Verwirrspiel an der Moskwa

Ein Video bereitet dem Kreml Kopfzerbrechen

  • Sebastian Gerhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Montag veröffentlichte Alexej Nawalny auf seinem Youtubekanal in Kurz- und Langfassung Aufnahmen von einem Telefongespräch, das er eine Woche zuvor mit einem russischen Geheimdienstmitarbeiter geführt habe. Die Nachricht machte sofort Schlagzeilen, da der Gesprächspartner ausführlich zu Details der Vergiftung Nawalnys am 20. August und der folgenden Vertuschungsaktion Stellung nahm. Eine unabhängige Bestätigung der Angaben Nawalnys und seines Teams ist nicht möglich - ebenso wenig wie eine unabhängige Kontrolle der Aktivitäten der russischen Führung.

Der russische Inlandsgeheimdienst FSB erklärte am Dienstag knapp, das Video sei eine Fälschung. Die Verwendung einer vorgetäuschten Telefonnummer sei »ein bekannter Trick ausländischer Geheimdienste, der schon oft in antirussischen Aktionen eingesetzt worden sei«. Er mache es unmöglich, die tatsächlichen Teilnehmer eines Gespräches festzustellen. Gleichzeitig wies der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dimitri Peskow, jede Kritik am FSB zurück. Der Geheimdienst erfülle verfassungsgemäß eine wichtige Rolle. Vor Journalisten erklärte er: Der FSB »schützt uns wie sie vor Terrorismus, Extremismus, vor verschiedenen tödlichen Gefahren. Zweifellos erfüllt er diese Rolle sehr gut und sehr effektiv.«

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Offensichtlich ist der Pressesprecher des Präsidenten unter Druck. Am 14. Dezember hatten Nawalny und seine publizistischen Partner - darunter der »Spiegel« und die Recherchefirma Bellingcat - Angaben zur Vergiftung Nawalnys veröffentlicht. Dabei identifizierten sie acht Personen als Mitarbeiter des FSB, die an der Überwachung des Aktivisten, dem Anschlag und der folgenden Beseitigung der Spuren beteiligt gewesen sein sollen. Schon diese Veröffentlichung war schwerwiegend genug, um vom Präsidenten Wladimir Putin in seiner Jahrespressekonferenz am 17. Dezember persönlich zurückgewiesen zu werden. Dabei erklärte Putin leichthin: »Wer ist das schon? Wenn das jemand gewollt hätte, dann hätte er es auch zu Ende gebracht.« Doch der russische Präsident weiß sehr wohl, wer Alexej Nawalny ist. Und sein Dementi zeigt nur, wie ernst er ihn nimmt.

In dem nun veröffentlichten Video wird Nawalny mit seinem Team bei einem Telefonat gezeigt. Bei dem Gesprächspartner soll es sich um einen der acht FSB-Mitarbeiter handeln, Konstantin Kudrjawzew. Nawalny selbst habe ihn am 14. Dezember frühmorgens angerufen. Als Nummer sei mit einer spoofing-app ein vom FSB verwendeter Anschluss vorgetäuscht worden. Nawalny gab sich als Mitarbeiter des Sekretärs des Russischen Sicherheitsrates Nikolai Patruschew aus. Es gehe nur darum, für eine interne Auswertung der Aktion einige Details zu klären.

Im anschließenden Gespräch erzählt der Gesprächspartner auf Nachfragen zahlreiche Einzelheiten zur Überwachung Nawalnys und zum Anschlag auf sein Leben. An der Vertuschungsaktion sei Kudrjawzew beteiligt gewesen und habe selbst Nawalnys Unterhosen von allen Spuren gereinigt. Nur die Notlandung des Flugzeugs in Omsk und die folgende sofortige Behandlung hätten Nawalny das Leben gerettet. Zum Ende des Gespräches ist eine vorsichtige Frage des anderen Teilnehmers zu hören. Ob es denn zulässig sei, eine solche Unterhaltung über eine normale Leitung zu führen?

Wie glaubwürdig ist der Vorgang? Vorschnelle Interpretationen verbieten sich. Zweifellos gehören Information wie Desinformation zum geheimdienstlichen Repertoire. Und die Tötung von politischen Gegnern gehört auch dazu, wenngleich die Dienste dabei nicht immer ihr Ziel erreichen. Die Ermordung des Priesters Jerzy Popiełuszko durch Offiziere der polnischen Staatssicherheit im Oktober 1984 trug maßgeblich zum Ansehensverlust der Volksrepublik bei. Zwar wurden die direkten Täter Anfang 1985 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Doch der Mord mobilisierte die Kritik - und die Mutmaßungen über mögliche Verbindungen der Täter nach »ganz oben« beschleunigten die Demoralisierung der polnischen Kommunistischen Partei.

Der diplomatische Lärm sollte nicht täuschen. Der Kreml ist heute sicher nicht besorgt über schlechte Presse im Westen oder eine Abkühlung der Beziehungen zur EU. Das Problem ist ein innenpolitisches. Schon bis Dienstag, 14 Uhr Berliner - 16 Uhr Moskauer Zeit - zählte Youtube über 13 Millionen Zugriffe auf die halbstündige Kurzfassung und fast 1,3 Millionen Zugriffe auf die Langfassung von 49 Minuten. Beide Filme sind ausschließlich auf Russisch. Die Resonanz zeigt daher das Gewicht, das der Aktivist in Russland hat.

Die Antwortstrategie des Kreml macht deutlich, wie die Gefahr eingedämmt werden soll. Nawalny habe seine »sogenannte Untersuchung« nur mit Unterstützung ausländischer Geheimdienste durchführen können, verlautbarte der FSB. Und in seiner Pressekonferenz bezeichnete Putin die Veröffentlichung vom 14. Dezember als »Legalisierung« der Ergebnisse westlicher Dienste. Seit 2016 müssen russische zivilgesellschaftliche Organisationen wie Memorial sich bei Förderung aus dem Ausland in allen ihren Veröffentlichungen als »ausländische Agenten« bezeichnen. So soll ihre Glaubwürdigkeit in der russischen Öffentlichkeit untergraben werden.

Doch wie glaubwürdig ist ein Geheimdienst, der trotz laufender Überwachung des Kreml-Gegners der eigenen Bevölkerung so gar keine Erklärung zu den Ereignissen am 20. August anbieten kann? Die Popularität Alexej Nawalnys ist kein Zeichen für die Akzeptanz seiner politischen Vorschläge, denn er macht keine. Seine Popularität ist vielmehr das Spiegelbild der Unzufriedenheit mit der russischen Führung. Über Jahre konnte sich Putin darauf berufen, dass er dem Chaos der 1990er Jahre ein Ende bereitet hat. Doch seit acht Jahren sinken die Realeinkommen der russischen Bevölkerung. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Der FSB bescheinigt Alexej Nawalny eine ausgewachsene Paranoia. Angesichts der sozialen Lage neigt man aber auch im Kreml zur Ängstlichkeit.

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