SPD vor der Vertrauensfrage

Berliner Initiativen werfen der Partei fehlende Konsequenz bei Mieterschutz vor

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Formal ist Volker Härtig bereits im Dienst für die Wohnraumversorgung Berlin (WVB). »Nachdem Herr Härtig das Auswahlverfahren erfolgreich für sich entscheiden konnte, hat er seine neue Stelle diese Woche angetreten«, erklärt am Donnerstag Eva Henkel, die Sprecherin von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), auf nd-Anfrage. Die Verwaltung will an der Entscheidung festhalten. SPD-Mitglied Härtig selbst will sich bisher nicht öffentlich dazu äußern. Denn die Personalie ist äußerst umstritten. Sowohl bei den Koalitionspartnern Linke und Grüne als auch in der Berliner Initiativenlandschaft.

Die Berufung Härtigs sorgt für so viel Aufruhr, dass 18 stadtpolitische Initiativen am Donnerstag die Website warum-spd.de geschaltet haben. »Wir stellen der SPD in Berlin drei wichtige Fragen. Für uns ist nicht nachvollziehbar, wie die Fehlentscheidung von Senator Kollatz von der Partei getragen werden kann. Wir wollen wissen, wie die Partei zur Wohnungsfrage steht«, sagt Mareike Witt, die bei der Initiative »100% Tempelhofer Feld« aktiv ist.

Auf der Internetseite wenden sich die Initiativen an die im November 2020 neu gewählten SPD-Landesparteichefs Raed Saleh und Franziska Giffey. Letztere soll auch als Spitzenkandidatin zur Abgeordnetenhauswahl im Herbst antreten. »Warum steht die Berliner SPD nicht konsequent für Mieter*innenschutz?« So lautet die erste Frage. Von der Partei sei als »Antwort auf die Wohnungskrise dagegen fast durchgängig das Mantra ›Bauen, Bauen, Bauen‹ zu hören«, heißt es auf der Internetseite.

»Warum stellt sich die Berliner SPD gegen die demokratische Beteiligung der Berliner*innen?«, lautet die zweite Frage. Die Partei akzeptiere basisdemokratische Ent­scheidungen wie den Volksentscheid zur Nichtbebauung des Tempelhofer Felds nicht.

Zu guter Letzt wollen die Initiativen wissen, warum die Berliner SPD die neue Aufsichtsbehörde für die landeseigenen Wohnungsunternehmen »torpedieren« will. Hier geht es um die Berufung Härtigs zum zweiten Vorstand der Wohnraumversorgung Berlin.

Die Anstalt öffentlichen Rechts beaufsichtigt die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und hat auch gewisse Eingriffsrechte. Sie soll politische Leitlinien in Bezug auf die Wahrnehmung des Versorgungs- und Wohnungsmarktauftrages der Wohnungsunternehmen entwickeln, evaluieren und fortschreiben. Härtig sei ein »expliziter Gegner von Basisdemokratie, Mieter*innenmitbestimmung, sozialem Wohnungsbau und Mietendeckel«. »Härtig fiel bisher nicht etwa als Experte hohen Sachverstands auf, sondern vor allem als ›Pöstchenritter‹ kurzfristiger Geschäftsführungen zahlreicher öffentlicher Einrichtungen«, bekräftigt Horst Arenz von der Initiative Mietenvolksentscheid.

»Die Initiativen stellen die richtigen Fragen, und es ist an der SPD dazu Stellung zu nehmen«, sagt Linke-Landeschefin Katina Schubert dem »nd«. »Wir haben uns dazu positioniert, dass der Vorschlag Härtig einen Affront gegenüber den Initiativen, dem Mietenvolksentscheid und der im Koalitionsvertrag vereinbarten Mietenpolitik von Rot-Rot-Grün darstellt und für uns nicht akzeptabel ist«, so Schubert weiter. Der Berliner SPD-Fraktionschef und Landesvorsitzende Raed Saleh reagierte zunächst nicht auf eine nd-Anfrage.

Nach nd-Informationen hat Härtig bereits versucht, seinen Dienst bei der WVB anzutreten. Bisher allerdings ohne Erfolg. Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) hat bei der letzten Senatssitzung im Jahr 2020 die Zuständigkeit für Personaleinstellungen bei der WVB mit Berufung auf das Wohnraumversorgungsgesetz für seine Verwaltung reklamiert. Sein Haus, die Finanzverwaltung und die Senatskanzlei werden bei der Senatssitzung am kommenden Dienstag Gutachten vorlegen, die die Kompetenzfrage klären sollen.
»Gefordert ist jetzt insbesondere die SPD. Sie sollte im eigenen Interesse überlegen, ob sie mit dieser klaren Fehlbesetzung in einen Wahlkampf gegen die Berliner Mieter*innen und die Mietenbewegung ziehen will«, erklärt Melanie Dyck für die Initiative Kotti & Co.

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