Weniger Beitrag führt nicht zu mehr Gerechtigkeit

MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker über Auftrag, Kosten und Baustellen der Öffentlich-Rechtlichen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 11 Min.

Sachsen-Anhalt hat die Erhöhung des Rundfunkbeitrages vorerst verhindert. Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden, nachdem die Öffentlich-Rechtlichen Klage eingereicht haben. Wie schätzen Sie die Aussicht auf Erfolg ein?

Sie werden gewinnen.

Was macht Sie da so sicher?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2007. Dem vorausgegangen war eine Entscheidung aller Bundesländer, dass der Rundfunkbeitrag nicht wie von der KEF, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, festgestellt um 1,09 Euro steigen sollte, sondern nur um 88 Cent. Im Nachgang hat das Bundesverfassungsgericht dann festgestellt, dass die Gründe, die damals geäußert worden sind, nicht tragfähig waren, um den Beitrag in diesem Umfang zu senken.

Im aktuellen Streit liegt sogar keine Begründung vor, sondern ein Ministerpräsident hat einen von ihm unterschriebenen Staatsvertrag zurückgezogen. Wenn jedoch nur einer der 16 Landtage der Beitragserhöhung bis zum 31. Dezember nicht zustimmt, ist sie hinfällig. Wenn das nun ohne Begründung geschieht, ist das »Vergehen« meines Erachtens größer als im Jahr 2007 und damit wird das Bundesverfassungsgericht im Sinne der Anstalten entscheiden.

14 von 16 Landtagen hatten dem Staatsvertrag bereits ihre Zustimmung erteilt, Thüringen folgte am Freitag. Wenn es im Kern gar nicht darauf ankommt, fragt man sich schon, ob es dann überhaupt dieses komplizierte Verfahren braucht, dass alle Landesparlamente zustimmen müssen. Könnte man das nicht auch anders organisieren, wenn eigentlich die KEF faktisch festlegt, ob der Rundfunkbeitrag steigt?

Erstens ist dies eine Kompetenz der Landesgesetzgeber. Rundfunk ist in Deutschland Ländersache, das haben die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg so für Deutschland festgelegt. Es sollte keinen zentralen Rundfunk mehr geben. Und - der Rundfunk sollte auch unabhängig von der Regierung sein. Der Landesgesetzgeber entscheidet zweitens auf der einen Seite über den Auftrag, also zum Beispiel die Zahl der Programme.

Warum soll er dann nicht auch über die Höhe des Beitrags entscheiden?

1994 entwickelte das Bundesverfassungsgericht ein dreistufiges Verfahren aus Bedarfsanmeldung der Rundfunkanstalten, fachlicher Prüfung durch die KEF und Beitragsfestsetzung durch die Landtage. Das soll vor politischen Einflussnahmen schützen. Die Länderparlamente sind nicht mehr absolut frei, den von der KEF ermittelten Beitrag einfach zu reduzieren oder abzulehnen. Sie müssen dies sehr genau begründen und dann noch einmal mit der KEF erörtern. Auch dies ist im aktuellen Fall nicht geschehen.

Allerdings dürfen die Länder den Auftrag der Sender bestimmen. Das haben sie dieses Jahr auch mit einem neuen Medienstaatsvertrag getan. Da hat kein Landtag widersprochen. Jedes Fernseh- und jedes Radioprogramm, das die Sender bieten, wurde von der Landespolitik beschlossen.

Jenseits der Frage, dass der Rundfunkbeitrag in Sachsen-Anhalt Teil eines Macht- und eines Wahlkampfes ist, den vor allem die CDU betreibt, gibt es Argumente der Kritiker, die eine Berechtigung haben. Ein Punkt: Erfüllen die Öffentlich-Rechtlichen noch ihren Programmauftrag, oder gibt es inzwischen tatsächlich ein zu großes Gewächs an TV-, Radio- und Webangeboten, wo keiner mehr einen Überblick hat. Wer kontrolliert das?

