Bildpolitik im Geburtsstall

In den Darstellungen der Heiligen Drei Könige steckt kolonialrassistisches Denken

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie bleiben in der Kiste. Alle drei. Wenn die Kirchen am 6. Januar das Fest der Heiligen Drei Könige feiern, muss die Krippe im Ulmer Münster auf die angestammte Gruppe der morgenländischen Weisen verzichten. Schon im Herbst beschloss die Gemeinde, die Figuren nicht aufzustellen. Zum Ensemble des Bildhauers Martin Scheible (1873-1954) gehört ein Schwarzafrikaner mit Gummibootlippen und überdimensionierten Goldohrringen in grotesker Tänzerpose. Darauf, dass solche Stereotype rassistisch sind, hätte man schon früher kommen können, räumte Dekan Ernst-Wilhelm Gohl gegenüber dem SWR ein. Doch erst die »Black Lives Matter«-Bewegung habe noch stärker für das Problem sensibilisiert.

Erinnern wir uns: Ein Teil der Proteste, die im vergangenen Mai auf den durch (weiße) Polizisten verursachten Tod des Afroamerikaners George Floyd folgten, richtete sich auch gegen Kunstwerke, in denen die Versklavung und Diskriminierung von Nichtweißen verharmlost wird. Demonstranten holten etwa eine Statue des Seefahrers Christoph Kolumbus vom Sockel. Dessen Amerika-Entdeckung hatte das vermutlich brutalste Kapitel der Kolonialisierung eröffnet.

Angesicht der Aktualität rassistischer Gewalt schien die Entscheidung der evangelischen Münstergemeinde aus Ulm überfällig. Doch nicht überall in den christlichen Kirchen stieß die Verbannung der Dreiergruppe auf Verständnis. So zitiert etwa das Nachrichtenmagazin »Focus« einen Sprecher des katholischen Bistums Regensburg mit folgenden Worten: »Klar ist, dass die Darstellung des Königs Melchior als Mensch schwarzer Hautfarbe nichts gemein hat mit rassistischem Denken. So beraubt man mit Unterstellungen eine lange Tradition ihrer Unbefangenheit und unterwirft sie einem unangemessenen Anpassungsdruck.«

Aber stimmt das? Gewiss, Scheibles in den 1920ern entstandener Krippenmonarch stellt ein besonders krasses, aus der christlichen Überlieferung ausscherendes Beispiel dar. Der Federschmuck auf dem Kopf und die animalische Tänzergeste scheinen eher von klischeehaften Vorbildern kolonialzeitlicher Völkerschauen der wilhelminischen Ära inspiriert. Dort wurden Bewohner der militärisch besetzten Überseegebiete zu entwürdigenden Auftritten gezwungen, um dem deutschen Publikum ein vermeintlich exotisches Spektakel zu bieten. Spätmittelalter, Renaissance und Barock verkörpern den »schwarzen König« dagegen als schönen jungen Mann, in majestätischem Brokat gewandet und in der würdevollen Pose antiker Götterstatuen. Gleichwohl enthüllt ein tieferer Blick in die Kunstgeschichte, dass die Darstellungstradition des gabenbringenden Terzetts ideologisch keineswegs so unbefangen war, wie der Vertreter des Bistums Regensburg glaubt.

Die Probleme beginnen schon mit dem für Christen immer noch wichtigsten Referenztext zum Weihnachtsfest, dem Matthäus-Evangelium. Dort ist nämlich nur von »magoi« die Rede, was man meist mit »Sterndeutern«, »Weisen« (Luther) oder eben »Magiern« übersetzt, nicht aber mit »Königen« und schon gar nicht mit »Heiligen Königen«. Ebenso wenig äußert sich der Evangelist über die Hautfarbe der spendablen Astronomen, die Weihrauch, Gold und Myrrhe im Gepäck hatten. Fast alle Attribute, die heute die Orientweisen begleiten, sind Zutaten späterer Jahrhunderte.

