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Ermutigendes aus dem Oderbruch
Das Theater am Rand hat sein furioses Weihnachtsstück fertig - es wird seinen Zauber erst zu Ostern entfalten, bleibt aber hochaktuell
Die karge Landschaft des Oderbruchs wirkt in der Vorweihnachtszeit wenig anheimelnd. Doch verlässlich kämpft das Theater am Rand in Zollbrücke (Märkisch-Oderland) seit mehr als 20 Jahren gegen den Dezember-Blues an. Dass das selbst im coronabedingten Lockdown gilt, demonstrierte das Team um die zwei künstlerischen Leiter Thomas Rühmann und Tobias Morgenstern mit einer außergewöhnlichen Aktion. Am Donnerstag brachte das Ensemble sein neuestes Stück auf die Bühne: »Der Wal und das Ende der Welt« nach dem 2015 erschienenen Roman des Briten John Ironmonger und mit stimmungsvollen, ins Deutsche übertragenen Songs von Sting.
Erzählt wird vom Heraufziehen einer die Welt verheerenden Grippepandemie und davon, wie eine Dorfgemeinschaft zusammensteht, um gemeinsam der tödlichen Bedrohung zu trotzen. Die Geschichte spielt in einem Fischerdorf an der Küste von Cornwall. Dort wird ein junger Unbekannter angespült. Tags darauf strandet ein Wal. Es ist der Fremde, ein gescheiterter Investmentbanker auf der Flucht, der die 307 Dörfler zur Rettung des Wals zusammenbringt und so für deren Zukunft zur zentralen Figur wird. Eine Erzählung für die Nachgeborenen, teils Fiktion nahe am Vorstellbaren, teils Märchen. Überraschend, witzig und fast unglaublich.
»Manchmal ist die Übertreibung näher an der Wirklichkeit als die Wahrheit«, lautet ein immer wiederkehrendes Zitat des Autors. Am Ende widersteht das Dorf, wächst der Einzelne über sich selbst und seine Schwächen hinaus. Es eine ermutigende Geschichte.
Es war ein künstlerischer Kraftakt für alle Beteiligten, vor allem für die Schauspieler Kathleen Gaube, Jens-Uwe Bogadtke und Thomas Rühmann sowie die Musiker Reentko Dierks (Gitarre) und Clemens Pötzsch (Piano). Das Theaterstück - Bearbeitung, Dramaturgie und Regie lieferte Thomas Rühmann - ist im Laufe eines Jahres entstanden. Die atemberaubende Aktualität, die es dann mit Corona gewann, wurde allen Akteuren erst im Laufe der Arbeit bewusst, wie Rühmann erklärte. Es stecke viel Energie und wochenlanges Proben darin. Am Donnerstagvormittag fand die Generalprobe statt, am Abend die Premiere - festgehalten auf Video, ohne Publikum, sieht man von den eigenen Mitarbeitern und einigen Journalisten ab.
»Wir haben die letzten vier Tage faktisch durchgearbeitet«, sagte Thomas Rühmann dem »nd« vor der Premiere. Die Stimme ist rau - der Theaterleiter agiert selbst als Hauptdarsteller, Sänger und Musikant. Stärker als die Anstrengung war ihm die Begeisterung anzusehen, gemeinsam mit den Kollegen mit diesem Stück, seiner »musikalischen Weihnachtserzählung«, endlich auf der Bühne zu stehen. Die Enttäuschung über die Absage aller Termine überspielte Rühmann an diesem Abend kämpferisch. Wenn die Pandemie es zulasse, werde der »Wal« im Frühjahr gezeigt, gleich ab dem 1. April, sagte er. »Ein Weihnachtsstück dann eben zu Ostern, besser geht’s doch eigentlich nicht.«
Das vor über 20 Jahren von Morgenstern und Rühmann erdachte und in dem abgelegenen Ort aufgebaute Theater ist bisher recht glimpflich durch die Coronakrise gekommen. »Ich bin nicht bereit, in die allgemeine Klage einzustimmen«, sagte Rühmann an diesem Abend. In Zollbrücke begegnen sie der Krise mit ihrer Kunst.
Nach dem Lockdown im Frühjahr ist das Theater mit einem pfiffigen Hygienekonzept in die Saison gestartet. »Wir haben ja den Vorteil, dass wir unseren Theatersaal nach außen aufmachen können. So konnte ein Teil der Besucher von außen zuschauen, ein Teil aus dem Innenraum«, erläuterte Rühmann. Auf diese Art seien bei schönem Wetter Aufführungen und Konzerte vor rund 120 Besuchern möglich gewesen. Das sei im Juli und August sehr gut gelaufen. Ab September habe man dann aber drinnen spielen müssen, vor dann nur noch 65 Besuchern pro Vorstellung. Wirtschaftlich zu betreiben sei das Theater bei durchschnittlich 120 bis 130 Besuchern. »Wir haben in diesem Jahr zwischen der Hälfte und zwei Dritteln weniger Besucher gehabt«, so der Theaterleiter.
Das Theater am Rand erhält von EU, Land und Landkreis Fördermittel. 2020 bewilligte Brandenburgs Kulturministerium zum Beispiel 40 000 Euro als Projektförderung. »Die Ministerin war hier bei uns, sie hat sich sehr dafür eingesetzt, dass wir als Privattheater auch Überbrückungsgeld bekommen. Mit dieser Ausfallkompensation kommen wir bis ins Frühjahr«, erklärte Rühmann. Für 2021 hoffe er auch auf das von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) aufgelegte Programm zur Rettung privater Theater.
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