Das ist zuallererst Aufgabe des Gesetzgebers, also der Landtage. Jedes einzelne Fernsehprogramm findet man sogar mit seinem Namen im Staatsvertrag. Wer sich also beschwert, dass 20 öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme zu viel sind, wer zum Beispiel Phoenix und Tagesschau24 zusammenlegen will, der muss den Medienstaatsvertrag ändern. Gleiches gilt für die über 70 Radioangebote. Der Landesgesetzgeber, alle Länder zusammen haben die Macht, Programme zu streichen und dadurch den Finanzbedarf zu reduzieren und den Beitrag zu senken.

Eine Kritik, die oft vorgebracht wird, ist die Frage nach der Quotenfixierung. Es wird kritisiert, dass man zu sehr auf Unterhaltungsprogramme setzt und zu wenig auf Information. Gleichzeitig ist die Quote aber auch ein Instrument, um die Akzeptanz des Öffentlich-Rechtlichen zu messen.

Dass es die Quote in dieser Form gibt, hat vor allem mit der Entstehung des privaten Rundfunks zu tun, bei dem es darum geht, entsprechende Werbereichweiten zu verkaufen.

Wenn ich um 24 Uhr eine Quote von zehn Prozent habe, sind das ungefähr eine Million Menschen. Fünf Prozent um 21 Uhr können jedoch 1,7 Millionen Menschen sein. Ich erreiche also mit einer geringeren Quote ein größeres Publikum. Wie kann das sein? Nun, die Quote wird immer auf die berechnet, die zu dem Zeitpunkt insgesamt fernsehen. Sie sagt wenig darüber aus, wie hoch der Anteil der Gesamtbevölkerung ist, den ich über einen längeren Zeitraum hinweg erreiche.

Mir geht es um gesellschaftliche Reichweite. Die muss ermittelt werden. Also: Wie viele Menschen erreiche ich wie oft innerhalb einer Woche wie lange mit meinen Angeboten. In den letzten Jahren wird die reine Quotenfixierung immer kritischer gesehen. So will auch MDR-Intendantin Karola Wille den Beitrag zum Gemeinwohl erfassen.

Würde auch eine direkte Bürgerbeteiligung am Programm die Akzeptanz und Reichweite erhöhen? Wie könnte so etwas aussehen?

Wie soll das aussehen? Geht es darum, eigene, selbst produzierte Inhalte unterzubringen oder Themen mitzubestimmen? Vermutlich würde jeder und jede die ganz eigenen Interessen formulieren, was von den Programmen erwartet wird. Es würde schwierig sein, das alles unter einen Hut zu bringen. Wie komme ich darauf? Jedes Mal, wenn die Sender Sparprogramme ankündigen und einzelne Sendungen streichen wollen, gibt es zu fast jeder Sendung Kampagnen, die gerade deren Notwendigkeit und Unverzichtbarkeit erklären und darauf verweisen, dass man gerade dafür seinen Rundfunkbeitrag zahlt.

Allerdings kann man feststellen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender vor allem am Vorabend, in der Prime Time und in der Second Prime Time, also zwischen 18 und 24 Uhr, nur eine geringe Vielfalt anbieten. Vor allem am Vorabend und in der Prime Time gibt es zu viele Krimis und Quizze. Da fehlt es schon an der Vielfalt.

Sie selbst sind Mitglied des MDR-Rundfunkrates. Wie viel Einfluss hat man da überhaupt wirklich auf die Sender?

Der Rundfunkrat soll die Interessen der Allgemeinheit vertreten und der Vielfalt der Meinungen der Bürgerinnen und Bürger Rechnung tragen. Er soll darüber »wachen«, ob der Sender seine gesetzlichen Aufgaben erfüllt sowie ob er sich an die Programmgrundsätze hält, und die Intendantin in »allgemeinen Programmangelegenheiten« beraten. Der Rundfunkrat soll nicht direkt darüber bestimmen, welche Sendungen gemacht werden werden. Das ist Aufgabe der Geschäftsführung, insbesondere des Intendanten. Des Weiteren wählt der Rundfunkrat die Intendantin und Direktoren, beschließt den Wirtschaftsplan und diskutiert und entscheidet über Programmbeschwerden, wenn festgestellt wurde, dass Sendungen gegen Programmgrundsätze verstoßen haben.