Es war ein altenglischer Mönch namens Beda, der einen der Könige im 8. Jahrhundert als fuscus (dunkel) beschreibt, was sich aber auch auf Haar- oder Bartfarbe beziehen könnte. Erst das späte Mittelalter erfand einen eindeutig aus Afrika kommenden »schwarzen König«, als welcher, je nach Quelle, mal Caspar, mal Melchior gilt.

An der Sieneser Domkanzel von Nicola Pisano mischen sich unter das Gefolge (der noch durchgängig europäisch dargestellten Könige) erstmals zwei afrikanisch wirkende Kamelreiter. Bald gehen die Künstler einen Schritt weiter und verleihen auch einem der drei Weisen selbst schwarzbraunes Inkarnat. Von Hans Memling über Albrecht Dürer bis Andrea Mantegna. Einige Kunsthistoriker und Theologen deuten die Zäsur als Beleg einer neuen Toleranz gegenüber dem Fremden, dem im göttlichen Heilsplan ein gleichberechtigter Platz zukomme. Auch die Farbe Schwarz erfuhr seinerzeit, etwa in der Mode von Amtsträgern, eine Imageaufwertung. Aber begegnete Europa Afrikanern plötzlich wirklich respektvoller? Botticelli blieb 1476 bei der älteren Auffassung und ließ seine drei Könige alle weiß, denn für ihn sollten sie die Medici verkörpern. Und einen Angehörigen des Bankier-Clans dunkelhäutig zu malen, wäre sicher zu viel der Toleranz gewesen.

Schaut man indes auf Memling, den älteren Cranach, Hieronymus Bosch und andere, so zeigen diese zwar einen »schwarzen König«, doch nur, um ihn sofort wieder räumlich auszugrenzen und damit abzuwerten. Er ist zumeist derjenige, der im Geburtsstall am weitesten entfernt vom Christuskind steht! Kritische Kunstwissenschaftler halten deshalb nicht mehr viel von der Toleranztheorie.

Parallel zur neuen Ikonografie der Jesuskindbesucher entwickelt sich an Europas Adelshöfen die Mode, sich Afrikaner als »Hofmohren« zu halten. Sicher auch, weil mit dem Beginn der kolonialen Expansion ab 1415 (der portugiesischen Eroberung Ceutas) andersfarbige Menschen stärker ins europäische Bewusstsein treten, führt die Kunst den dunkel pigmentierten König ein. Dabei betreibt die neue Darstellungspraxis gezielte Bildpolitik zur Legitimation kolonialer Unterdrückung. Die drei Könige wechseln die Funktion. Obwohl sie laut Bibel aus dem Morgenland kommen, fungieren sie in vielen Gemälden als Allegorie der drei damals bekannten Erdteile Europa, Asien und Afrika. Dass sie alle nach Bethlehem pilgern, suggeriert den christlichen Anspruch, über die gesamte Welt zu herrschen.

Mit der Fiktion des »Mohrenkönigs« schuf Europa sich selbst eine Projektionsfläche für Phantasmen aller Art. Sexuelle Ausbeutung inbegriffen. Nehmen wir Dürers Könige aus den Florentiner Uffizien (1504). Der mittlere, der die Züge des Künstlers selbst trägt, blickt dem Schwarzen unverschämt auf die leuchtend rot bestrumpften Beine. Erfüllt sich der bisexuelle Dürer hier den Wunschtraum von einem exotischen Lustsklaven?

Wer dem Dreikönigsthema spirituelle oder nostalgische Unschuld unterstellt, ignoriert damit das Leid, das Millionen Menschen im Namen kolonialrassistischer Ideologie ertragen mussten. Der »schwarze König« bleibt in der christlichen Kunst gegenüber den beiden weißen explizit der andere, der mit der Anbetung gefälligst zu warten hat. Auch mithilfe solcher versteckten Details propagierte Europa die hierarchische Unterteilung und Ungleichbehandlung von Menschengruppen aufgrund physiognomischer Merkmale. Fast am Ende dieser Entwicklung, und nicht an deren Anfang, steht Ulms Königstrio, das nun, Gott sei Dank, in der Kiste bleibt.

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