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Ein Teddy extra
Die Resozialisierung gerät unter den Pandemie-Bedingungen in Gefängnissen in Gefahr
Im Frühjahr sind wegen der Corona-Pandemie auch die Justizvollzugsanstalten (JVA) bundesweit in den Lockdown gegangen. Vom 16. März bis in den Juni hinein waren keine Besuche möglich, auch wenn teils versucht wurde, mit längeren Telefonzeiten gegenzusteuern. Dann, ab dem 5. Juni, wurden die strengen Beschränkungen zwar aufgehoben, aber Besuche wie vor der Pandemie waren noch nicht wieder möglich. Die Regelungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren je nach Bundesland unterschiedlich. Und sie wurden in den Gefängnissen unterschiedlich wahrgenommen.
Ende Juni wendet sich ein langjähriger Gefangener aus der JVA Straubing in Niederbayern an die Öffentlichkeit, unter anderem an das »nd«. Er nimmt bei seinen Mithäftlingen das Gefühl wahr, das »Leben in der Gesellschaft existiere wieder weitgehend normal, und nur sie werden besonders bestraft, weil sie sozial isoliert sind und voraussichtlich auch bleiben werden«. Der Mann will anonym bleiben, er sei hier Torsten Fischer genannt. Er berichtet von fehlendem Kontakt zu Familie, Kindern, Lebenspartnern und Freunden - oder eingeschränkten Besuchen von einer Stunde im Monat meist nur für einen Besucher und ein Kind bis zu 14 Jahren. Verpflichtend seien jetzt Trennscheiben, Telefonhörer, Mund-Nasen-Schutzmasken. Körperkontakt sei untersagt, auch bei Begrüßung und Verabschiedung.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Was dem Gefangenen Sorgen macht, sind die Wirkungen der dort geltenden Kontaktbeschränkungen: Unruhe, Frustration, aggressives Auftreten, aber auch der Rückzug einzelner Insassen. Laut Fischer erweiterte die JVA Straubing zunächst die Angebotsliste des Anstaltskaufmanns, die Zahl der zugänglichen Fernsehsender wurde aufgestockt. Und es gibt die Möglichkeit, einen Teddybär an eines der eigenen Kinder zu versenden, das aber maximal sechs Jahre alt sein darf. Eine weitere Kompensation der Einschränkungen besteht zunächst in einem zehnminütigen Telefonat oder Skype-Gespräch pro Woche, unter Überwachung eines Justizbeamten.
Der Mann, der dies schreibt, ist seit 1999 in Straubing in Haft. Fischer engagiert sich in der Gefangenenvertretung. In diesem Sommer macht er zur Besuchsregelung eine Umfrage unter Dutzenden Gefangenen, stellt Resignation, Wut und Traurigkeit fest. Sein Fazit: Die Auswirkungen der Corona-Situation und das Vorgehen der Verantwortlichen haben eine Atmosphäre geschaffen, die »noch nie so kritisch und gefühlt instabil war«.
Auf Nachfrage schildert Fischer den Normalzustand vor der Pandemie: Damals konnten bis zu drei Personen gleichzeitig zu Besuch kommen, insgesamt für fünf Stunden pro Monat. In der Regel fanden Treffen in einer sogenannten Cafeteria statt, wo früher ein Kaffeeautomat existierte. Jetzt stehen dort kleine Tische mit Platz für je drei Besucher und den Inhaftierten. Außerdem gab es regelmäßig Familientage in der Sporthalle der Anstalt oder einmal im Monat eine Art Eheseminar mit dem Anstaltspfarrer, beide Angebote dauerten je zwei, drei Stunden.