In den letzten Jahren hat die MDR-Geschäftsführung viele Anregungen, die aus dem Rundfunkrat an den Sender herangetragen worden sind, auch aufgenommen. Da geht es um eine stärkere regionale und subregionale Berichterstattung, einen Ausbau des Daten- und Recherche-Journalismus sowie der Kulturangebote und eine größere Vielfalt an Unterhaltungsangeboten. Auch die Ausweitung der dokumentarischen Angebote spielt eine Rolle.

Wir müssen auch über Geld reden. Eine Kritik lautet, der Rundfunkbeitrag wird von allen gleichermaßen erhoben, also der Niedriglöhner zahlt genauso viel wie jemand, der wohlhabend ist. Das sorgt für Unmut. Gibt es keine anderen Modelle der Finanzierung?

Die Debatte kann ich nachvollziehen. Doch was folgt daraus? Sobald man die Höhe des Beitrags an die Einkommen koppelt, macht man sich von Konjunktur und wirtschaftlicher Entwicklung abhängig. Doch die Sender haben einen Auftrag. Dieser soll finanziert werden. Wer wenig verdient, kann vom Rundfunkbeitrag befreit werden. Sicher, die Befreiungsgrenze ist zu niedrig, sie war früher höher. Doch das kann nur die Politik ändern. Manche wollen die Finanzierung der Sender über den Bundeshaushalt, womit wir dann die aktuelle Debatte jedes Jahr hätten. Die Politikferne wäre dahin.

Ein fester Beitrag für alle ist aus meiner Sicht sinnvoll. Wir alle sind Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Sollten wir nicht möglichst gleich behandelt und nicht immer wieder auf die Unterschiede hingewiesen werden? Wenn für einzelne Gruppen die Belastung durch die 18,36 Euro zu hoch ist, müsste man darüber diskutieren, wie deren Entlohnung steigt. Egal, welche Befreiungsgrenze man wählt: Soziale Gerechtigkeit kann man nicht über den Rundfunkbeitrag herstellen.

Entlohnung ist das Stichwort. Ein Punkt, der oft in der Berichterstattung zugespitzt wird, sind die Intendantengehälter. WDR-Intendant Tom Buhrow bekommt 395 000 Euro im Jahr und da heißt es, das sei viel zu viel. Jetzt kann man sein Gehalt aber auch mit den privaten Senderchefs vergleichen. Ich hab einmal nachgeschaut: Beim Spartensender Sport1 soll der Senderchef eine halbe Million jährlich verdienen.

Es gibt unterschiedliche Maßstäbe, die man anlegen kann. Wenn man die Wirtschaft nimmt, dann verdienen die Intendanten zu wenig. Als RTL-Chef würde Tom Buhrow mehr als das Zehnfache verdienen. Manche Politiker brachten die Gehälter der Ministerpräsidenten beziehungsweise Minister als Vergleichsmaßstab in die Diskussion, andere die Gehälter des Bundesverfassungsgerichtspräsidenten und der einzelnen Bundesverfassungsrichter. Sicher kann man sich mit Wirtschaftskapitänen vergleichen, doch aus meiner Sicht stimmt der Vergleich nicht. Die Sender werden faktisch öffentlich finanziert. Niemand ist gezwungen, Intendant oder Direktor zu werden. Die Qualität der Bewerber steigt doch nicht mit der Vergütung. Deshalb muss hier eine Grenze eingezogen werden.

Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass kein Intendant sein Gehalt selbst beschließt. Darüber entscheidet der Verwaltungsrat des jeweiligen Senders. Allein in den neun Verwaltungsräten der ARD-Anstalten sitzen 18 Mitglieder der CDU/CSU. Dazu gehören Landesvorstandsmitglieder sowie frühere Staatskanzleichefs und Fraktionschefs von Landtagsfraktionen. Bisher hat die CDU nicht ihre Mitglieder in den Gremien aufgefordert, die Vergütung zu reduzieren.

Natürlich kann die Politik auch in den Staatsverträgen einen Deckel einziehen, und dies sowohl für die Intendanten, Direktoren, aber auch die Chefredakteure und alle anderen, die außertariflich vergütet werden.

