Hanau, Hartz und Aluhut

Hartz-IV-Berichterstattung, linke Proteste und was sonst noch los war: Das nd-Twitter-Jahr

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Jahresrückblick – Hanau, Hartz und Aluhut

Protest gegen die Corona-Maßnahmen, Hausräumungen und die Behandlung von Geflüchteten, Artikel zu Hartz-IV sowie der Umgang mit der Pandemie und Online-Kontroversen: Diese Themen bestimmten 2020 besonders den Twitter-Auftritt des nd, Tweets dazu wurden besonders oft retweetet oder geliked. Es ist auch dieses Jahr wieder Zeit für den Jahresrückblick zu dem, was unsere Follower im Jahresverlauf besonders bewegte.

Eine journalistische Lehre dabei lautet: Eine ordentliche Nachricht hat ihren Wert. Content ist King, Inhalt geht über Fotos – das zeigen die Top-Tweets des nd-Online-Teams. Nur im Februar war ein Bild-Tweet unsere stärkste Zwitscher-Nachricht. »Die AFD hat mitgeschossen« verkündete ein Transparent von Aktivist*innen im Zuge des Gedenkens an die Opfer des rassistischen Morde in Hanau – der Umgang mit rechtem Terror hat uns und viele Leser das ganze Jahr beschäftigt.

Doch zunächst begann das Twitter-Jahr quasi mit einem Klassiker – leider. Es ging um die unzureichende antifaschistische Gedenkkultur in Deutschland. Anlässlich des Tag der Befreiung vom Faschismus forderte die großartige Aktivistin und Holocaust-Überlebende Esther Bejarano in einem Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diesen zu einem gesetzlichen Feiertag zu erklären. Hunderte sahen das ähnlich. Auch ein Interview mit Juso-Chef Kevin Kühnert war auf Twitter beliebt. Der zeitweilige Groko-Gegner erklärte darin, die Hartz-IV-Verstrickung der SPD müsse »aufgearbeitet« werden.

Im März kam dann Corona und unsere Ankündigung »den gesamten Inhalt unserer Internetpräsenz kostenlos zur Verfügung zu stellen«. Diese Neuerung sammelte die meisten Likes und Retweets ein. Die »ungewöhnliche Maßnahme«, die laut Ankündigung für eine »befristete Zeit« gelten sollte, wurde zum Dauerzustand – genau wie die Corona-Pandemie. Auch im April empörte unsere Follower am meisten, wie Arbeitsminister Hubertus Heil im Kampf gegen das Virus Arbeitsschutzstandards schwächte und das hier erlaubte: »12 Stunden Arbeiten, 9 Stunden Pause, nächste Schicht«.

Im Mai bewegte unsere Leser besonders die Arbeit der neuen nd-Kolumnisten Stephan Anpalagan zur Verwendung von »Judensternen« durch Coronaleugner und diese simple Feststellung von Sibel Schick zum Gender Pay Gap: »Mehr Frauen bedeutet weniger Gehalt – egal um welche Arbeit es geht«. Ebenfalls ein großes Thema in der Berichterstattung war die mögliche Einführung eines Immunitätsausweises in Deutschland. Für Linke-Politiker Dietmar Bartsch »sprengte« das »einen Rahmen« - besonders viele nd-Leser sahen dies ähnlich.

Im Sommer – die Coronazahlen in Deutschland waren zurückgegangen - beschäftigte die nd-Twitter-Bubble dann wieder vor allem Hartz IV. Im Juni wurde Katja Kippings Kritik an der Kostenbeteiligung für Barauszahlungen an Hartz-IV-Empfänger von besonders vielen geteilt. »Wer so schon schlecht dran ist, wird noch mal schlechter behandelt«, hatte sich die Linken-Vorsitzende empört. Auch im Folge-Monat sorgte Kippings Kritik für den Top-Tweet. »Fachleute, Betroffene und Verbände« würden vor einem »'Weiter-So' bei den Regelsätzen« warnen. Es ging um die geplante Erhöhung der Zahlungen im neuen Jahr - nach altem Berechnungsverfahren.

