- Politik
- Corona in Thüringen
Die Massenimpfungen beginnen gerade erst
Es gibt viele Gründe dafür, warum der Start in Thüringen schleppend verlief. Hoffnung macht aber nun die Eröffnung der Impfzentren
Bereits an dem Tag, als die Freude vieler Menschen groß war, gab es zugleich schon die Zweifel, die Skepsis und die Warnung. Es geht um den 27. Dezember vergangenen Jahres, als bundesweit die Impfungen gegen das Corona-Virus begonnen hatten. Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) war damals in einem Pflegeheim in Zeulenroda im Osten des Freistaats zu Besuch. Sie war voller Euphorie und Hoffnung, weil es an diesem Tag endlich losging mit dem, was die Pandemie beenden soll: die Massenimmunisierung von Menschen gegen Covid-19. Dies sei ein »bewegender Tag«, hatte Werner damals gesagt. Kurze Zeit später hatte sie sich weit zu der 94-jährigen Martha Nadolph hinuntergebeugt und ihr dafür gedankt, dass sie sich als erste Thüringerin gegen das Virus impfen ließ.
Werner hatte damals aber auch erklärt: »Das wird am Anfang ruckeln.« Ob sie es geahnt hat? Ob sie es gefürchtet hat? Darüber kann man nur spekulieren. Aber etwa zwei Wochen nach dem bundesweiten Start der Corona-Impfungen in Deutschland ist offenbar, wie sehr Werner recht hatte. Sie und zum Beispiel auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der etwa eine Woche vor dem Impfstart in der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin« fast die gleichen Worte wie Werner benutzt hatte, um die Menschen in der Bundesrepublik darauf vorzubereiten, dass der Impfbeginn nicht glatt verlaufen wird und das vielleicht auch gar nicht kann.
Ohne Ironie ist es jedenfalls nicht, dass es ausgerechnet in dem Bundesland, in dem Werner als Gesundheitsministerin arbeitet, besonders ruckelt beim Impfstart. In den vergangenen Wochen waren die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) eindeutig: Zwar war der Impfstart überall in Deutschland relativ schleppend verlaufen. Vor allem, wenn man ihn mit dem Impfstart zum Beispiel in Israel vergleicht, das freilich viel weniger Einwohner hat als Deutschland und viel straffer organisiert ist. Aber so schleppend wie in Thüringen war er lange Zeit nirgends in der Republik, auch wenn nach den jüngsten zum Redaktionsschluss vorliegenden Zahlen des RKI nicht mehr Thüringen, sondern Sachsen am Ende der Impfungen-pro-Einwohner-Tabelle steht und auch gegenüber anderen Bundesländern aufgeholt hat.
Die Zahlen des RKI, mit Stand Samstag, elf Uhr, lauten: In Thüringen waren nur etwa 10 500 Menschen mit der ersten Dosis gegen das Corona-Virus geimpft worden. Das entspricht 4,9 Impfungen pro 1000 Einwohner. Im Saarland, das als kleinstes, westdeutsches Flächenland gerne als Referenzraum für Thüringen herangezogen wird, waren es zu diesem Zeitpunkt schon 8,3 Impfungen pro 1000 Einwohner gewesen, in Mecklenburg-Vorpommern sogar schon 15,6, in Sachsen-Anhalt 9,5. In Sachsen waren zu diesem Zeitpunkt 4,4 Menschen je 1000 Einwohner mit der ersten Impfdosis immunisiert worden.
Dafür, dass es ausgerechnet in Thüringen so geruckelt hat und noch immer ruckelt, gibt es mehrere Gründe, die zuallererst nicht einmal etwas mit der Verfügbarkeit des Impfstoffes von Biontech/Pfizer zu tun haben. Und es spricht für Werner, dass sie einen Teil davon schon während des Impfstarts in Zeulenroda benannt hatte, auch wenn sie nicht jeden einzelnen vorhersehen konnte.
Da ist zum Ersten die Sache mit der Aufklärung. Es werde viel Zeit gebraucht, um den Einzelnen umfassend über den Impfstoff und mögliche Nebenwirkungen aufzuklären, hatte Werner in dem Pflegeheim gesagt. Wenige Tage später bestätigte ihr Sprecher - als er erklären musste, warum die Impfungen in den Thüringer Pflegeheimen langsamer vor sich gingen als geplant - genau diese Befürchtung. Es habe sich gezeigt, dass es gerade zwischen den Feiertagen nicht einfach sei, die Angehörigen vieler Pflegeheimbewohner zu erreichen, die für die Aufklärung der älteren Menschen äußerst wichtig seien. Also könne in den Einrichtungen nicht so schnell geimpft werden, wie man sich das erhofft hatte.
So groß war die dadurch entstanden Verzögerung gewesen, dass zwischenzeitlich Tausende Dosen Impfstoff, die eigentlich für die Pflegeheime bestimmt gewesen waren, an sechs Thüringer Krankhäuser geliefert wurden. So sollte verhindert werden, dass bereits in den Freistaat gelieferte Impfdosen ungenutzt bleiben würden.
Zweitens gab es zuletzt erhebliche technische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Terminvergabe. So wurde ein Hackerangriff auf das Impfportal in Thüringen verübt. Dieser hat dazu geführt, dass Hunderte Anfragen für Impftermine verfallen waren. Überlastete Server verhinderten, dass impfwillige Menschen überhaupt Termine buchen konnten. Hinzu kam ein Stromausfall, der zum Zusammenbruch der Telefonhotline für die Impfterminvergabe führte.
Ein dritter wichtiger Grund sind die organisatorischen Streitigkeiten zwischen dem von Linkspartei, Sozialdemokraten und Grünen regierten Land und der Kassenärztlichen Vereinigung auf der einen und den Kommunen auf der anderen Seite. Das betraf so ziemlich alle Details, die mit den Impfzentren zu tun haben. Beispielsweise beklagte der Landrat des westthüringischen Wartburgkreises, Reinhard Krebs (CDU), für einen Teil seiner Kommune sei ein Impfzentrum vorgesehen, dessen Räume zu klein seien, das über keine Parkplätze verfüge und für viele Menschen ohnehin schwer zu erreichen sei. Die Antwort auf dem Gesundheitsministerium lautete: Es müssten in den Impfzentren auch ausreichend Kühlmöglichkeiten für den Impfstoff zur Verfügung stehen, was die Zahl der möglichen Standorte einschränke.
Wenn am Mittwoch nun also tatsächlich die ersten Impfzentren in Thüringen öffnen, kann es eigentlich nur besser werden. Bislang sind nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung des Freistaats schon mehr als 27 000 Termine für Immunisierungen in diesen Zentren vergeben worden. Im eigentlichen Sinn beginnen die Massenimpfungen also erst noch.
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