Löhne werden beim Öffentlich-Rechtlichen natürlich auch auf anderer Ebene gezahlt, worüber vielleicht eine Debatte fast noch notwendiger wäre. Bei den Gehältern und Honoraren der einfachen Journalisten gibt es eine relativ große Kluft. Einerseits die Festangestellten, denen es vergleichsweise wirklich gut geht, und auf der anderen Seite die freien Mitarbeiter. Müsste dieses Zwei-Klassen-System nicht korrigiert werden?

Das Zwei-Klassen-System ist durch Tarifverträge mit ausgestaltet, es gibt Tarifverträge für die festen Mitarbeiterinnen und für die sogenannten festen Freien, die im starken Umfang für die Öffentlich-Rechtlichen arbeiten und de facto wie feste Angestellte tätig sind und Tätigkeiten ausüben, die früher Festangestellte hatten. Die Ungleichheit hat sich über Jahrzehnte entwickelt und wird nur langsam wieder abgebaut. Die Differenzen sind noch groß. Die müssen abgebaut werden. Hier sind vor allem die Gewerkschaften gefordert, denn es gilt die Tarifautonomie.

Ich hätte noch ein anderes Stichwort: die Staatsferne. In den letzten Tagen ist mir öfters die Kritik von sich als links verstehenden Menschen begegnet, die den Eindruck haben, dass in Nachrichtensendungen oft - besonders wenn es um internationale Themen geht - die vertretenen Positionen sehr regierungsnah sind. Beispiele aus den letzten Jahren sind die Ukraine-Krise oder der Umgang mit Griechenland.

Aus meiner Sicht gibt es zwei Entwicklungen. Wer in den letzten Jahren Journalismus studiert hat oder in den Journalismus gegangen ist, muss sehr hohe Anforderungen erfüllt haben. Er muss möglichst mehrere Fremdsprachen können, mehrere Auslandsaufenthalte nachweisen können, er muss möglichst an einer Journalistenschule gewesen sein, die zum Beispiel in München oder Hamburg liegt, und er braucht daher ein entsprechendes finanzielles Polster, um die entsprechenden Abschlüsse zu erwerben. Das heißt, die Mehrheit kommt aus bestimmten sozialen Kreisen in diesen Journalismusberuf.

Zum anderen muss man den Produktionsprozess berücksichtigen. Die Zahl der Kanäle, die zu befüllen sind, nimmt insbesondere im Onlinebereich zu. Doch die Zahl der Mitarbeiterinnen sinkt. Immer weniger Menschen produzieren immer mehr an Inhalten. Das befördert, dass Publizismus statt Journalismus geboten wird. Die Redaktionen verbreiten weiter, was reinkommt. Sie ordnen immer weniger die Ereignisse und Äußerungen ein, dabei ist doch gerade das die Aufgabe des Journalismus. Und so kommen vor allem die vor, die auf dem Zettel des Journalismus stehen oder die die Ressourcen haben, sich Gehör zu verschaffen: die Politik und die großen Verbände. Um die Vielfalt neben den etablierten Strukturen zu entdecken, braucht man Zeit und Personal.

Weil beides fehlt, führt dies dazu, dass die Berichterstattung tatsächlich oftmals sehr politiknah, parlamentszentriert und wirtschaftsorientiert ist - und abhängig von der parteipolitischen Orientierung des Journalisten. Es ist der journalistische Produktionsprozess, der vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss.

Sie haben das Stichwort Diversität und die hohen Hürden gerade genannt. Gibt es bei den Öffentlich-Rechtlichen Bemühungen, dies aufzubrechen?

Ja, mittlerweile ist zumindest im MDR klar, dass man andere Wege gehen muss. Es geht nicht mehr nur um die Parität von Männern und Frauen oder ostdeutsche und westdeutsche Herkunft, sondern auch um den schulischen Abschluss, die soziale Herkunft sowie die Chancen für Quereinsteiger. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Vielfalt in der Gesellschaft abbilden will, muss er auch die Vielfalt im Unternehmen haben. Wer über die Widersprüche in der Gesellschaft berichten will, muss die widersprüchlichen Stimmen auch in sich tragen, sie journalistisch produktiv machen.
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