- Kommentare
- Arbeitsüberlassungsgesetz
Wallraffs Erben
Velten Schäfer findet die Pointe im Arbeitsüberlassungsgesetz
Wer beim Umzug oder bei Oma Günter Wallraffs Enthüllungsreportage »Ganz unten« findet, sollte dringend noch einmal hineinsehen. Es ist ein Dokument aus anderer Zeit: Man kann sich kaum noch vorstellen, dass es nicht etwa ein Missbrauch von Leiharbeit war, der anno 1985 so viel Aufregung verursachte, dass »Wallraff« damals so bekannt wurde wie Volkswagen oder Persil - sondern ihre bloße Existenz.
Treffender als jedes politologische Elaborat verdeutlicht der Umstand, dass dieselbe heute ganz normal ist, die gesellschaftlichen Verschiebungen, die sich seither ergeben haben. Denn der Skandal um »Ganz unten« hatte zwar kurzfristig politische Konsequenzen, mündete aber längerfristig nicht in die Abschaffung, sondern Legalisierung der Leiharbeit. Deren heutige Normalität ist in der Form bereinigt: Jene rassistische Zoten brabbelnden Gestalten mit Zuhälterallüren, denen Wallraff als »Ali« damals begegnete, sind heute alerte »Personaldienstleister«, deren Bundesverband das Mantra betet, doch nur in freundlich-flexibler Weise »Produktionsspitzen« abfangen zu helfen. Doch am Geschäftsmodell, die eigenen Leute schlechter zu bezahlen und sich an der Differenz zum jeweiligen Regelentgelt zu bedienen, hat sich im Grunde nichts geändert. Und auch nicht an den Methoden der Ärgervermeidung: Wenn’s sein muss, gibt’s etwas Schweigegeld.
Folgendermaßen konnten die Arbeitsverleiher lange verhindern, dass ihre Geschäftsgrundlage überprüft wird: die deutsche Zeitarbeitsgesetzgebung, die zwar im Prinzip eine gleiche Bezahlung von leihweise und Festangestellten vorsieht, aber zugleich Tarifverträge zulässt, die dieses Prinzip massiv unterlaufen. Kam es zu Klagen, wurden diese in den niederen Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit mit Vergleichszahlungen gestoppt. Und damals wie heute sind es Journalisten, die hier einen Unterschied bewirken könnten - nicht die Politiker, die jenes Gesetz gemacht haben. Und nicht die Gewerkschaften, die jene sich darin bietende Lücke mit einem Tarifvertrag haben wirksam werden lassen.
Im Nachrichtenschatten der Pandemie hat nun ein solcher Fall, unterstützt durch Spenden, das Bundesarbeitsgericht erreicht - und dieses hat die Gleichbezahlungsklage einer Aschaffenburger Beschäftigten gegen die Firma »Time Partner Personalmanagement« am 16. Dezember an den Europäischen Gerichtshof überwiesen. Dieser wird nun jene Grundsatzklärung vornehmen, die seitens der Verleihbranche so lange zu vermeiden versucht wurde.
Entscheidend waren hier nicht hochdekorierte Investigativjournale, sondern die ZDF-Satiresendung »die Anstalt«, die von den Newskollegen gern schief angesehen wird. Nachdem 2017 die bisher jüngste Gesetzesnovelle über die Bühne war, widmete diese dem Thema eine Sondersendung - und rief dazu auf, sich mit dem Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler auf den beschwerlichen Klageweg zu begeben. Journalismus ist, kann man frei nach Ulrike Meinhof folgern, wenn ich sage: Das und das läuft schief. Satire aber sorgt in diesem Fall vielleicht dafür, »dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht«.
Witzig ist es wirklich nicht, dieses Arbeitsüberlassungsgesetz. Wer aber dennoch eine Pointe braucht, kann sich vielleicht ein heutiges Echo auf »Ganz unten« ausmalen: Man würde sich mehr über das Blackfacing des falschen »Ali« echauffieren als über die aufgedeckten Verhältnisse. Politischer Fortschritt ist eben amivalent.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.