Verscheucht, aber ohne Zuhause

In den Ecken der weihnachtlichen Idylle von München werden Obdachlose Ziel von Polizeikontrollen zur nächtlichen Corona-Ausgangssperre

  • Michael Trammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Kurz vor Weihnachten herrscht nachts gespenstische Leere in der Münchner Innenstadt. Die Kaufinger Straße, Münchens zentrale Einkaufsmeile, ist mit Lichterketten und Girlanden behängt. Der Kitsch blinkt von allen Fassaden. Traditionelle Weihnachtslieder säuseln aus Lautsprechern des Warenhauses Oberpollinger.

Ein älterer Herr liegt in einen Schlafsack gewickelt in einer Ecke und hört auf einem Taschenradio Popmusik. Ein Lieferandofahrer radelt durch die Fußgängerzone. Zwei Streifenwagen fahren mit hohem Tempo um kurz nach 21 Uhr vorbei. Unterwegs sind nur noch die, die nicht anders können. Die Corona Pandemie und immer weiter steigende Infektionszahlen haben Bayern fest im Griff: Seit dem 22. Dezember gilt nun eine landesweite nächtliche Ausgangssperre.

Mit ernster Miene hatte Markus Söder am 13. Dezember die neuen Maßnahmen verkündet. Wer die Wohnung zwischen 21 und 5 Uhr verlassen will, braucht nun »triftige Gründe«. Zu diesen zählen medizinische Notfälle, Arbeit, die Betreuung Hilfsbedürftiger, Minderjähriger sowie Sterbender, den Hund auszuführen oder »ähnlich gewichtige und unabweisbare Gründe«. Private Feiern und Treffen sollen so unterbunden werden. In den Innenstadtbereichen Bayerns hätten sich unvernünftige Menschengruppen zum Glühwein trinken getroffen und gegen Hygieneempfehlungen verstoßen. Das mache den Schritt notwendig.

Bei Verstößen gegen die Ausgangssperre wird ein empfindlich hohes Ordnungsgeld von mindestens 500 Euro fällig. Seit dem 16. Dezember galt dies in Bayern bereits in Landkreisen, die einen 7-Tages-Inzidenzwert von mehr 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen aufweisen. Der bayerische Verfassungsgerichtshof urteilte, dass die Ausgangssperre weder gegen die bayerische Verfassung noch gegen das Rechtssstaatprinzip verstoße oder Freiheitsgrundrechte verletze.

An Weihnachten zeigt sich im Münchner Innenstadtbereich, wie die Maßnahmen der Landesregierung in der Praxis aussehen. Auf der Sonnenstraße stehen um 21:20 Uhr, kurz nach Inkrafttreten der Ausgangssperre, vier hastig abgestellte Streifenwagen. Mehrere Polizist*innen umringen zwei Personen, die im Eingang eines geschlossenen Geschäftes sitzen und reden auf sie ein. Beide werden abgeführt - warum bleibt unklar. »Die Kommunikation ist gelinde gesagt, sehr schwierig... Ich weiß bisher nur, dass er dunkelhäutig ist«, ist die Meldung eines Beamten aus einem lauten Funkgerät zu hören. Die Autos fahren zügig davon.

Etwa 50 Meter weiter sitzt eine weitere Gruppe vor dem Musikgeschäft Hieber Lindberg auf dem Boden und beobachtet die Situation. Sie sind in Schlafsäcke, Winterjacken und Decken gehüllt. Auch sie hätten schon Probleme mit der Polizei gehabt, erzählen sie. Jeden Tag sei es ein Katz und Maus Spiel. Sie würden verscheucht, hätten aber kein Zuhause, wo sie bleiben könnten.

In Sichtweite am Stachus kontrollieren und durchsuchen Polizist*innen im Eingang eines menschenleeren Kinos kurze Zeit später einen jungen Mann, der nicht-weiß ist. Nach Taschen und Körperdurchsuchung darf er gehen. Zufällig ausgewählt oder doch Racial Profiling?

Mit Journalist*innen wollen die eingesetzten Beamten eigentlich nicht reden und verweisen an die Pressestelle. Lediglich, dass sich die Verstöße im Innenstadtbereich subjektiv häuften, lässt sich den Beamten entlocken.

Die Münchner Polizei sagt auf Anfrage, dass 100 bis 200 Beamte alleine in München mit der Kontrolle der nächtlichen Ausgangssperre beauftragt sind. Über 3000 Verstöße hat das Innenministerium seit dem 16. Dezember bayernweit bereits festgestellt. Wie viele der Verfahren sich gegen Menschen ohne festen Wohnsitz richten, kann das Innenministerium auf Anfrage nicht mitteilen. Ob die Situation Obdach- und Wohnungsloser speziell bedacht wird bei der polizeilichen Einsatzplanung, ist mindestens fraglich.

Bereits im Sommer war es, nachdem ein Video eines gewaltsamen Polizeieinsatzes mit rassistischer Dimension am Münchner Gärtnerplatz auf Instagram viral gegangen war, zu einer Auseinandersetzung der Münchner Stadtgesellschaft mit den erweiterten Befugnissen der Polizei im Zuge der Corona Pandemie gekommen. Die Linkspartei fragte damals über den Stadtrat bei der Polizei an, nach welchen Kriterien Menschen für Kontrollen gewählt würden. Eine Antwort gab es nicht.

Es bleibt der Eindruck, dass vor allem bereits marginalisierte, als fremd und unerwünscht Markierte, von den Kontrollen der Ausgangssperre betroffen sind. Der Rest der Gesellschaft bleibt aus Angst vor astronomischen Strafen zu Hause oder geht zügig und zielstrebig vorbei. Bis zum zehnten Januar soll die Ausgangssperre mindestens weiter gelten.

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