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Der BND - auch künftig weitgehend kontrollfrei
Der neue Gesetzentwurf aus dem Bundeskanzleramt ist inakzeptabel
Der neue Gesetzesentwurf des Bundeskanzleramtes für den Bundesnachrichtendienst (BND) gibt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vordergründig vor, die vom Gericht beanstandeten Rechtsverstöße zu beseitigen. Stattdessen lässt er jedoch klaffende Schlupflöcher, die der BND kreativ auslegen kann. So werden die militärischen nachrichtendienstlichen Aktivitäten des Dienstes, die Überwachung der Kommunikation im Ausland, wenn sie von außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets aus erfolgt, die Datenerhebung durch Eignungstests und vieles mehr nicht effektiv geregelt und überwacht.
Auch durch die weitere Zersplitterung der ohnehin schon zersplitterten Aufsichtsstruktur wird die Bundesregierung den Schutz der Grundrechte im In- und Ausland missachten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausland-Ausland-Telekommunikationsüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) vom 19. Mai 2020 fand in der deutschen Öffentlichkeit einen breiten Widerhall. Von den einen, insbesondere Befürwortern von Bürger- und Freiheitsrechten als großer Erfolg gefeiert, von den anderen, insbesondere Vertretern des Status quo bestehender nachrichtendienstlicher Überwachungspraxis als sicherheitsgefährdendes Fiasko eingestuft, schien das Urteil nach den vorangegangenen Enthüllungen Edward Snowdens und den Ermittlungen des BND-Untersuchungsausschusses im Bundestag 2014–2017 einen grundlegenden Neubeginn zu ermöglichen.
Das Urteil des Verfassungsgerichts
Tatsächlich hatte das höchste deutsche Gericht verkündet, dass eine anlasslose Massenüberwachung des BND der Ausland-Ausland-Telekommunikation massiv gegen Grundrechte verstoße, die aktuelle Praxis des BND in mehreren Punkten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletze und die Grundrechtsbindung deutscher Behörden auch im Ausland gelte. Doch entsprach eine solche Einschätzung eher dem medial verkürzten Tenor der am Tag der Urteilsverkündung verlesenen knappen Zusammenfassung des Gerichtsentscheids. Der nicht verlesene, überwiegende Teil des insgesamt 122 Seiten umfassenden Urteils hingegen enthielt zahlreiche Hinweise, wie diese bisherigen Rechtsverstöße womöglich zu heilen seien.
Zugleich traten bei genauerer Lektüre auch Unstimmigkeiten und Widersprüche im Gang der Argumentation hervor, bis hin zu Unkenntnissen des Gerichts über die Technologien digitaler Kommunikation und deren Überwachung als auch über das Ausmaß und die Spannweite von deren realer Kontrolle. Dies konnte und hat das Bundeskanzleramt in einem Ende September vorgelegten und Ende November modifizierten Entwurf für eine Gesetzesnovelle genutzt, um zu versuchen, die bislang durch den BND geübte rechtswidrige oder im Graubereich befindliche Praxis der Ausland-Fernmeldeaufklärung erstmals in einem juristischen Gewand zu legalisieren.
Unabhängiger Kontrollrat
Dem Gesetzesentwurf zufolge neu geschaffen wird ein Unabhängiger Kontrollrat. Diesem Kontrollorgan, das mit mehr als 60 Personalstellen ausgestattet werden soll, obliegt die gerichtsähnliche und administrative Rechtskontrolle eines Teils der technischen Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND. Die gerichtsähnliche Kontrolle selbst – sie tritt an die Stelle des vormaligen Unabhängigen Gremiums – besteht aus sechs Mitgliedern, von denen zuvor mindestens vier aktiv als Richter und bis zu zwei als Bundesanwälte am Bundesgerichtshof tätig gewesen sein müssen. Sie werden vom Parlamentarischen Kontrollgremium mit einfacher Mehrheit – sprich: mit Regierungsmehrheit – für eine Amtszeit von zwölf Jahren gewählt.
