Der Tönnies von Malaysia

Beim weltweit größten Hersteller von Latexhandschuhen gibt es Tausende Corona-Infizierte

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Würde das malaysische Unternehmen Top Glove mit Smileys auf dem Titelblatt seiner Bilanz 2020 die Aktionäre auf den Inhalt einstimmen wollen, dann müssten es zugleich ein fröhlich lachendes und auch ein trauriges sein. Dem weltweit größten Hersteller von Latexhandschuhen bescherte die Corona-Pandemie zunächst eine fast hundertprozentige Auslastung seiner Produktionskapazitäten und einen Rekordgewinn.

Mit der Freude von Firmengründer Lim Wee Chai über den Erfolg seines Unternehmens ist es seit November aber vorbei – als Top Glove durch einen Corona-Ausbruch in seinen Fabriken zum »Tönnies« von Malaysia wurde. Von 6526 im Bezirk Teratai in Meru, dem Produktionszentrum von Top Glove, getesteten Menschen waren Ende vergangener Woche 4093 Personen Covid-19-positiv, darunter 3000 Top-Glove-Arbeiter.

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Wie bei der Schlachterei Tönnies in Westfalen stehen die Unterkünfte der Arbeiter von Top Glove im Klang Valley im Verdacht, Ursache der Super-Spreader-Katastrophe zu sein. Im Internet veröffentlichte Fotos zeigen gruselige Wohnbedingungen für die meist ausländischen Arbeiter. Malaysias Regierung hat inzwischen mehrere Ermittlungsverfahren gegen Top Glove eingeleitet.

Der Corona-Skandal ist für Andrew Hall, einen prominenten Aktivisten im Kampf für die Rechte von Migrantenarbeitern in Asien, nur die Spitze des Eisbergs des »systemischen Missbrauchs von Migrantenarbeitern in der Latexhandschuhbranche wie auch in anderen Sektoren der malaysischen Wirtschaft, die auf Migrantenarbeiter angewiesen sind«. Schätzungen zufolge machen legale und illegale Migranten aus Ländern wie Nepal, Bangladesch oder Myanmar 20 bis 30 Prozent der Arbeitskräfte Malaysias aus.

Die schlechte Situation von Migrantenarbeitern in Malaysia war schon lange vor Corona im Visier von Gewerkschaftern und Menschenrechtlern. Das hatte im Juli dieses Jahres die US-Zollbehörde zu einem Importverbot von Top-Glove-Produkten wegen des Verdachts der Zwangsarbeit veranlasst. In der EU sind zu diesem Problem Kommission und Parlament über Kreuz.

Am 25. März dieses Jahres sorgte sich Maria Castillo Fernández, EU-Botschafterin in Malaysia, in einem Schreiben an den Handelsminister Malaysias Azmin Ali um die Auswirkungen des damaligen Lockdowns auf die Versorgung mit Latexhandschuhen. Malaysia als weltweit größter Hersteller von Latexhandschuhen könne dazu beitragen, die Versorgung mit »dieser wesentlichen medizinischen Ausrüstung« in der Pandemie zu sichern, schrieb Fernández und sicherte der Firma Zoll- und Einfuhrerleichterungen zu.

Abgeordnete der Sozialisten und Grünen im Europaparlament reagierten entsetzt. »Es ist besorgniserregend, dass Botschafterin Maria Castillo Fernández in dem Brief nicht den Schutz der Arbeiter anspricht«, hieß es in einem Schreiben der Politiker vom 13. Mai an den damaligen EU-Handelskommissar Phil Hogan sowie den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Der EU seien die gut dokumentierten Bedenken wegen »systemischer« Zwangsarbeit bekannt. »Illegale Einstellungsgebühren, lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne, Passbeschlagnahmungen und schmutzige, überfüllte Unterkünfte sind an der Tagesordnung«, schrieben die Abgeordneten.

Top Glove versichert, schon vor Corona eine Reihe von Missständen beseitigt zu haben. »Wir haben in den Kauf von zusätzlichen Wohnungen investiert und Arbeiter aus den überfüllten Wohnungen in die neuen Wohnungen verlegt«, sagte Lim Wee Chai in einer am 1. Dezember veröffentlichten Presseerklärung.

Über die Auswirkungen der etwa dreiwöchigen Stilllegung von 28 Fabriken in Meru auf Produktion und Profit macht sich Lim keine Sorgen. Bei Lieferungen aus den Fabriken in Meru könne es zwar zu leichten Verzögerungen kommen, sagte Lim. »Zum Glück verfügt Top Glove jedoch über viele andere Fabriken an anderen Standorten (in Malaysia) sowie in Thailand, Vietnam und China.« Für Andrew Hall klingt das wie Hohn. In keinem dieser Länder ist die Situation von Migranten auch nur einen Deut besser als in Malaysia.

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