Scheiß auf Selfcare

SCHWARZ AUF WEIß: Sheila Mysorekar fragt sich, warum die Medien in der Corona-Pandemie die Marketingkampagne der deutschen Wirtschaft mittragen

  • Sheila Mysorekar
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf den Kapitalismus ist Verlass: Gib ihm egal was – eine tödliche Pandemie, zum Beispiel – und er verwurstet es zu seinem Vorteil. Und verkauft dir das obendrein als Superchance für dein Leben.

Nehmen wir dieses grassierende Gerede von Entschleunigung: Nichts anderes als eine clevere Marketingkampagne, um den sozialen Druck, der auf vielen Menschen lastet, zu kaschieren. Und die ihnen obendrein die Verantwortung für ihr pandemiebedingtes Leistungstief in die Schuhe schiebt.

Sheila Mysorekar
Sheila Mysorekar ist Journalistin und war langjährige Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Heute ist sie Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem bundesweiten Netzwerk aus rund 170 postmigrantischen Organisationen. Für „nd“ schreibt sie die monatliche Medienkolumne „Schwarz auf Weiß“.

Momentan haben wir hohe Infektionszahlen und sitzen in einem Lockdown, der mit Ansage kam. Man hätte vernünftigerweise schon im November alles dichtmachen müssen. Aber nein, die Wirtschaft! Der Einzelhandel! Das Weihnachtsgeschäft! Wir durften also malochen und shoppen; alle andere Tätigkeiten, die keinen Umsatz generierten, waren verboten. Und jetzt dürfen wir nur noch malochen.

Im Politikersprech klingt das so: »Wir müssen die Wirtschaft am Laufen halten.« Beim Arbeiten darf man sich ruhig mit Covid infizieren; das ist völlig in Ordnung. Man hat sich sozusagen rechtschaffen infiziert, nicht bei so überflüssigen Dingen wie Geburtstagsfeiern oder Sport.

Das muss man den Leuten aber erstmal vermitteln. Es gibt einen gewissen logischen Bruch, wenn man zwar keine Freund*innen treffen soll, wohl aber am Fließband oder in der Schlange beim Supermarkt stehen darf.

Obwohl unser Sozialleben wegbricht und die Kinderbetreuung auf Null geht, soll gewährleistet sein, dass unsere Arbeitsleistung konstant bleibt. Deswegen wird uns das gähnende Loch in unserem Privatleben und die notwendige Beschränkung des Radius auf unsere Wohnung als »Wellness« verkauft: Diese Entschleunigung tut doch so gut, endlich keine Hetze, schön zur Ruhe kommen - hier, trink noch einen Superfood-Smoothie. Um danach mit maximaler Arbeitskraft das Bruttosozialprodukt zu steigern.

Entschleunigung im Lockdown ist super - unter ein paar Voraussetzungen:
Erstens braucht man einen Job, in dem man überhaupt Home Office machen kann. Zweitens eine große Wohnung, so dass man nicht am Küchentisch arbeiten muss, den man sich mit noch weiteren Heimarbeitenden teilen muss. Dritte Voraussetzung: Man muss nicht gleichzeitig schulpflichtige Kinder betreuen. Und viertens: Man muss psychisch stabil genug sein, um die soziale Isolation zu ertragen.

»Wir müssen die Wirtschaft am Laufen halten« ist ebenso wie »der Markt regelt das« ein Mantra, eine magische Beschwörungsformel, die von Regierenden und Vorstandsvorsitzenden vorgebetet wird, und die Medien beten sie nach. Eine Religion mit Friedrich Merz als Hohepriester.

Jetzt sind noch ein paar weitere Zauberformeln dazu gekommen, um die Gläubigen dieser Religion trotz Pandemie funktionsfähig zu halten. »Sich auf das Wesentliche besinnen« – also auf Deutsch: arbeiten, online shoppen und fernsehgucken. Oder Selfcare: arbeiten, online shoppen und Duftöle in die Badewanne schütten.

Wieso machen die Medien - von der Süddeutschen Zeitung über den SWR bis zur Apotheken-Umschau - bei dieser Marketingkampagne mit? Achtsamkeit und Selfcare, ja wie denn? Es geht nur darum, die Funktionsfähigkeit der Arbeitnehmer*innen aufrechtzuerhalten, damit tataa! der Profit garantiert ist, die Dividende, der große Reibach. Also damit die Reichen noch reicher werden, was in der Pandemie weltweit bisher hervorragend geklappt hat.

Angesichts zunehmender Wissenschaftsfeindlichkeit müssen Medien den Bürger*innen glaubhaft erklären, warum auch harte Maßnahmen gegen Covid-19 richtig und zielführend sind. Dann sollten sie aber nicht im Marketingmodus agieren. Wer in der Pandemie unter Einsamkeit, beengten Wohnverhältnissen, mangelnder Kinderbetreuung oder gesundheitsgefährdeten Arbeitsbedingungen leidet, fühlt sich von dem Selbstoptimierungsgerede verarscht. Zu Recht.

Vielleicht spiegelt es aber auch das privilegierte Leben jener Journalist*innen, die aus bürgerlichen Haushalten kommen, mit genug Wohnraum und eigenem Garten, wo ein Lockdown tatsächlich als Wellness-Erfahrung verbucht wird. Aber die Realität vieler Menschen sieht sehr anders aus.

Wenn man die Menschen in dieser Coronakrise mitnehmen möchte, damit sie alle notwendigen Maßnahmen auch unterstützen, dann muss man sie mit Respekt ansprechen - das gilt für die Politik ebenso wie für die Medien. »Diese Entschleunigung tut doch richtig gut« ist weltfremdes Geschwurbel. Dann sagt doch lieber gleich: »Arbeiter, rollt eure Yogamatten aus!«

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