Jobcenter-Termin trotz Lockdown

Berliner Erwerbsloseninitiative kritisiert Präsenz-Pflicht für Leistungsbezieher

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der neue Lockdown gilt seit Mittwoch. Das Leben in der Hauptstadt ruht weitestgehend. Doch neben Lebensmittelläden, Drogerien, Buchläden oder Kfz- und Fahrradwerkstätten sind auch Behörden und Verwaltungen von der kompletten Schließung ausgenommen. Letztere bieten in Ausnahme- und Notfällen Termine an, gewollte Praxis ist das jedoch nicht. Man soll zu Hause bleiben und Kontakte vermeiden, lautet die Aufforderung.

Doch das gilt scheinbar nicht für alle: Die Berliner Erwerbsloseninitiative Basta! hat nun öffentlich gemacht, dass das Jobcenter in Charlottenburg-Wilmersdorf am 15. Dezember eine Person per Mail zu einem Termin vor Ort eingeladen hatte. Die Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus stelle keinen wichtigen Grund für ein Meldeversäumnis dar, es sei denn es liege eine Krankschreibung vor, heißt es nach Angaben von Basta! in dem Schreiben an die betroffene Frau. Ohne wichtigen Grund einer Meldeaufforderung nicht nachzukommen kann Sanktionen und Leistungskürzungen nach sich ziehen.

Sozialämter und Jobcenter haben ihre Räume gemäß der Infektionsschutzbestimmungen eingerichtet: Zweiertreffen, Abstand, regelmäßiges Lüften, Trennscheiben. Auf nd-Anfrage heißt es aus der Senatsarbeitsverwaltung, »es sollte so wenig wie möglich Präsenztermine geben« und zwar nur die, die »absolut notwendig« seien. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) sei überdies mit der Leitung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit (BA) »in engem Kontakt«.

In der Corona-Verordnung des Senats vom 14. Dezember heißt es, das Verlassen der eigenen Wohnung oder gewöhnlichen Unterkunft ist nur aus »triftigen Gründen« zulässig. Und zu diesen Gründen zählt die Wahrnehmung von Terminen etwa bei Behörden, Gerichten sowie Anwält*innen und Notaren – also auch Termine beim Jobcenter.

Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg sagte gegenüber »nd«, individuelle Gespräche seien »die Basis der Zusammenarbeit von Kunde und Arbeitsvermittler«, um etwa über benötigte Unterstützung zu sprechen. Aber: »Unter den Bedingungen des Lockdowns sind persönliche Begegnungen allerdings nicht geboten beziehungsweise auf Notfälle limitiert. Zum Schutz der Kunden und auch der Mitarbeiter« werde auf Termine verzichtet. Die meisten Anliegen lassen sich telefonisch oder per Mail klären, so der BA-Sprecher weiter.

Im Prinzip kann das Jobcenter also zu Terminen einladen, wenn es ihm wichtig erscheint. Und wer dann keine »wichtigen Gründe« im Sinne des Sozialgesetzbuches für eine Absage vorweisen kann, dem oder der drohen Sanktionen.

Das Sozialgericht Hildesheim hatte erst am 2. Dezember entschieden, dass Angehörigen einer sogenannten Corona-Risikogruppe nicht die Leistungen gekürzt werden dürfen. Ein 45-Jähriger war drei Mal der Aufforderung zum persönlichen Termin nicht nachgekommen. Das Jobcenter im Landkreis Northeim in Niedersachsen entzog dem an Übergewicht leidenden Mann daraufhin die Leistungen zur Existenzsicherung vollständig.

Doch das Gericht widersprach dem Jobcenter in einem Eilverfahren mit Verweis auf Angaben des Robert-Koch-Instituts, wonach bei übergewichtigen Menschen eine erhöhte Gefahr eines schweren Verlaufs einer Covid-19-Erkrankung besteht. Also liege ein wichtiger Grund fürs Fernbleiben vor, der Mann dürfe nicht sanktioniert werden.

Rechtsanwalt Sven Adam, der den Mann vor Gericht vertrat, kritisiert auf seiner Homepage das Verhalten des Jobcenters: »Die vollständige Entziehung von Existenzsicherungsleistungen, um meinen Mandanten zum Erscheinen bei persönlichen Terminen zu zwingen, hat mit dem Handeln einer an Recht und Gesetz gebundenen Behörde nichts mehr zu tun.«

Eine Sprecherin der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg sagte zu der Praxis in Berlin gegenüber »nd«: »Nur in ganz besonderen Einzelfällen werden Kunden während des Lockdowns eingeladen, wenn sie vorher wiederholt weder per Mail noch telefonisch erreichbar waren und es sich um ein wichtiges Anliegen wie eine Arbeitsaufnahme handelt.« Die Berliner Jobcenter handelten also »wie üblich im Rahmen der jeweiligen Gesetzes- und Verordnungslage vor Ort«.

Rechtlich sauber war die Termineinladung also schon, doch die damit verbundene Drohung, Leistungen zur Existenzsicherung zu kürzen, bleibt mindestens menschlich fragwürdig. Und das gilt in der Pandemie wie auch in normalen Zeiten.

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