Diese beiden Formate vermisst auch Willi Lippe, einer der beiden Seelsorger in der JVA. »Das tut schon weh«, erklärt der evangelische Pfarrer im Gespräch mit dem »nd«. Ebenfalls nicht stattfinden können interne Gruppen, Gottesdienste jedoch unter bestimmten Auflagen. In seinen Einzelgesprächen tauchten in der Pandemiezeit die selben Themen wie zuvor auf: »Wie geht es der Familie draußen? Wird die Partnerin zu mir halten?« In Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst kann in manchen Fällen für Unterstützung gesorgt werden, etwa wird das Jugendamt kontaktiert, wenn die Mutter gemeinsamer Kinder Besuche des Nachwuchses verweigert. Insgesamt ist Lippe jedoch erstaunt, wie gefasst die meisten Gefangenen zumindest nach außen hin erscheinen. Übrigens durchaus auch in Bezug auf eine eigene Gefährdung durch das Coronavirus von außen - durch Neuzugänge oder durch die in der JVA Tätigen.
Hinzu kam die Technik, die im Leben jenseits der Gefängnismauern fast veraltet scheint: die Telefonie über Skype. »Das hat viel Druck herausgenommen«, schätzt Lippe ein. Angesichts der strengen Besuchsmodalitäten schafft eine Stunde Gespräch mehr Erleichterung, als viele Hundert Kilometer zu fahren, nur um dann den Partner durch eine Trennscheibe zu sehen. Auch Marcus Hegele meint resümierend, dass das Skypen »für das ruhige Durchschreiten der Krise Gold wert war«. Der stellvertretende JVA-Leiter berichtet von einem Jahresabschlusstreffen mit der Gefangenenvertretung, bei dem Einigkeit darüber bestanden habe, dass in diesem Jahr viel ermöglicht wurde.
Die Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Straubing dürfen weiterhin 40 Minuten im Monat telefonieren und für vier Stunden monatlich per Skype kommunizieren. Darüber hinaus ist die Besuchszeit, die den Gefangenen aufgrund der Pandemie-Einschränkungen bis zum Herbst 2020 entfallen ist, »angespart« worden. Diese Zeit könne, so Hegele, in Form eines Skype-Kontakts nachgeholt werden, bis zu fünf Stunden im Monat. In Summe könnte dann bis zu neun Stunden auf diesem Weg mit Personen außerhalb der JVA gesprochen werden.
Diese Telefon- und Kommunikationszeiten gehen deutlich über das hinaus, was den Strafgefangenen in normalen Zeiten in Bayern zugestanden wird. Grundsätzlich ist das nur ein Telefonat alle zwei Monate für 20 Minuten; zusätzliches Telefonieren nur in dringenden Ausnahmefällen, etwa für Gefangene mit sehr weit entfernt lebenden Angehörigen - sie dürfen ein- bis zweimal im Monat telefonieren. Telefonate zu Bewerbungszwecken oder zur Anbahnung eines Mietverhältnisses werden oft abgelehnt. Eine Unterstützung bei der Resozialisierung ist in diesen Fragen nicht angesagt.
Wegen dieser prekären Situation haben im November 530 Häftlinge aus Straubing eine Petition mit dem Titel »Isolation ist keine Option!« an den bayerischen Landtag unterzeichnet, zusammen mit etwa 25 000 weiteren Unterstützern. Erreicht werden sollen auch nach der Pandemie längere Telefonzeiten zusätzlich zu persönlichen Besuchen. Hierfür müsste das bayerische Strafvollzugsgesetz geändert werden. In anderen Bundesländern sind bereits längere Telefonzeiten möglich, auch über Apparate, die in den Fluren installiert sind. Für die Gefangenen werden dann bestimmte Nummern von Angehörigen frei geschaltet.
Neben dem Telefonieren sind die persönlichen Besuche der wichtigste Faktor dafür, das soziale Umfeld zu erhalten und zu stabilisieren. Wie in allen bayerischen Justizvollzugsanstalten wurde in Straubing kurz vor Weihnachten zwar der Personenkreis unter den Verwandten erweitert, der für diese Besuche zugelassen ist, aber nicht die Zeit und die Anzahl der Personen. Mit der zweiten Corona-Welle kann das nicht begründet werden: Bislang haben sich in der JVA nach Aussagen der Leitung in diesem Jahr lediglich drei Gefangene angesteckt, einer von ihnen war ein bereits infizierter Neuzugang. Die beiden anderen handelten sich das Virus offenbar über einen Bediensteten ein. Insgesamt gibt es hier aktuell 717 Inhaftierte.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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