Die Kontrollkompetenz der gerichtsähnlichen Kontrolle bestimmt sich nach einem Zuständigkeitskatalog und umfasst, um nur einige zu nennen, Sachverhalte wie die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Anordnungen von strategischen Aufklärungsmaßnahmen, der Verhältnismäßigkeit individueller Überwachungsmaßnahmen durch das Eindringen in IT-Systeme des Auslands oder das Vorhandensein eines »qualifizierten Aufklärungsbedarfs« in Kooperationen des BND zur automatisierten Übermittlung von unselektierten Verkehrsdaten an ausländische Nachrichtendienste. Doch bei genauerer Lektüre des Gesetzesentwurfs wird schnell deutlich, dass der Kontrollrahmen stark eingeschränkt ist. Keinerlei Kontrolle unterliegen weiterhin Operationen, die der BND in Form von strategischen Aufklärungsmaßnahmen allein im Ausland durchführt, ebenso wenig Operationen, die er im Rahmen von Kooperationen zur Ausland-Fernmeldeaufklärung mit ausländischen Nachrichtendiensten im Ausland unterhält. Die vorgesehenen Kontrollpraktiken beziehen sich allein auf Überwachungsmaßnahmen, die von deutschem Territorium ausgeführt werden.
Schlupflöcher
Abweichend von der sonstigen Detailliertheit in den Bestimmungen schweigt sich der Entwurf der Gesetzesnovelle zu Maßnahmen der Ausland-Fernmeldeaufklärung, die nicht vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus geführt werden, geradezu aus. Hier muss gar von einer bewusst geschaffenen Gesetzeslücke gesprochen werden, die kreativ auszufüllen dem BND überlassen bleibt. Der Kreativität in der Gesetzesauslegung durch den deutschen Auslandsgeheimdienst sind bekanntlich seit langem unverantwortlich weite Grenzen gesetzt.
So kreierte er zum Beispiel die so genannte Weltraumtheorie, die behauptete, Daten von Kommunikationssatelliten dürften unabhängig davon, dass sie auf deutschem Boden erhoben und verarbeitet werden, überwacht und an die NSA weitergeleitet werden, weil sie im Weltraum gewonnen würden und dort deutsches Recht nicht greife. Auch waren und wurden internationale Abhöroperationen wie »Monkeyshoulder« mit dem britischen GCHQ oder »Maximator« im Verbund mit Dänemark, Schweden, Frankreich und den Niederlanden nie kontrollgegenständlich, was sich offenbar auch in Zukunft nicht ändern soll.
Ein weites Spielfeld bietet sich dem deutschen Auslandsgeheimdienst zudem im Falle von Eignungsprüfungen. Personenbezogene Daten können demnach bereits zur Bestimmung geeigneter Telekommunikationsnetze oder auch geeigneter Suchbegriffe automatisiert erhoben und ausgewertet werden. Eignungsprüfungen werden behördenintern vom Präsidenten des BND gegenüber den Anbietern von Telekommunikationsdiensten für einen Zeitraum von sechs Monaten angeordnet, können aber jeweils um weitere sechs Monate auf unbestimmte Zeit verlängert werden. Zwar sind aus Eignungsprüfungen gewonnene Daten im Regelfall spätestens nach vier Wochen zu löschen.
Sobald jedoch tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass aus ihnen Hinweise auf eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für die Sicherheit Deutschlands oder die Sicherheit eines Mitgliedstaats der EU, EFTA oder NATO gewonnen werden, dürfen sie weiterhin genutzt werden. Letzteres eröffnet zumindest die Möglichkeit, neben der offiziellen Erfassung künftig im Geheimen eine kontrollfreie Parallelerfassung zu führen. Datenerhebungen im Rahmen von Eignungsprüfungen unterliegen schlicht keiner Kontrolle und Begrenzung – sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die Höhe der erfassten Datenmengen.
Einen vollkommen kontrollfreien Raum bildet künftig weiterhin die militärische Aufklärungstätigkeit des BND für die Bundeswehr. Über sie ist in der Öffentlichkeit bislang so gut wie nichts bekannt. Der Gesetzesentwurf macht sie erstmals namhaft. Beide dürfen nun auch offiziell gemeinsam geführte Dateien unterhalten. Wie jedoch mit im Zweifelsfall geschützten personenbezogenen Daten etwa in Auslandseinsätzen umzugehen ist, ist schon nicht mehr oder allenfalls vage Gegenstand der Regelung. Auch fehlt mit der Kurzwellenerfassung basierend auf der Kreisgruppenantenne des BND in Gablingen ein Spezialfall der militärischen Aufklärung des BND vollständig, da diese nicht auf Basis von Suchbegriffen arbeitet. In der Praxis kaum zu kontrollieren sind zudem all jene Vorgaben, die mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte – nahezu eine stehende Redewendung, die den Gesetzesentwurf von Anfang bis Ende durchzieht – eingeleitet werden.
