Mein öder Schwan

An der Berliner Staatsoper feiert Richard Wagners »Lohengrin« Premiere - ohne Publikum, aber vor Fernsehkameras

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Ohne Virus hätte er gelitten. Nicht alle Menschen sind Freunde der Fremdscham. Wer das Begaffen von öffentlichen Peinlichkeiten lieber meidet, dem sei unter keinen Umständen empfohlen, die Aufzeichnung von Richard Wagners »Lohengrin« auf Arte (auch online) zu gucken. Premiere fürs Fernsehpublikum war am Sonntag.

»Er«, das ist unter anderem die Hauptrolle, der glänzende Held auf dem Schwan, Roberto Alagna sang den Lohengrin und traf keinen Ton. Gut vier Stunden lang knödelte er gegen Elsa an, der absolut souveränen Litauerin Vida Miknevičiūtė hatte er nichts entgegenzusetzen. Auf dem Schwan ritt er zum ersten Mal, in Bayreuth blieb er 2018 nach eigener Absage dem ZK der Franz-Josef-Strauß-DDR verschont, er hatte den Text nicht gelernt.

»Er«, damit ist auch Calixto Bieito gemeint, dessen hohle Inszenierung nicht als die Leistung eines Regisseurs zu bezeichnen ist, ein geeigneterer Titel für den Mann enthält drei Ds: Diffuser-Dekorations-Direktor. Der Live-Kommentator von Arte lehrte den rätselnden Zuschauer, das Arrangement aus Neonröhren, Couchen, Rollrasen, Bürostühlen und Modellautos sei »tiefgründig«. Merksätzchen zum Lohengrin: Wenn die Regie das Stück nicht verstanden hat, sind Kinderleichen zu erwarten. Modrige, bizarre, traurige Kinderleichen. Drama, wo keines ist, muss erzeugt werden, die Vorlage gibt nix her, Richard Wagner war zu Humor nicht fähig, deswegen furzte man ihn so gerne im Bürgerbräukeller. Lustig ist, dass Alagna beim allerersten Auftritt sitzen muss, Bieitos Schwachsinn blamiert ihn von Anfang an.

»Er«, das kann auch Matthias Pintscher sein, dessen Staatskapelle trötet und streicht, aber an diesem Tag Wagners romantischen Schwulst zum Partiturporno verkommen lässt. Das Haus klingt eh schon klinisch, zerlegt jegliche Musik in Effekt. Dem entgegenwirken kann regelmäßig nur Daniel Barenboim, indem er einfach langsamer spielen lässt. Des Sachsenzwergs Noten stellt auch er gerne aus, zuletzt geschehen im Februar 2018. Aber Barenboim und sechs Stunden »Tristan und Isolde« sind andere Kategorien als Pintschers passiv-aggressive Märchenorgie, gegen die keine Sänger, nicht mal die überlegenen Sängerinnen ankommen. Ekaterina Gubanova als resolute Russin namens Ortrud bemüht sich sehr, alle überspielen ihre Hilflosigkeit ins Klischee, ohne Regie fehlt jegliche Orientierung.

Mit »Er« muss unbedingt auch Intendant Matthias Schulz identifiziert werden, der eine weitere, teure Nichtigkeit inklusive Weltstars angeleiert hat. Höhepunkt solcher Obszönitäten auf Steuerkohle war der Juni 2018. Damals quälte sich der damals 77-jährige Placido Domingo im Bariton neben Anna Netrebko durch Verdis »Macbeth«. Die glitzernde Katastrophe übertrug man simultan auf den benachbarten Bebelplatz für die Masse auf Leinwand: »Staatsoper für alle!«

Allen ist die Oper herzlich egal - DDD Bieito will die arbeitende Bevölkerung erwähnt haben und kopiert die Joker-Ikonografie aus den letzten Kinofilmen. Adam Kutny als Heerrufer ist angewiesen, Joaquin Phoenix zu imitieren; seinen König, René Pape, hat Bieito zum Glück in Ruhe gelassen.

Auf dem Rollrasen und auf dem Sofa wird sich geräkelt; Elsa fragt den Lohengrin nach seinem Namen, der Zuschauer kennt ihn schon: »Rumpelstilzchen«. Zum Schluss ein Kind mit Schwert, es ist vielleicht aus dem schwangeren Bauch der dunkelhäutigen Frau in den Videoprojektionen gekrochen. Man weiß es nicht, der Pinke Panther kam darin auch vor, ist eventuell Erzeuger.

Am Ende Applaus von allen Mitwirkenden für sich selbst, sie tragen jetzt schwarzen Mundnasenschutz. Im Publikum sitzt keiner, der die Sitze hätte rausreißen und schmeißen können. Auch in diesem Sinne schützt diese Pandemie alternativlos vor Kritik.

»Lohengrin« ist in der Mediathek von Arte zu sehen. Eine Aufführung vor Publikum soll für Mai nächsten Jahres geplant werden.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.