- Wirtschaft und Umwelt
- Kohleausstieg
Viel Belohnung für wenig Klimaschutz
Der Ausstieg aus der Kohleverstromung wird den Konzernen mit 317 Millionen Euro Entschädigung vergoldet
Jetzt wird es ernst mit dem deutschen Kohleausstieg per Gesetz. Seit Jahresbeginn sind Kohlekraftwerke mit insgesamt mehr als 5000 Megawatt Leistung nicht mehr am Netz, davon fast 4800 Megawatt Steinkohle. Hinzu kommt Block D des Braunkohlekraftwerks Niederaußem mit rund 300 Megawatt, den der Betreiber RWE bereits Mitte Dezember vom Netz nahm. Wie viele der Kohleanlagen ist es ein Uralt-Block, der 1968 in Betrieb gegangen war.
Die 4800 Megawatt Steinkohle, die im Herbst in der ersten Stilllegungsauktion der Bundesnetzagentur den Zuschlag erhielten, gingen bereits zum 1. Januar vom Netz und nicht erst im Laufe des Jahres, erklärte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums auf Nachfrage. Die Steinkohle-Anlagen würden sich »ohne CO2-Emissionen zu verursachen« zunächst in eine Sicherheitsbereitschaft begeben und dann im Laufe des Jahres endgültig stillgelegt werden. Sicherheitsbereitschaft bedeutet, dass die Blöcke bei Bedarf wieder angefahren werden können, sofern die Bundesnetzagentur eine stabile Stromversorgung gefährdet sieht.
Wann wie viel Megawatt von Netz gehen, ist dabei klimapolitisch nicht so entscheidend wie die Frage, wie viel an CO2-Emissionen real eingespart wird. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte sich noch vor den Feiertagen mit einer Zahl hervorgewagt. Alle jetzt per Gesetz stillgelegten Kohleblöcke hätten 2019 »noch über zehn Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen verursacht«, gab Schulze an - mit der unterschwelligen Botschaft, so viel CO2 würde nun auch dank der Stilllegungen eingespart.
Die erste Frage ist, wie die Ministerin zu den zehn Millionen Tonnen kommt. »Wir haben uns angeschaut, wie viel die jetzt vom Netz gehenden Blöcke in den letzten Jahren emittiert haben, und haben dann für das Jahr 2019 eine Rundung beziehungsweise Schätzung vorgenommen beziehungsweise auf die vorliegenden Schätzungen des Umweltbundesamtes zurückgegriffen«, erläutert ein Sprecher. Viele Daten lägen nur für 2018 abschließend vor - und in den letzten Jahren seien die Emissionen auch sehr schwankend gewesen.
Laut den so gewonnenen Ergebnissen emittierten einige der nunmehr vom Netz gegangenen Steinkohleblöcke im Jahr 2019 gar kein oder nur wenig CO2, so das Heizkraftwerk Jülich, das Kraftwerk Höchst sowie die Kraftwerke der Zuckerfabriken Warburg und Brottewitz. Jeweils etwa ein bis zwei Millionen Tonnen emittierten danach im Jahr 2019 das Steag-Kraftwerk Walsum, das Kraftwerk Bremen-Hafen, das Uniper-Kraftwerk Heyden sowie die RWE-Kraftwerke Westfalen/Hamm und Ibbenbüren. Zu Hochzeiten stießen allein die beiden RWE-Anlagen zusammen jährlich zwischen sieben und acht Millionen Tonnen CO2 aus - die meiste Zeit des Jahres 2019 erzeugten sie aber offenbar keine Kilowattstunde.
Alles in allem kommt das Umweltministerium auf rund 12,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen, die die Steinkohleblöcke und der Braunkohleblock in Niederaußem 2019 verursacht haben - und die »werden jedenfalls 2021 nicht mehr emittiert«, wie der Sprecher betont. Angesichts der rechnerisch möglichen 12,5 Millionen Tonnen begibt sich Ministerin Schulze mit ihrer öffentlichen Angabe von »über zehn Millionen Tonnen« CO2-Emissionen für 2019 also erst einmal auf die sichere Seite. So genau weiß man es ja nicht.
Tatsache ist aber auch, dass der gesetzliche Ausstieg der desolaten Marktlage für die Kohleverstromung weit hinterhertrottet. Die Ministerin rechnet mit Zahlen für 2019 - aber im Jahr 2020 ging nach Angaben der AG Energiebilanzen der Einsatz von Steinkohle in Kraftwerken zur Strom- und Wärmeerzeugung nochmals um 26 Prozent zurück, also um mehr als ein Viertel.
Nur erhalten die Steinkohle-Betreiber eben für die Stilllegung ihrer oftmals stillstehenden Anlagen 317 Millionen Euro Entschädigung. Polemisch ausgedrückt: Die Steuerzahler blechen Millionen für - klimapolitisch gesehen - Schrott. Bei der CO2-Reduktion läuft der bezahlte Kohleausstieg zunächst teilweise ins Leere.
Klar ist auch: Die implizite Botschaft aus dem Bundesumweltministerium, dass »über zehn Millionen Tonnen« nicht mehr emittiert und damit in der CO2-Bilanz für 2021 eingespart würden, geht so nicht auf. Das würde am Ende nur klappen, wenn der Kohlestrom entweder durch sinkenden Stromverbrauch oder durch erneuerbare Stromerzeugung »ersetzt« würde. Beides ist für dieses Jahr nicht zu erwarten. 2020 war der Stromverbrauch nur coronabedingt rückläufig - zugleich gab es auch einen stärkeren Einsatz von Erdgas in der Stromerzeugung. Und ob nach der schwachen EEG-Novelle in diesem Jahr die Erzeugung von Ökostrom weiter zulegt, bleibt ebenfalls abzuwarten.
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