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Die Prekarisierten haben in der Krise schon wieder das Nachsehen
Eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken kann nur das medizinische Ziel voll erreichen, wenn diese auch kostenlos ausgegeben werden
In Bayern besteht ab Montag in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske, auch die Landesregierung in Sachsen denkt über eine ähnliche Maßnahme nach. Im Vergleich zu den vielfach auch selbstgenähten »Community«-Masken bieten diese medizinischen Produkte bei richtiger Anwendung einen erhöhten Schutz für den Tragenden selbst als auch dessen Umfeld. Die verschärfte Maskenpflicht wäre im Kampf gegen die Corona-Pandemie richtig, würde Bayern ansonsten nicht alles falsch machen, was so ziemlich falsch gemacht werden kann.
Die Söder-Regierung lässt die Bevölkerung allein. Es sind nur noch wenige Tage, bis die FFP2-Maskenpflicht im Freistaat gilt. Was nun folgt, wäre mit etwas Weitsicht vermeidbar gewesen. Millionen Bayern werden fast gleichzeitig die Apotheken und Supermärkte aufsuchen und sich einen Vorrat an Masken zulegen. Wer jedoch eine FFP2 korrekt und mit einem realen medizinischen Mehrwert tragen will, sollte diese nur wenige Stunden nutzen. Es handelt sich um ein Wegwerfprodukt. Über den Monat gerechnet reichen eine Handvoll Masken nicht aus. Das geht ins Geld.
Zwar besteht im Vergleich zum Frühjahr kein akuter Mangel an FFP2-Masken, denn China als wichtigster Hersteller hat seine Produktion als Reaktion auf die Pandemie längst hochgefahren. Doch die Qualität der Masken ist unterschiedlich; gute Produkte - etwa mit einigermaßen Tragekomfort - kosten schnell drei bis fünf Euro (und mehr) das Stück. Die neue FFP2-Pflicht dürfte auch den einen oder anderen Unternehmer dazu verleiten, die Preise anzuheben. Die Krise ist schließlich auch ein Geschäft.
Das Nachsehen werden wieder einmal jene haben, die jeden Cent zwei Mal umdrehen müssen. Einen finanziellen Mehrbedarf in der Pandemie können Hartz-IV-Empfänger beim Jobcenter bis heute nicht anmelden. Niedriglöhner, die oft in prekären Jobs mit einem erhöhten Infektionsrisiko arbeiten, bräuchten die FFP2-Masken dringend, werden diese sich aber entweder nicht leisten können oder so wenige kaufen, dass sie diese viel zu lange tragen. Der medizinische Zweck ist damit dahin. Die bayerische Staatsregierung will Bedürftigen zwar kostenlose FFP2-Masken zur Verfügung stellen, wie sie am Mittwoch und wahrscheinlich nur aufgrund des massiven öffentlichen Drucks verkündetet. Doch sind angekündigten 2,5 Millionen Masken viel zu wenig.
Es droht ein ähnliches Szenario, wie wir es im Frühjahr während der ersten Corona-Welle erlebten. Obwohl in diesem Ausmaß nicht notwendig, deckte sich ein Teil der Bevölkerung mit haltbaren Lebensmitteln ein. Günstige Konserven, Nudeln und Mehl waren vielerorts immer wieder ausverkauft. Was blieb, waren deutlich teurere Markenprodukte. Und während Hobby-Prepper im Keller ihre Beute bestaunten, wurden dabei jene vergessen, die auch ohne Pandemie tagtäglich darauf angewiesen sind, günstig einzukaufen. Ähnliches ist nun auch beim Run auf die FFP2-Masken zu erwarten. Schon zehn oder 15 Euro Mehrausgaben im Monat sind für viele Prekarisierte nicht zu stemmen - erst recht nicht in einer teuren Stadt wie München.
Prekarisierte werden in den Apotheken und Supermärkten vielfach abbekommen, was übrig bleibt. Sind die günstigen Masken ausverkauft, tut ihnen das um ein Vielfaches mehr im Portemonnaie weh als Menschen mit sicheren Jobs und gutem Einkommen. Die Coronakrise wird auch in diesem Fall wieder zeigen, dass sie nicht nur eine gesundheitliche, sondern auch eine soziale Krise ist.
Dabei hätte diese Situation vermieden werden können. Anstatt mit nur wenigen Tagen Vorlauf einen FFP2-Maskenpflicht anzuordnen, hätte der Freistaat Bayern (und alle anderen Bundesländer auch) über Monate Millionen Masken ankaufen können, die er nun auch an die breite Bevölkerung ausgibt. Passiert ist das bisher nur für Rentner und medizinisches Personal. Ein Minimum an politischer Weitsicht wäre es gewesen, die Preise für FFP2-Masken zu deckeln oder von vornherein wenigstens Menschen, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind, diese kostenlos zur Verfügung zu stellen. Passiert ist von diesen Maßnahmen nichts.
Wenn sich die Politik dann in einigen Wochen wieder einmal fragt, warum die Wut über die Corona-Maßnahmen in einigen Teilen der Bevölkerung ebenso groß wie die Zahl an Infektionen hoch ist, dann hat sie dies selbst zu verantworten.
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