Werbung

Die Unvollendete

Rebecca Ardner verstarb früh - nun wurde ihre Dissertation veröffentlicht, die Lücken gefüllt

  • Charlotte Szász
  • Lesedauer: 3 Min.

»Weitermachen!« ist die Widmung dieses Buches aus dem Katzenberg-Verlag, in dem nun die nicht fertiggestellte Dissertation von Rebecca Ardner erschienen ist. Das Buch entstand aus dem traurigen Umstand, dass Ardner 2018 in der Folge einer Nierentransplantation gestorben ist, bevor sie ihre Arbeit beenden konnte. Die Herausgeberinnen haben jetzt einen Weg gefunden, diese doch zu veröffentlichen, indem sie einfach daran »weiterschrieben«.

Ardner schrieb bis zum letzten Moment ihres Lebens an dieser Arbeit über Kritik, die sie 2017 begonnen hatte. Sie wollte uns unbedingt etwas zeigen. Sie war ein Arbeiterkind und gegen alle Widerstände die Erste aus ihrer Familie an der Universität. Gefördert wurde sie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Trotz oder gerade wegen ihrer antifaschistischen, feministischen Ideen ging Rebecca, wie Anne-Christin Klotz berichtet, dem Philosophiestudium nach. Sie »übte bereits durch ihre bloße Anwesenheit Kritik an feudalen und patriarchalen Strukturen der Wissenschaft und veränderte diese dadurch«.

»Weitermachen!« lautet auch die Grabinschrift des sozialistischen Philosophen Herbert Marcuse. Dieser war durch seine Veröffentlichungen für die Studentenbewegung von großer Bedeutung, und seine für den Protest wichtigen Schriften der Kritischen Theorie wurden in die Praxis überführt. Er engagierte sich für den antikapitalistischen und antirassistischen Feminismus. Seine Studentin Angela Davis wurde später Professorin an derselben Universität, der University of California, und zusammen halfen sie, die Theorie in eine progressive Richtung umzulenken.

Entsprechend der von Ardner entworfenen Gliederung stehen die Teile, die sie beenden konnte, neben den Lücken, die nun vom Gemeinschaftsprojekt des »Weiterschreibens«, so der Buchtitel, gefüllt wurden. In der Einleitung steht, die Leserin solle sich die Idee des Buches wie ein Ausmalbild vorstellen. Rebecca hat die Form gewählt und einige Flächen schon mit Farbe versehen. Die dazu entstandenen Texte, die Anschlüsse, füllen das Bild mit anderen Textualitäten, Farben und Berichten. Es ist am Ende nicht einheitlich, aber irgendwie fertig, und die posthume Veröffentlichung ist der Versuch, eine Lücke zu füllen.

Der frühe Tod der Kollegin führt bei den Herausgeberinnen zu einem Dialog über das Schreiben selbst - über den Zusammenhang von Theorie und Praxis. »Erst im Moment der Unterbrechung - in dem Rebecca rausbricht und ein Fragment hinterlässt - merkt man, wie gefangen man ist.« In einer Zeit, in der Universitäten als Unternehmen geführt werden, ist dieses Buch ein angenehm reflektierter Beitrag zum Diskurs über Zukunft und Gegenwart des geisteswissenschaftlichen Studiums. Das Fach Philosophie geht ein, denn es »lohnt« sich nicht mehr.

Ardner fühlte sich an der Universität fehl am Platz. Gerade diese »Unsicherheit und das Zögern« machen die besondere Qualität ihres Schreibens aus, meint Judith Sieber. »Es geht nicht um ein für« - nicht für sich, nicht für andere, nicht für die Universität, sondern nur für die Sache selbst zu schreiben. Es geht beim Schreiben »um eine fragende Bewegung und nicht ums Antworten-Finden«, sagt Sieber weiter, was gerade in einer eingeklemmten Welt wichtig ist. So »verweist Rebecca zu Beginn ihrer Einleitung darauf, dass Kritik notwendig bleibt, da die gegenwärtigen Verhältnisse keine befreiten sind«. Die Philosophie hat eine besondere methodische Qualität, wie wir in Rebeccas Denken sehen, »die grundlegende Dekonstruktion von scheinbar natürlichen Ordnungen« und ein »politisches Korrektiv« gleichzeitig zu sehen.

Obwohl die fragmentarische Veröffentlichung ein überraschend eigenständiger Beitrag geworden ist, ist es dennoch bedrückend, »dass die Dissertation, die dazu dienen sollte, Rebecca in der Wissenschaft zu etablieren, nun zu einem Nachruf wird«, schreiben die Herausgeberinnen. Denn »es geht doch um den Abbruch, die Trennung, das Ende«.

Marius Hanft/ Judith Sieber/ Lotte Warnsholdt (Hg.): Weiterschreiben. Anschlüsse an Rebecca Ardners »Affirmation und Negation als Figuren der Kritik«. Katzenberg-Verlag, 300 S., br., 24 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.