Rolle rückwärts von der Schanze

Polens Skispringer werden nach negativen Testreihen doch noch zur Tournee zugelassen

  • Christoph Leuchtenberg, Oberstdorf
  • Lesedauer: 3 Min.

Kamil Stoch war die Ruhe selbst. Während in seiner Heimat ein Sturm der Empörung über den Ausschluss der polnischen Skispringer vom Auftakt der Vierschanzentournee tobte, jonglierte der Volksheld im Teamhotel zur Ablenkung am ersten und letztlich einzigen Quarantäneabend bestens gelaunt mit bunten Kugeln. Der zweimalige Tourneesieger schien überzeugt: Diese Entscheidung wird nicht zu halten sein. Nach 24 Stunden Corona-Chaos behielt er recht - die Polen dürfen nun doch mitmischen.

»Wir sind ausgesprochen glücklich über diese Nachrichten, die auch gute Nachrichten für den Sport sind. Denn da sollte immer der Beste gewinnen«, sagte Sandro Pertile, Renndirektor des Skiweltverbandes Fis. Zuvor war eine erneute Testreihe bei den Polen negativ ausgefallen, und das Gesundheitsamt Oberallgäu hatte Stoch und Co. aus der Quarantäne entlassen.

Dass die Polen, die am Montag nach dem positiven Test bei Klemens Muranka aus dem Starterfeld von Oberstdorf genommen worden waren, nun doch um den Tourneesieg kämpfen dürfen, nahm selbst die Konkurrenz spürbar erleichtert auf. »Es ist eine der stärksten Nationen, und es sollen einfach die besten mitspringen«, sagte der deutsche Nationaltrainer Stefan Horngacher, der selbst einige Jahre die Polen trainiert hatte.

Vorangegangen war eine 24 Stunden lange Corona-Posse, die sogar höchste politische Kreise gezogen hatte. Während der polnische Boulevard von einer »Schande« schrieb, schaltete sich das Sportministerium ein. Und die Oberstdorfer Veranstalter erhielten verstimmte Post von Polens Generalkonsulat in München. Diese hätten noch einmal sehr konkret »nach den Gründen gefragt«, sagte Florian Stern, Generalsekretär des Oberstdorfer Organisationskomitees.

Nach dem positiven Test bei Muranka am Sonntagabend war das Gesundheitsamt am folgenden Morgen im Teamhotel vorstellig geworden, hatte sämtliche Polen als »Kontaktgruppe 1« eingestuft und Quarantäne angeordnet. Die Tournee-Veranstalter schlossen daraufhin auch die negativ getesteten Springer um Titelverteidiger Dawid Kubacki und den zweimaligen Gesamtsieger Stoch aus.

Das Ergebnis einer zweiten Testreihe fiel dann bei allen - Muranka inklusive - negativ aus, lag aber erst während der Qualifikation am Montagnachmittag vor. Als dann am Dienstagmorgen auch ein dritter Test Entwarnung gab, entließ das Gesundheitsamt die Polen aus der Quarantäne. Sie wurden ins Feld für den Wettkampf am Dienstagabend (nach Redaktionsschluss) integriert, das nun 62 Starter umfasste. Die Qualifikation am Montag wurde für gegenstandslos erklärt.

Der Fall bleibt rätselhaft. Fakt sei laut Stern, dass die »erste Probe Murankas mehrmals nachgetestet wurde und definitiv positiv war«. Das alles wirft Fragen nach der Tauglichkeit des Tournee-Testkonzepts auf. »Wir versuchen, es anzupassen, um solche Fälle zu vermeiden«, sagte Renndirektor Pertile und stellte obligatorische Doppeltests in Aussicht.

Die Polen durften aufatmen, gänzlich aus der Schusslinie sind sie aber nicht. Während andere Nationen ein penibles Hygienekonzept fahren, müssen sie sich mindestens Nachlässigkeiten nachsagen lassen. Sie sollen am Sonntag gemeinsam in einem Kleinbus nach Oberstdorf gefahren sein, worauf auch Pertile anspielte: »Zehn Stunden in einem Minibus - da weiß man nicht, was passiert.«

Das Gesundheitsamt nahm der Fis-Verantwortliche ausdrücklich in Schutz: »In Zeiten eines harten Lockdowns müssen wir schon froh sein, so eine Veranstaltung durchführen zu können«, sagte Pertile: »Im Gesundheitsamt arbeiten auch nur Menschen, und wir sind froh, mit ihnen zusammenzuarbeiten.«

Die Coronatests bleiben allerdings ein Risiko für alle Mannschaften. Auch im deutschen Team hatte es einen positiven Fall bei einem Physiotherapeuten des B-Kaders unmittelbar nach der Anreise gegeben. »Auch der Physio wurde im Nachgang negativ getestet. Das ist eine ganz skurrile Situation«, sagte Horngacher, »aber wir müssen uns jetzt auf den Sport konzentrieren.«SID/nd

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