Sowohl deutsche Staatsbürger als auch Einwohner der EU sowie Personen mit besonderen Vertraulichkeitsbeziehungen wie Geistliche, Rechtsanwälte und Journalisten können gezielt ausgeforscht werden und unterliegen weitgehend ungeprüft der Erfassung, sobald tatsächliche Anhaltpunkte einen Verdacht nach einem gewissen Gefahrenkatalog begründen. Der vom Verfassungsgericht bestätigte besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern wird dadurch weitgehend ausgehebelt.
Weitere Kontrolllücken
Kaum Aussagen enthält der Entwurf zudem zur administrativen Rechtskontrolle. Sie soll komplementär für die Kontrolle der Technik zuständig sein, enthält mit dem zweiten Entwurf aber auch rechtliche Kontrollbefugnisse zur Prüfung von Suchbegriffen im Nachhinein. Zwar hat die administrative Kontrolle Zugang zu den IT-Systemen der technischen Aufklärung des BND, allerdings nur soweit diese in der alleinigen Verfügungsberechtigung des BND sich befinden. Ein in Kooperation mit der NSA betriebenes Überwachungstool wie XKeyscore beispielsweise könnte mit großer Wahrscheinlichkeit nicht geprüft werden. Einen direkten und unmittelbaren Zugang zu allen Informationsverarbeitungsstufen und Datenarten – Voraussetzung für eine moderne datenbasierte Geheimdienstkontrolle – sieht der Regierungsentwurf leider nicht vor.
Vielmehr ist von stichprobenartigen Prüfungen und einer Beobachterrolle die Rede, die, abgesehen davon, dass unklar ist, wer die Stichprobe nimmt, unter den Bedingungen KI-basierter Überwachungsprozesse großer Datenmengen schnell an ihre Grenzen stoßen wird.
Bereits die Bestimmungen zur Volumenbegrenzung der strategischen Ausland-Fernmeldeaufklärung auf 30 Prozent aller bestehenden Telekommunikationsnetze weltweit, mit dem der Gesetzesentwurf das vom Verfassungsgericht vorgegebene Verbot einer globalen Überwachung einzuhalten gedenkt, dürfte sich in der Praxis kaum kontrollieren lassen. Schließlich lässt sich an einem Internetknotenpunkt oder auf einer überwachten Strecke immer nur die konkrete Übertragungskapazität zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmen, nicht aber, wie diese jeweils in Relation zum Verkehrsaufkommen weltweit steht.
Ein zentrales Defizit im Gesetzesentwurf schließlich ist die nahezu vollständige, gegenüber der Neuregelung aus dem Jahr 2016 aufrechterhaltene Entmachtung der parlamentarischen Kontrolle. Das Verfassungsgericht hat hier leider keine konkreten Vorgaben gemacht. Kontrolle aber, der lediglich ein Beanstandungsrecht zusteht und die nicht auch die Kraft entfalten kann, notfalls als Gegenspieler zur Bundesregierung aufzutreten, ist keine wirksame Kontrolle. Zugleich entstünde mit dem neu zu gründenden Unabhängigen Kontrollrat tatsächlich die Diskrepanz, dass künftig die Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND intensiver überwacht würde als die nach den Grundrechtsmaßstäben des Bundesverfassungsgerichts eigentlich eingriffsintensivere, durch die G10-Kommission kontrollierte Überwachung der internationalen Kommunikation (Inland-Ausland-Telekommunikation). Die G10-Kommission, eine weitere bedeutsame Baustelle im deutschen Nachrichtendienstrecht, erreicht somit weder personell noch materiell das sehr begrenzte Maß an Aufsichtsbefugnissen, das jetzt für den Unabhängigen Kontrollrat zur Verfügung stehen soll.
Fazit
Am Ende bleibt festzuhalten: Die ohnehin schon zersplitterte Geheimdienstkontrolle in Deutschland wird weiter fragmentiert. Kein Gremium hat künftig einen echten Überblick darüber, was beim BND wirklich läuft. Das mag die Regierung freuen, für das Parlament, vor allem die Opposition ist das inakzeptabel.
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