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Italien will EU mobilisieren
Die Staatsanwaltschaft Rom schließt Untersuchungen im Fall Giulio Regeni ab
Vor fast genau fünf Jahren, am 3. Februar 2016, wurde die verstümmelte Leiche des Italieners Giulio Regeni (28) in Kairo gefunden. Hinter der Tötung vermutet die italienische Justiz die Hand des ägyptischen Geheimdienstes und beschuldigt die ägyptischen Behörden, an der Aufklärung nicht mitzuwirken. Hilfeersuchen erbrachten bislang keine Erfolge, der oder die Mörder sind weiterhin auf freiem Fuß. Für die Ägypter ist Regeni, der als Doktorand der Universität Cambridge zu unabhängigen Gewerkschaften in Kairo forschte, schlicht Opfer einer kriminellen Bande, die es auf Ausländer abgesehen hätte. Die italienische Regierung will nun schwere Geschütze auffahren und die EU einschalten, um Druck auf Ägypten auszuüben.
Bei einem Treffen am Mittwoch im Palazzo Chigi, dem Amtssitz des Regierungschefs, hat Ministerpräsident Giuseppe Conte den Fall Regeni mit seinen Kabinettskollegen besprochen. Anwesend waren Verteidigungsminister Lorenzo Guerini, Innenministerin Luciana Lamorgese und Außenminister Luigi Di Maio, berichtet die italienische Nachrichtenagentur ANSA. Demnach will das italienische Außenministerium Initiativen starten, um die EU für den Fall Regeni zu sensibilisieren. Di Maio bezeichnete das von den italienischen Richtern beschriebene Bild der Umstände von Giulio Regenis Tod als »abschreckend« und forderte die Regierung auf, geschlossen alle möglichen internationalen Kanäle zu aktivieren. Di Maio schlug daher vor, die EU direkt einzuschalten, um Druck auf Ägypten auszuüben, damit die von der römischen Staatsanwaltschaft beschuldigten Personen einen Aufenthaltsort angeben, an den ihnen die Klageschrift übersandt werden kann. »Italien ist ein Gründungsland der EU und darf in der Frage der Menschenrechte keine Rückschritte machen. Auch unsere europäischen Partner sollten sich durch gezielte Aktionen deutlich zu diesem Thema äußern«, sagte Di Maio.
Doch diese Partner verhalten sich nicht immer solidarisch. Beispielsweise Frankreich: Präsident Emmanuel Macron hat am 10. Dezember noch den ägyptischen Staatspräsidenten Abdel Fattah Al-Sisi empfangen, der das Land mit äußerster Härte regiert. Macron zeichnete Al-Sisi bei dieser Gelegenheit mit dem Großkreuz der französischen Ehrenlegion aus. Ägypten gilt Europa und speziell Frankreich als wichtiger Verbündeter im Kampf gegen Terrorismus und Islamismus sowie als kauffreudiger Abnehmer von Waffen, auch aus Italien. Dabei müssen dann die Menschenrechte meist zurückstehen.
»Frankreich hat sich dem Narrativ des Regimes angeschlossen, alle Gegner als Terroristen zu definieren«, sagt Leslie Piquemal, Expertin für Menschenrechte am Cairo Institute for Human Rights Studies, in einem Interview mit der Tageszeitung »Il manifesto«. »In Libyen gibt es eine starke Nähe zwischen Frankreich und Ägypten. Und dass Frankreichs Verbündete - Ägypten, die Emirate - in Libyen französische Waffen einsetzen und dass Menschenrechtsverletzungen dokumentiert sind, scheint Paris nicht zu stören.«
Frankreich und Ägypten unterstützen in Libyen die Truppen der Exilregierung von General Khalifa Haftar - im Verein mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Russland, aber gegen die Türkei und auch Italien, die beide auf Seiten von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch stehen.
Zahlreiche italienische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben mittlerweile ihre eigene Auszeichnung der französischen Ehrenlegion zurückgegeben oder dies angekündigt - aus Protest gegen die Ehrung des ägyptischen Machthabers Al-Sisi. So hat sich der bekannte Fernsehjournalist und Schriftsteller Corrado Augias vergangenen Montagmorgen zur französischen Botschaft in Rom begeben und wurde überraschend sogar vom Botschafter empfangen.
Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft Rom ihre Ermittlungen zur Tötung des italienischen Doktoranden abgeschlossen. »Für den Mord an Giulio Regeni wird es nur einen Prozess geben, und der wird in Italien mit den Verfahrensgarantien unserer Gesetze stattfinden«, versicherte der Oberstaatsanwalt von Rom, Michele Prestipino, in der Anhörung vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Tod Regenis. In ihrer Rekonstruktion der Ermordung sprechen die Richter von Gewaltakten, die aus »erbärmlichen und sinnlosen Gründen und mit Grausamkeit« verübt worden seien und die »den dauerhaften Verlust mehrerer Organe« zur Folge gehabt hätten. Die Folterung Giulio Regenis habe »zahlreiche Verletzungen« verursacht an Kopf, Gesicht, Rücken und unteren Gliedmaßen.
Die Staatsanwaltschaft möchte vier verdächtige Mitarbeiter des ägyptischen Geheimdienstes National Security Agency (NSA) in Italien vor Gericht bringen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist einer davon, Major Magdi Ibrahim Abdelal Sharif, der Kerkermeister, Folterer und Henker des jungen Doktoranden. Zeugen, die in den letzten Monaten von den italienischen Staatsanwälten angehört wurden, hätten auf seine Spur geführt, schreibt die italienische Tageszeitung »Il fatto quotidiano«. Danach habe der Verdächtige »eigenständig« gehandelt - unter Mithilfe weiterer, unbekannter Personen. Bei den Untersuchungen sei auch herausgekommen, berichtet die Tageszeitung »La Repubblica«, dass Regeni von einer ägyptischen Bekannten »verraten« worden sei: eine gewisse Noura, eine Studentin, die er aus Cambridge kannte. Sie habe seine Bewegungen und Treffen an den NSA weitergegeben.
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