Liga am Limit
Die kommenden Monate werden für die Fußball-Bundesliga zur besonderen Herausforderung. Von Frank Hellmann
Wenn der Mannschaftsbus des SV Werder früher die Rampe am Osterdeich zum Weserstadions hinabfuhr, gab Florian Kohfeldt dem Fahrer gern ein Zeichen: Langsam, ganz langsam! Um die Emotionen der Zuschauer ins nächste Bundesligaspiel zu tragen. Seit dem Ausschluss der Fans in der Coronakrise beschleicht den Trainer des SV Werder nur noch das Gefühl »in einem schlechten Western« zu sein. Mit dem Heimspiel gegen Union Berlin an diesem Samstag setzen die Bremer nur zehn Tage nach dem Pokalspiel bei Hannover 96 (3:0) diese merkwürdige Spielzeit fort, die nicht nur Kohfeldt als »emotionale Diaspora« empfindet.
Immerhin rollt der Ball im neuen Jahr unverzüglich weiter. Das ist im Vergleich zu vielen anderen Sportarten oder dem komplett eingestellten Amateurfußballbetrieb viel wert. Wobei die Bundesliga trotzdem ihre »anstrengendste und herausforderndste Saison der Geschichte« erlebt, wie Christian Seifert kürzlich festhielt. Auf rund eine Milliarde Euro beziffert der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga den Umsatzeinbruch in der aktuellen Saison. Bislang gelingt es den wenigsten Klubs, ordentlich gegenzusteuern. Selbst Schwergewichte wie Borussia Dortmund reiten wirtschaftlich auf der Rasierklinge.
Für die Wintertransferperiode deuten sich vielerorts Notverkäufe wie dem von Bas Dost von Eintracht Frankfurt an: Den niederländischen Mittelstürmer haben die Hessen noch an Heiligabend zum FC Brügge verscherbelt, um den Großverdiener von der Gehaltsliste zu bekommen. Interessant, was Vorstandsmitglied Axel Hellmann im Vereins-Podcast stellvertretend für viele Traditionsvereine sagte: »Die Eintracht hat zwei Weltkriege überlebt, jede wirtschaftlich und sportliche Krise - sie wird auch Covid 19 überstehen. Aber die Schneisen, die diese Krise schlägt, werden enorm sein.« Die Hoffnung auf die Rückkehr der Zuschauer für dieses Frühjahr hat Hellmann gleichwohl nicht aufgegeben.
Sportlich ist Frankfurt im Soll, was der Nachbar FSV Mainz 05 nicht von sich behaupten kann. Vor dem Spiel beim FC Bayern am Sonntagabend haben die Mainzer einen Kahlschlag in der Leitungsebene vorgenommen. Der ehemalige Trainer Martin Schmidt versucht sich nun als Sportchef, der einstige Manager Christian Heidel kehrt als Allesmacher zurück, obwohl gerade er in seiner Zeit in Gelsenkirchen die Dauerkrise des FC Schalke 04 mitverursacht hat. Dass die Königsblauen mit Christian Gross bereits den dritten Cheftrainer der Saison probieren, belegt das in beiden Klubs entstandene Chaos. Doch Zeit genug ist allemal, dass sich hier wie dort noch etwas dreht. Allein im Januar sind wegen des späten Saisoneinstiegs sechs Spieltage anberaumt.
Völlig unbeirrt zieht der FC Bayern sein Ding durch. Größte Münchner Herausforderung wird der enge Terminplan sein, der bis zum 29. Mai, dem Tag des Champions-League-Endspiels, für einige Stars mit allen Verpflichtungen inklusive Länderspielen bis zu 38 Pflichtspieleinsätze bedeuten könnte. Nicht umsonst konstatiert Bayerns Fitnessexperte Holger Broich: »Wir haben das Limit erreicht. Und überschritten.«
Immerhin: Mit den Bayern, Leipzig, Dortmund und Mönchengladbach überwintert erstmals seit 2014 das komplette deutsche Quartett in der Champions League. Fraglos ein Qualitätsmerkmal, wobei Franzosen, Engländer oder Spanier inzwischen in deutschen Vereinen deutlich mehr beitragen als deutsche Nachwuchskräfte. Der 17-jährige Leverkusener Florian Wirtz fällt auf, aber viel mehr ist da nicht.
Bundestrainer Joachim Löw kann diese Entwicklung nicht gefallen. Immerhin bieten ihm die Bayern mit Joshua Kimmich, Leon Goretzka oder Serge Gnabry den edlen 95er Jahrgang an, der Hoffnungen schürt, dass es doch noch eine halbwegs erfolgreiche EM der Nationalmannschaft gibt. Doch dieses Turnier wirkt noch mindestens so weit weg wie die Vorstellung, dass sich Mannschaftsbusse wieder durch Menschenmassen quälen.
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