Das Prinzip Links

Gerda Weber gestorben

  • Ulrich Mählert
  • Lesedauer: 3 Min.

Neulehrerin, SED-Nachwuchskader, Untersuchungshäftling, Hausiererin, Vortragsreisende in Sachen politischer Bildung, Historikerin und Autorin, Privatsekretärin und Lektorin, Sammlerin und Mäzenin - all dies und noch vieles mehr war Gerda Weber im Verlauf ihres langen Lebens, das am 15. September 1923 in Perleberg seinen Anfang nahm. Die Erfahrung der Diktaturen des 20. Jahrhunderts hatte nicht nur sie zur überzeugten und streitbaren Demokratin gemacht, sondern auch ihren Mann Hermann.

Den Mannheimer Jungkommunisten und FDJ-Funktionär hatte sie 1947 auf der SED-Parteihochschule kennen und lieben gelernt. Als die beiden 1951 heirateten, hätten sie sich nicht im Traum vorstellen können, dass ihnen gemeinsam 64 Jahre »Leben nach dem ›Prinzip Links‹« vergönnt sein würden. So war ihre Autobiografie überschrieben, die 2006 im Verlag ihres Freundes Christoph Links in Berlin erschienen ist. Dort kann man nachlesen, wie die beiden mit dem Kommunismus brachen und trotzdem über Monate in der Bundesrepublik wegen »kommunistischer Umtriebe« in Untersuchungshaft saßen. Wie sich das Paar in den 50er Jahren mühsam über Wasser hielt. Wie Hermann in den 60er Jahren ohne Abitur studierte und ab den 70ern zum Nestor der DDR- und Kommunismusforschung avancierte. Und wie Gerda als Referentin in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit unterwegs war, über den Demokratischen Frauenbund (DFD) der DDR und die Frauenpolitik im ostdeutschen Staat forschte und schrieb sowie ihre Leidenschaft für Briefbeschwerer entdeckte. Ihre riesige, über Jahre zusammengetragene Sammlung hat sie erst jüngst an dem Glasmuseum in Wertheim vermacht.

Die Friedliche Revolution in der DDR und die Wiedererlangung der deutschen Einheit waren in beiderlei Hinsicht für Gerda und Hermann ein Höhepunkt ihres Lebens. Für Gerda brachten sie die Wiedervereinigung mit ihrer Schwester Dorothea, die zu sehen ihr über Jahrzehnte verwehrt war. Der historische Epochenumbruch wurde zudem der Ausgangspunkt unzähliger neuer Bekanntschaften, die sich nicht selten zu Freundschaften entwickelten. Dabei waren Gerda und Hermann Brückenbauer zwischen West und Ost. Am Werden und Gedeihen der 1998 gegründeten Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur nahmen die beiden von Beginn an regen Anteil, Hermann ganz formell als Mitglied des Stiftungsrats. 2003 riefen sie die unselbstständige Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung in Treuhänderschaft der Bundesstiftung Aufarbeitung ins Leben, die die Auseinandersetzung mit der Kommunismusgeschichte fördern soll.

Als Hermann Weber 2014 verstarb, zeigte Gerda, wie viel Kraft in ihrem gesundheitlich angeschlagenen Körper steckte und wie wach und energisch ihr Geist noch im höchsten Alter war. Trotz des großen Verlustes behielt sie ihren Lebensmut. Auch dann noch, als sie aus ihrer vertrauten Umgebung ins Pflegeheim umziehen musste. Selbst die Isolation, die das vergangene Jahr mit sich brachte, nahm sie mit Gleichmut hin. In regelmäßigen Telefonaten verwies sie auf neue Bücher oder TV-Sendungen, die ihr für die Arbeit der Bundesstiftung Aufarbeitung wichtig erschienen. Besondere Genugtuung bereitete ihr die von ihr angestoßene und finanziell geförderte Hermann-Weber-Konferenz zur Historischen Kommunismusforschung, die seit 2019 alljährlich stattfindet; kurz vor Weihnachten übermittelte sie noch ihre Zustimmung zu den für 2022/23 geplanten Konferenzen. Zu diesem Zeitpunkt waren ihre Kräfte jedoch schon merklich geschwunden. Die Telefonate blieben herzlich, wurden aber kürzer.

Gerda Webers heimlicher Wunsch, die 100 Jahre vollzumachen, sollte ihr leider nicht erfüllt werden. Am 2. Januar entschlief sie für immer.

Dr. Ulrich Mählert studierte an der Universität Mannheim und promovierte bei Hermann Weber über die Freie Deutsche Jugend (FDJ); er ist leitender Mitarbeiter der Bundesstiftung Aufarbeitung und Vize-Beiratsvorsitzender der Gerda-und-Hermann-Weber-Stiftung.

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