern von CDU und CSU Verantwortungslosigkeit vor. »Dass die Innenminister der Union den Abschiebestopp nach Syrien zum Jahresende auslaufen lassen wollen, ist ein Skandal und an Verantwortungslosigkeit nicht zu überbieten«, sagte sie. Syrien sei ein Folterstaat, eine Diktatur und weiterhin ein Kriegsland, in dem kein Mensch sicher sei. Auch bei Straffälligkeit sei es nicht gerechtfertigt, Menschen einer Gefahr für Leib und Leben auszusetzen.
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, sprach von »Stimmungsmache gegen Geflüchtete«. Syrien sei nicht sicher, darauf weise auch das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht hin. »Menschenrechte sind unteilbar, und sie gelten auch für sogenannte Gefährder und Straftäter - niemand darf nach Syrien abgeschoben werden.« In seinem internen Bericht hatte das Außenamt geschrieben: »Ungeachtet des relativen Rückgangs der Kampfhandlungen kommt es laut den Vereinten Nationen in allen Landesteilen weiterhin zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure.«
Die Konferenz findet wegen der Coronakrise im kleinen Kreis mit wenigen Ministern in Berlin statt, der Rest wird zugeschaltet. Sie endet am Freitag. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.