- Politik
- Kirgistan und Kasachstan
»Die Repression ist noch gewachsen«
Beate Eschment über die Defizite in der demokratischen Entwicklung in Kirgistan und Kasachstan
Bei den Parlamentswahlen in Kasachstan kam es zu Festnahmen von Demonstranten. Warum hat die Regierung so reagiert?
Man konnte schon vor dem Wahltag eine zunehmende Nervosität bei der Staatsmacht in Kasachstan beobachten, Festnahmen gab es auch schon in den Wochen vorher. Die Toleranz in der politischen Elite Kasachstans hat in den vergangenen Jahren nicht zugenommen, und die Hoffnung, dass es unter Tokajew zu Veränderungen kommen werde, zumindest innenpolitisch, hat sich ja bisher in keiner Form erfüllt. Von daher fand ich diese Festnahmen überhaupt nicht überraschend, aber natürlich bedauerlich.
ist ausgewiesene Zentralasien-Expertin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Gegenwart der zentralasiatischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Von 2008 bis 2019 war sie Redakteurin der Zentralasien-Analysen. Beate Eschment hat unter anderem in Almaty, an der Deutsch-Kasachischen Universität Lehraufgaben wahrgenommen. Mit ihr sprach für »nd« Cyrus Salimi-Asl.
Die Partei von Staatspräsident Tokajew »Nur Otan« hat rund 71 Prozent der Stimmen errungen, gut zehn Prozentpunkte weniger als beim vergangenen Mal. Ist das als Niederlage zu werten?
Nein, das würde ich nicht so sehen, zumal ich nicht davon ausgehe, dass das Wahlergebnis wirklich die Einstellung der Menschen widerspiegelt. Mich interessiert die Frage, wie viele Stimmen ungültig waren. Das scheint nämlich diesmal bei den Wahlen der Ausdruck der politischen Stimmung zu sein. Gewöhnlich stehen in Kasachstan auf den Wahlzetteln die Namen der Kandidaten oder Parteien; zusätzlich hat man immer auch die Wahl zu sagen: Ich bin gegen alle. Und diese Kategorie gab es diesmal nicht. Es wird vermutet, dass man in der Führung Angst hatte, dass das quasi ein Abbild der Proteststimmung in der Bevölkerung hätte werden können und dass man diese Zahlen dann hätte veröffentlichen müssen. Deshalb hat man es weggelassen. Dafür gibt es in den sozialen Medien ziemlich viele Posts, wo Leute zeigen, dass sie ihren Weg gefunden haben, um ihren Protest zu äußern, indem sie nämlich ihren Wahlzettel ungültig gemacht haben: Sie haben einfach alles durchgestrichen oder irgendeinen Lieblingskandidaten draufgeschrieben.
Kommen wir zu Kirgistan. Der bisherige Präsident Sadyr Dschaparow hat fast 80 Prozent der Stimmen erhalten, die Wahlbeteiligung lag aber nur bei 39 Prozent. Kann er damit zufrieden sein?
Wenn man bedenkt, dass er vor drei Monaten noch im Gefängnis saß, ist das schon geradezu kometenhaft, was er da hingelegt hat. Aber das Interessante ist tatsächlich die Wahlbeteiligung. Die beruht nicht nur auf einer Verweigerungshaltung der Bevölkerung, sondern auch darauf, dass man die Möglichkeit abgeschafft hat, an einem anderen Ort als dem registrierten Wohnort abzustimmen. Trotzdem muss man ganz klar sagen, der gute Mann ist, auch wenn er 80 Prozent der abgegebenen Stimmen bekommen hat, nur von knapp 30 Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden. Von daher muss man sich schon fragen, inwieweit er wirklich demokratisch legitimiert ist. Und Dschaparow hat einen unfairen Wahlkampf geführt.
Was werfen Sie ihm vor?
Er musste ja als Präsident zurücktreten, damit er überhaupt kandidieren kann. An diese Regelung hat er sich gehalten, aber vorher hat er noch eine Reise durchs ganze Land gemacht, um sich der Bevölkerung vorzustellen und eine goldene Zukunft zu versprechen. Nach dem, was mir berichtet wurde, wenn überhaupt Wahlkampf erkennbar war, dann war das das Gesicht Dschaparows. Es gab sogar im Fernsehen einmal eine Ansprache von ihm im Staatsfernsehen - als Kandidat. Und trotzdem wurde seine Ansprache gesendet, während von den anderen Kandidaten nichts zu sehen war. Wobei man sagen muss, dass diese anderen auch nicht besonders attraktiv waren: Das sind mehrere Politiker gewesen, die schon mehrfach vergeblich kandidiert hatten.
Kann man also sagen, er ist das neue Gesicht gewesen, das Veränderungen versprochen hat, eine Art Heilsbringer?
Jeder Präsident in Kirgistan in den vergangenen zwanzig Jahren ist mit dem Versprechen angetreten, er werde die Korruption bekämpfen und dafür sorgen, dass die Menschen reich und glücklich werden. Keiner von ihnen hat irgendwas für die Bevölkerung getan. Alle waren immer damit beschäftigt, das eigene Konto oder das ihrer Familie zu füllen. Wo die Wähler noch den Optimismus hernehmen ... Und nach dem, was ich in Videos gesehen habe, haben die Menschen ihn nicht als das kleinere Übel gewählt, sondern sie himmeln ihn geradezu an! Wo dieser Glaube herkommt, ist mir völlig rätselhaft und erinnert mich ein bisschen an das Rätsel, warum die US-Amerikaner Donald Trump wählen.
Wie würden Sie denn die Zukunft von Zentralasien einschätzen? In den ersten beiden Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit wurden Forschungsprogramme aufgelegt, Universitäten richteten Studiengänge ein zu Zentralasien. Die Region scheint aber jetzt ein bisschen in Vergessenheit und verharrt weiter in autoritären Strukturen.
Die Repression ist sogar noch gewachsen, würde ich sagen. Grundsätzlich finde ich, dass man aus Sicht westlicher Politik mit viel zu viel Optimismus, gar blauäugig an die ganze Sache rangegangen ist. In den 1990er Jahren hieß es überall, dass diese Staaten auf dem Weg der Demokratie seien. Und wenn irgendwas nicht ins Bild passte, wurde das als »Kinderkrankheit« bewertet. Das war einfach naiv und entsprechend enttäuscht ist man heute. Das kann man gut daran erkennen, dass Kirgistan ja des Westens liebstes Kind und auch der deutschen Politik war, nun aber auch die Entwicklungszusammenarbeit mit diesem Land ab 2023 runtergefahren wird. Man hatte einfach falsche Erwartungen, die vielleicht bei etwas mehr Kontakt mit der Wissenschaft früher hätten korrigiert werden können. Wobei ich aus persönlicher Erfahrung sagen kann, dass im direkten Gespräch viel Übereinstimmung herrschte. Aber Zentralasien steht nun mal nicht im Zentrum der deutschen Politik.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.