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Keine Nation und keine Religion
Zyperns Jugend will den festgefahrenen Konflikt um die geteilte Insel hinter sich lassen
Viele kleine Fotos hängen in dem Baum. Sie zeigen historische Gebäude, aber auch Privathäuser. Immer wieder bleiben Leute sehen, betrachten die Bilder oder lassen sich davor fotografieren. Wir befinden uns in der Ledrastraße in der zypriotischen Hauptstadt Nikosia. Knapp 50 Meter entfernt befindet sich der Grenzübergang zum türkisch besetzten Teil der Stadt, der 2003 eröffnet wurde. Nach Jahrzehnten konnten Tausende zypriotische Binnenflüchtlinge erstmals wieder in ihre Heimatorte reisen.
1964 war Nikosia nach bewaffneten Auseinandersetzungen in einen größeren griechischen und den kleinen türkischen Part geteilt wurden. Richtig unpassierbar war die Grenze erst 1974 geworden, als das türkische Militär den Nordteil Zypern besetzte. Der offizielle Vorwand war ein Putschversuch gegen die zypriotische Regierung. Der wurde vom damals in Griechenland herrschenden faschistischen Militärregime unterstützt und schlug fehl.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Seit der türkischen Intervention verläuft die Grenze mitten durch Nikosia. Die UN-Fahne weht gut sichtbar über der Barriere aus Tonnen, die den Weg in den Nordteil versperren. Sie erinnert daran, dass hier noch immer eine Mission der Vereinten Nationen einen neuen Konflikt verhindern soll. Wegen Corona ist die Grenze nun geschlossen. Vor allem jüngere Bewohner*innen Nikosias, die nichts als die getrennte Stadt kennen, hatten den Grenzübergang in den vergangenen Jahren genutzt. »Für mich war es so selbstverständlich geworden, auf die andere Seite der Stadt zu gehen, dass ich in den vergangenen Jahren die Grenze schon gar nicht mehr wahrgenommen habe«, erklärt die 30-jährige Alexia, die in einem Café in der Ledrastraße arbeitet. Sie bedauert daher sehr, dass der Grenzübergang wegen der Pandemie geschlossen wurde. Deshalb kann sie ihre Freund*innen im türkischen Teil der Stadt jetzt nicht treffen. »Aber heute gibt es ja Smartphones, so bleiben wir ständig in Kontakt«, meint die junge Frau. Viele ältere Menschen seien allerdings über die coronabedingte Grenzschließung ganz froh, meint Alexia. So hätten es ihre Großeltern aus politischen Gründen strikt abgelehnt, ihre Pässe einem Grenzposten der Republik Nord-Zypern zu präsentieren. »Sie haben das Gefühl, damit würden sie einen Staat anerkennen, den es für sie nicht gibt«, erläutert Alexia die Beweggründe vor allem vieler Menschen aus der älteren Generation.
Dass der Konflikt bis heute den Alltag von Nikosia prägt, zeigt sich an vielen Stellen. So verkünden in der Nähe zur Grenze Tafeln auf Griechisch und Englisch, dass niemals vergessen werden soll, dass ein Teil Zyperns durch fremde Truppen besetzt wurde. Plakativ ist Nord-Zypern dort in blutroter Farbe gezeichnet. Nur wenige Hundert Meter vom nun wieder geschlossenen Grenzübergang begegnet man einer Szenerie, die ein Symbol für den seit Jahrzehnten eingefrorenen Konflikt sein könnte. Dort findet man Häuserruinen, die bei den Kämpfen 1964 zerstört wurden und seitdem verlassen sind. Auf den Balkonen wächst das Gras zwischen verrosteten Fässern, die damals Schutz vor Angriffen von der anderen Seite bieten sollten. In einem Hauseingang stehen uralte Sofas, auf denen sich Katzen niedergelassen haben. Doch nur wenige Hundert Meter weiter bietet sich ein anderes Bild. Auf den Wänden der alten aber intakten Häuser finden sich antifaschistische Parolen und das bekannte Anarchiesymbol, ein A im Kreis. Ein Platz ganz in der Nähe ist jeden Abend Treffpunkt für die linke Jugendszene Nikosias. Laute Punkmusik ist zu hören. Einige tanzen. Sie lassen sich auch nicht vom Muezzin-Ruf stören, der täglich zum Einbruch der Dunkelheit aus dem türkischen Teil zu hören ist. Ein erleuchtetes Minarett ist von Weitem zu erkennen. Auf griechischer Seite stehen zahlreiche orthodoxe Kirchen in Grenznähe. An manchen griechischen Fahnen zu sehen, sind große Kreuze befestigt. »No Nation, no religion«, diese Parole findet sich an zahlreichen Häuserwänden. Er drückt das Gefühl einer Jugend aus, die sich von den alten eingefrorenen Konflikten befreien will. Denn seit über 46 Jahren drehen sich die Gespräche über eine Wiedervereinigung im Kreis.
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