Mitbestimmung per Videokonferenz

Auch Betriebsräte mussten im Coronajahr improvisieren - bei Themen und Arbeitsweisen

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Corona versetzt Gewerkschaften in Stress« - so betitelte die Nachrichtenagentur dpa jüngst eine aktuelle Umfrage unter Gewerkschaften, die oft Hand in Hand mit den gewählten Betriebsrät*innen arbeiten, um die Krisenfolgen zu bewältigen. Viele Probleme werden vor Ort über Betriebsvereinbarungen geregelt, einiges legen die Gewerkschaften aber auch in Tarifverträgen mit dem Arbeitgeber fest.

Laut dpa berichten viele Gewerkschaften, dass die Pandemie die Mitgliederwerbung extrem erschwert hat, weil schlicht und ergreifend niemand im Betrieb war. »Wir haben zwar deutlich weniger Austritte, aber erhebliche Schwierigkeiten bei der Werbung neuer Mitglieder«, sagte danach DGB-Chef Reiner Hoffmann. »Die Gremienarbeit sei in der Pandemie stark verlangsamt«, ergänzte Ulrich Silberbach, Chef des Deutschen Beamtenbundes, mit Blick auf die Betriebsrät*innen, denen in Zeiten von Lockdown und Homeoffice die Möglichkeit zum informellen Klärungsgespräch, zum kurzen Austausch genommen ist.

Daniel Weidmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, vertritt Betriebsrät*innen aus mehreren Bundesländern und Branchen wie Handel, Industrie oder Gastronomie, wenn es Streit mit dem Arbeitgeber gibt. Als im Frühjahr die erste Welle begann, sprach er gegenüber »nd« von der Anwaltskanzlei als »Kurzarbeitsbetriebsvereinbarungslazarett«. Damals war die Kurzarbeit vielerorts Neuland. Die Betriebsrät*innen waren gefragt beim Abschluss der Vereinbarungen und auch, weil sie nach dem Betriebsverfassungsgesetz beteiligt werden müssen - was viele Arbeitgeber*innen anders sahen. Einige von diesen machten Druck, schnell zu unterschreiben. Teilweise hätten die Betriebsräte selber nicht gewusst, welche Mitbestimmungsmöglichkeiten sie hatten, so der Berliner Anwalt.

Mit Beginn der zweiten Coronawelle hat Weidmann zwar erneut Anfragen zu Kurzarbeitsregelungen erhalten, »aber das ist überhaupt nicht vergleichbar«, sagt er. Ein Blick in die offizielle Statistik bestätigt dies: Im April 2020 meldeten 163 640 Unternehmen Kurzarbeit bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg an, betroffen waren rund 2,64 Millionen Beschäftigte. Im November 2020 lagen der Bundesagentur rund 59 000 Anzeigen für Kurzarbeit vor; betroffen waren rund 540 000 Beschäftigte.

»Die meisten haben damals längerfristige Rahmenvereinbarungen geschlossen, was sich zumindest aus Arbeitgebersicht als schlau erwiesen hat«, erläutert Weidmann. »Sie haben sich damit die Möglichkeit geschaffen, die Kurzarbeit nach Bedarf wie ein Ventil auf- und zuzudrehen.« Viele der im Frühjahr geschlossenen Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit laufen bis Jahresende oder länger. Je nach Bedarf kann sie dann laut den neuen Regeln eingesetzt und wieder abgestellt werden - unter Beteiligung des Betriebsrates.

Viele Gremien hätten sich in 2020 »auf das aus ihrer Sicht Wesentliche« konzentriert, so Weidmann. Das seien neben den Kurzarbeitsvereinbarungen auch die Vermeidung von Personalabbau gewesen oder der »Alltagswahnsinn«, wenn etwa Eltern die Kinderbetreuung und die Arbeit in der Pandemie nicht mehr unter einen Hut bekamen. Der Gesundheitsschutz habe da manchmal ein bisschen hintenangestanden, aber dessen Wichtigkeit sei in diesem Jahr besonders deutlich geworden, sagt der Arbeitsrechtler. »Neben dem Infektionsschutz betrifft das besonders die ergonomischen Arbeitsplätze. Die Kolleg*innen leiden massiv unter den körperlichen Folgen von Homeoffice. Wenn man über Monate am Küchentisch arbeitet, streikt irgendwann auch der stärkste Rücken.«

Und sein krassester Fall von Mitbestimmungsverletzung wegen Corona? »Ein Arbeitgeber sagte im Vorfeld einer Betriebsratswahl, dass es wegen der Infektionsschutzmaßnahmen ja unmöglich sei, sich zu treffen. Darum sei keine Meinungsbildung möglich. Deshalb versuchte dieser Arbeitgeber, die Betriebsratswahl zu verhindern und die Wahlversammlung mit Verweis auf den Infektionsschutz juristisch zu torpedieren.« Letztlich unterlag der Arbeitgeber vor Gericht, und die Wahl konnte stattfinden.

Eine positive Folge der Pandemie sieht Weidmann dann aber auch: »Viele Betriebsräte haben gelernt, dass man sich nicht immer gleich treffen muss. Es reicht oft eine Videokonferenz, wo man sonst vielleicht noch mit dem Auto in den Betrieb gefahren ist.« Voraussetzung dafür ist selbstverständlich eine funktionierende Software - und deren Einführung ist mitbestimmungspflichtig.

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