Auf die Fresse

Plattenbau

  • Marius Husmann und Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Der antike Sisyphos gilt als Schlitzohr, als götterverachtender Frevler, dem es mit windigen Tricks immer wieder gelingt, dem Tod zu entkommen. So gesehen gleicht das Leben eines Zeckenrappers dem der griechischen Sagengestalt in mehrfacher Hinsicht: Voller Verachtung für die kommerziellen Götter des Hip- Hops, mehrfach totgesagt und doch am Leben, ist seine Kritik an den herrschenden Machtverhältnissen letztlich nichts anderes als eine ewige Sisyphusarbeit, bei der er statt Felsblöcken mühsam neue Songs auf den Gipfel trägt, um dann doch wieder unterzugehen und von vorne anzufangen.

Der Ostberliner Rapper Pyro One kennt dieses Spiel seit vielen Jahren, gehört er doch zum Urgestein des deutschen Zeckenrap. Mit seiner neuen EP »Sisyphos« trickst auch er seinen musikalischen Tod geschickt aus und versucht vier Jahre nach seinem letzten Album, mit acht neuen Songs erneut den Gipfel zu erklimmen. Dabei geht es ihm jedoch weniger um Ruhm als um musikalische Finesse. An das Revival des Boom Bap anknüpfend, zeigt Pyro One erfrischend, dass dieses Subgenre auch ohne übertriebenen Männlichkeitshabitus funktioniert. Statt des eintönig orchestrierten Hip-Hops der aktuellen Charts bietet die EP eine auffallend organische Instrumentalisierung - ohne dabei aus der Zeit gefallen zu wirken. Dafür sorgen auch die Subbässe, die aus den heutigen trap-lastigen Hip-Hop-Produktionen nicht mehr wegzudenken sind. In »Sisyphos« gelingt es dem Rapper Pyro One und seinem Produzenten Majusbeats, diese unterstützend in die Musik einzufügen und dem Werk dadurch einen loungigen Charakter zu geben, der den Eindruck erweckt, bei seiner Entstehung sei der ein oder andere Joint im Spiel gewesen.

In bester Sisyphos-Manier rechnet der Friedrichshainer Rapper - schlecht gelaunt und mit Plattenbau-Attitüde - mit dem deutschen Hip-Hop gnadenlos ab. Unterwegs in der anonymisierten Großstadt lässt er in den Tracks »10247«, »Alles Bühne« und »Globuli« mit kontrastreichen Beobachtungen lebendige und wenig beschönigende Bilder vor dem inneren Auge entstehen. Zwischen oberflächlichem »Szene-Chic«, dem »Ort wo andere Urlaub machen« und »leeren Mägen an der Frankfurter« liegen »die Bühnen, auf denen man eher auf die Fresse als Applaus« bekommt. Köpi statt Columbia-Halle, Benzingeld statt große Gagen, Keller statt Glamour. Die Anonymität und fehlende Verbindlichkeit, die in Berlin zu oft zu spüren ist, und die ständige Präsenz von Talent und Tatendrang der Stadt, finden in den leicht resigniert klingenden Texten eine technisch einwandfreie Entsprechung.

Pyro One ist sicher nicht der erste Rapper, der seine Stadt und seine Szene kritisch analysiert. Mit dem Track »Waffenstadt Suhl«, in dem die Tristesse der ostdeutschen Kleinstadt stellvertretend für einen gleichsam grauen und einfallslosen Rap steht, gelingt es ihm in gewohnter Zeckrapmanier, präzise zu beschreiben, wie einfach und gefährlich sich Grauzonen-Rap und Mackertum in die Playlists und damit auch in die Gesellschaft fressen und so als akzeptabel etabliert werden. Mit Songs wie »Cash Rules«, in dem das ständige Jagen nach Geld und Erfolg, das »süchtig, doch nicht besser« macht, eindrucksvoll auseinandergenommen wird, ist »Sisyphos« mehr als nur eine einfache Breitseite gegen überproduzierte und trotzdem bedeutungslose Chartmusik. Die Tracks sind immer auch Gesellschaftskritik, die jedoch nicht platt daherkommt, sondern auch Zwischentöne erlaubt.

Dabei ist nicht nur der Zeckenrapper in seiner ertraglosen, zugleich schweren Tätigkeit ohne absehbares Ende gefangen, sondern auch der Rest der Gesellschaft. Im Titeltrack der EP überträgt Pyro One das Bild des antiken Sisyphos auf das alltägliche Streben nach Anerkennung und finanzieller Existenzsicherung, wobei einen die düsteren Texte und durchgängigen Moll-Strukturen bedrückt zurücklassen.

Kann dieser Sisyphos angesichts des Elends in und um ihn herum überhaupt glücklich werden? Die Frage bleibt zwar unbeantwortet, doch die Liebe zum Detail in den Texten und der Produktion und die Erkenntnis, dass es mit Pyro One noch Rapper gibt, die mit Lust und Hingabe gute Musik machen, gibt zumindest dem Hörer ein kurzes Gefühl von Glück.

Pyro One: »Sisyphos« (Das Label mit dem Hund)

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