Der Hochsommer stand dann ganz im Zeichen des Protests. In Belarus begannen die Demonstrationen gegen die Präsidentschaftswahl, doch anders als der französische Präsident Macron, der für Unterstützung für die Gegner von Präsident Lukaschenko warb, teilten unsere Leser besonders die Meinung von nd-Redakteur Christian Klemm: »Was in in dem Land passiert, ist Sache der Belarussen. Brüssel hat sich da gefälligst rauszuhalten«. In Berlin wiederum wurde das linke Lokal Syndikat geräumt – unsere Berlin-Redakteurin war vor Ort und zeigte per Video, was passierte. Ob eine gewisse Parole der Grund war, warum ihr Kurzvideo über 500 Likes bekam? Wir wissen es nicht. Jedenfalls ging es dabei um »Bullenschweine«.

Auch im September war unsere Top-Tweets protestbezogen, genauer gesagt ging es um einen Service der Online-Redaktion. Wir hatten eine Auflistung der Soli-Kundgebungen zusammengestellt, die oft binnen Stunden von Aktivisten organisiert wurden, nachdem das Flüchtlingslager Moria in Griechenland in Flammen aufgegangen war. Rund 60 Kundgebungen zählten wir später, neben den deutschen Black-Lives-Matter-Demonstrationen waren es die größten linken Proteste in Deutschland dieses Jahr.

Seine Wut über die Vorgänge schrieb sich nd-Kolumnist Stephan Anpalagan von der Seele und sorgte mit einem Thread dazu für die Top-Erwähnung von ndaktuell in diesem Monat. Insgesamt gilt: Pointierte Aussagen unser Kolumnisten oder zu Debatten-Themen, etwa in Card-Form, wurden im gesamten Jahr besonders viel gelikt oder retweeted – sie zeigen das nd als Forum für linke Debatten.

Im Oktober empörte dann besonders ein weiterer Klassiker des linken Onlinejournalismus unsere Follower und wurde besonders oft weiterverbreitet – Repression gegen Linke durch die Polizei. Zwei Jahre Haft für das Anbrüllen von Polizist*innen? Was soll man noch sagen zu diesem Urteil des Amtsgericht Nürnbergs? Auch die Berichterstattung über andere Proteste sorgte für viel Online-Interaktion, etwa die Blockade einer Tönnies-Fabrik im Juli.

Die Proteste der Corona-Leugner bestimmten unseren Twitter-November. In unserem Top-Tweet kam ein Pressesprecher der Stadt Leipzig zu Wort: »Das ist doch niemandem zu erklären, dass sich nur zwei Haushalte in der Öffentlichkeit treffen dürfen, aber 16.000 Menschen ohne Abstand demonstrieren.« Auch der Top-Medien-Tweet des Monats kam von unserem Reporter Fabian Hillebrand aus Leipzig. Er zeigte sinnbildlich den staatlichen Rückzug und die Zurückhaltung gegenüber dem rechten Aufmarsch, wie er an vielen Orten der Republik dieses Jahr stattfand: »Die Querdenker von #le0711 laufen aktuell ohne Polizeibegleitung über den Ring in #Leipzig, die Beamten haben sich komplett zurückgezogen«.

Wenige Tage später kam es dann in Berlin zu einem zaghaften Wasserwerfereinsatz, den Kollege Daniel Lücking mit Bildern dokumentierte. Der November war gleichzeitig auch der tweetreichste Monat des Jahres – fast 1000 Zwitschernachrichten setzte die ndaktuell Redaktion ab, genauer gesagt waren es 947. Ein Grund dafür: Die US-Wahl, von der Onliner Moritz Wichmann live aus den USA berichtete.

Unter unseren mittlerweile fast 50.000 Twitter-Followern konnten wir dieses Jahr übrigens auch Lady Bitch Ray, die Grüne Jugend und das Familienministerium begrüßen. Letzteres hat nur etwas mehr als doppelt so viele Follower wie wir. Rund 9000 Tweets hat das Online-Ressort des nd 2020 übrigens abgesetzt. Am meisten Zustimmung gab es im Dezember zum Jahresabschluss für eine Kolumne von Ayesha Khan. Deren wichtigster Aussage ist eigentlich nichts hinzuzufügen: »Ausbeutung am Arbeitsplatz, Täterschutz bei rechtsextremen Morden und keine Unterstützung von Seiten der Politik: Dieses Jahr hat gezeigt, was Deutschland wirklich ist.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.