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Otegi und Co. sollen wieder vor Gericht
Oberster Gerichtshof in Madrid ignoriert Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Dass der spanische Oberste Gerichtshof fünf baskische Politiker erneut vor Gericht stellen will, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) das Urteil vor zwei Jahren kassiert hatte, trifft auf breite Ablehnung. Der Verfassungsrechtsprofessor Javier Pérez Royo nennt das eine »Ungeheuerlichkeit«. Er sieht eine »klare Rechtsbeugung« und empfiehlt eine Klage gegen die 16 Richter der Kammer und eine Beschwerde am Verfassungsgericht. Bei einer Ablehnung sollte sofort wieder Klage in Straßburg eingereicht werden. Der EGMR habe schließlich die Verurteilung der Basken wegen dem »schwerwiegendsten Defekt« kassiert: »der fehlenden Unparteilichkeit«. Dem Professor der Universität in Sevilla ist »kein vergleichbarer Fall« in Europa bekannt.
Sogar der Ermittlungsrichter, der einst das Verfahren gegen den Chef der baskischen Linkskoalition EH Bildu (Baskenland Versammeln) Arnaldo Otegi, den ehemaligen Gewerkschaftschef Rafael Díez, den Chef der Linkspartei Sortu (Aufbauen) Arkaitz Rodríguez sowie Sonia Jacinto und Miren Zabaleta eingeleitet hatte, hält die erneute Anklage für »schrecklich«. Das sei »in sich eine neue Verurteilung«, sagte Baltasar Garzón. Er hatte ab 1997 den juristischen Feldzug gegen die baskische Linke unter dem Motto angeführt, dass alle Organisationen der Untergrundorganisation ETA untergeordnet seien, die für ein vereintes, unabhängiges und sozialistisches Baskenland kämpfte.
Auf Basis seiner Anschuldigungen wurden die fünf Politiker vor elf Jahren verhaftet und zunächst 2011 am Nationalen Gerichtshof zu ETA-Führungsmitgliedern gestempelt. Für die ETA hätten sie die verbotene Batasuna-Partei wieder aufgebaut. Der Oberste Gerichtshof senkte die Urteile ein Jahr später auf 6,5 Jahre ab, demnach seien es nur einfache Mitglieder gewesen. Es ist nun aber historisch belegt, dass die Gruppe an der Abwicklung der ETA gearbeitet hatte. Die hat ihren Kampf längst eingestellt, ist entwaffnet und aufgelöst.
»Das Urteil wurde annulliert, es steht nur die Frage der Entschädigung an«, meint Garzón, da die Politiker die Strafe bis zum letzten Tag absitzen mussten. Besonders auffällig ist das Vorgehen des Obersten Gerichtshofes auch deshalb, da er die eigene Entscheidung vom vergangenen Juli zur selben Frage ignoriert, als er sein eigenes Unrechtsurteil annullierte.
Auf einer Pressekonferenz in San Sebastián nannte Bildu-Chef Otegi die Tatsache, dass der Oberste Gerichtshof einem Antrag der ultrarechten Vox-Partei stattgeben hat, eine »Absurdität«. Hätten die Verhaftungen einst zum Ziel gehabt, die strategische Neuausrichtung der linken Unabhängigkeitsbewegung zu torpedieren, sieht er erneut »politische Gründe« im Hintergrund. Es sei für einige »unerträglich«, dass EH Bildu »immer stärker« und »immer entscheidender« werde.
Das sagte Otegi auch mit Blick darauf, dass die spanische Minderheitsregierung auch auf die Stimmen von EH Bildu angewiesen ist, wie kürzlich zur Verabschiedung des Haushalts. Immer, wenn die Rechte die Wahlen verliere, verschanze sie sich in Sektoren »der Justiz, des Militärs, der Polizei und der Kommunikationsmedien«, um von dort aus die Politik zu bestimmen. Jetzt wolle sie die »derzeitige politische Lage im spanischen Staat destabilisieren«.
Ähnlich wie Otegi sieht die Sache auch die Unidas Podemos (UP). Die Linkspartei, die als Juniorpartner der sozialdemokratischen PSOE in der Minderheitsregierung in Madrid sitzt, hält es für »unsinnig«, jemanden dafür zu verurteilen, dass er eine legale Partei gegründet hat. Auch der UP-Sprecher Jaume Asens stellt die Unabhängigkeit der Richter mit Blick auf den Vorsitzenden der Kammer Manuel Marchena in Frage. »Marchena gefällt es nicht, dass EH Bildu den Haushalt unterstützt«, sagte er. »Das ist eine Warnung«, sagte er mit Bezug auf Marchena, der als Handlanger der rechten Volkspartei (PP) den Gerichtshof »durch die Hintertür« kontrolliere. Das hatte der frühere PP-Sprecher Ignacio Cosidó verkündet. Die Forderung des PP-Chefs Pablo Casado, die Regierung müsse ihre Zusammenarbeit mit »ETA-Verteidigern« abbrechen, lehnte die sozialdemokratische Regierungssprecherin María Jesús Montero ab. Schlicht deshalb, weil sie die EH Bildu nicht für »ETA-Verteidiger« hält.
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