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Schuld sind die Fensterrahmen
Leo Fischer hat endlich die wahre Ursache der Corona-Pandemie entdeckt
Man hat ja jetzt genug Zeit spazierenzugehen, sich das ganze einen umgebende Gesamtelend eingehender anzusehen und sich im Stillen zu fragen, ob nicht doch das eine mit dem anderen zu tun haben könnte - ob man also von der schlechten Einrichtung der Lebenswelt auf die Katastrophe hätte schließen können oder umgekehrt. Nach einigen hundert Spaziergängen im letzten Jahr wage ich nun eine erste steile These: Es liegt an den Fensterrahmen.
Egal ob im durchgentrifizierten Szenebezirk, im Arbeiter-, Villen- oder Bahnhofsviertel: Überall dort, wo die sogenannte Topsanierung durchgeführt wurde, sieht man jetzt die gleichen scheußlichen weißen Fensterrahmen. Ob aus jahrhundertealter Backsteingotik hervorblitzend oder moderne Anthrazitanstriche komplimentierend: Es sind die immer gleichen, speckig glänzenden und schon nach zwei Wochen völlig vergammelt aussehenden Plastikrahmen.
Zunächst dachte ich, dass es die einzigen Modelle sind, die neuerer Brand-, Wärme- und Klimagesetzgebung entsprechen. Aber bei den Energiesparlampen waren doch auch ganz schnell die warmen LEDs da. Warum also sollte der allmächtige Markt nach einer gewissen Karenzzeit nicht auch Fensterrahmen zur Verfügung stellen, die nicht scheiße aussehen? Dann bemerkte ich, dass überall dort, wo neue Haustüren eingesetzt werden mussten, ebenfalls riesige weiße Plastikdeckel gewählt wurden, oft ganz zier- und fensterlos, im Design an Tupperdosen erinnernd, und mir wurde klar: Die wollen das alle so.
Schon weit vor Corona hatten zahlreiche Wohnungseigentümergemeinschaften und Renovierungsanstalten beschlossen, dass die Leute in Tupperdosen leben sollen, und die Leute haben nicht nur nicht widersprochen, sondern die Selbstvertupperung nahtlos in ihren Lebensstil integriert. Dass es sich um ein klassenübergreifendes Phänomen handelt, zeigt, dass es um mehr geht als rein ökonomische Zwänge, sondern um Ideologie. Wo Menschen in Gründerzeithäuser ziehen, nur um dann Lego-Plastik in ihnen zu verbauen, geht es nicht um Geld, sondern um eine Botschaft. Einerseits ist da dieses schrankenlose Sicherheitsbedürfnis, das sich schon länger in SUVs, panzerähnlichen Familienkutschen und schießschartenartigen Hauskonstruktionen Bahn bricht. Die Leute wollten schon vor Corona in Festungen leben, jeder sein eigenes Würstchen, in luftdichter Verpackung und Schutzatmosphäre. Die klimadichten Plastikrahmen unterstützen die Abkapselung: Jeder lebt auf seiner eigenen Raumstation.
Andererseits ist da die Absage an Schönheit, an die solidarische Aufgabe, seinem Nächsten auch optisch Gutes zu tun. Im Gegenteil zieht man in Paläste, um sie nach außen hin zu verunstalten: einerseits als Reviermarkierung, andererseits als subtile Drohung: Achtung, in diesem Viertel kann es ab sofort sehr hässlich werden! Wenn ihr nicht nett zu mir seid, mache ich die Dinge kaputt, die euch gefallen!
Die Auskleidung des bürgerlichen Hohlkörpers mit Droh- und Schutzelementen aus Plastik ist Zeugnis jener präapokalpytischen Bunker- und Wagenburgmentalität, die sich letztlich insgeheim stets auf eine Katastrophe wie Corona vorbereitet hat. Der kleinbürgerliche Egoismus, das »Lasst mich doch alle in Ruhe« artikuliert sich nun inmitten der Katastrophe jeden Tag aufs neue. Mit der Party, die man halt dann doch feiert, mit der Reise, die man dennoch irgendwie unternimmt, mit der Hamsterei von Toilettenpapier und Trockenhefe - vor allem aber mit dem Unwillen, einfachste Schutzmaßnahmen anzunehmen, wenn sie »nur« dem Schutz der Anderen dienen. Bis auf weiteres bleibt die »Stimme der Vernunft« bei ihrer These: Die Fensterrahmen sind an Corona schuld!
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