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Eine Bazooka aus Pappmaché

Dem Kultursektor versprach die Bundesregierung Corona-Soforthilfen, aber wo sind sie?

  • Berthold Seliger
  • Lesedauer: 7 Min.

Was waren das für große Worte im März 2020! Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärten Corona gewissermaßen den Krieg. Die Sprache war martialisch, besonders Scholz tat sich mit vollmundigen Erklärungen hervor. Während Altmaier von der »umfassendsten und wirksamsten Hilfestellung in der Geschichte der Bundesrepublik« sprach, machte sich der Finanzminister zu Deutschlands oberstem Kriegsherrn: »Wir legen gleich alle Waffen auf den Tisch«, betonte Scholz, »hier wird nicht gekleckert, es wird geklotzt«, und: »Das ist die Bazooka, mit der wir das Notwendige jetzt tun.«

Einige Tage später kündigten Altmaier und Scholz mit Verve ein Soforthilfepaket für kleinere und mittelständische Unternehmen sowie für Selbstständige in der Größenordnung von 50 Milliarden Euro an. Scholz versprach »schnell und unbürokratisch Soforthilfe«, Altmaier garantierte, »niemanden allein« lassen zu wollen. Zehn Monate später hat sich gezeigt, dass es mit der wirtschaftlichen Panzerabwehrwaffe der Bundesregierung nicht weit her ist; die Bazooka ist zu einer Spielzeugpistole aus Pappmaché mutiert, und die beiden kriegerischen Minister haben sich selbst zu einer Art Plisch und Plum der Coronahilfen degradiert.

Leider ist davon besonders der Kultursektor und hier vor allem die Konzertszene betroffen, also Musiker*innen, Veranstalter*innen, Clubs, Venues und Kulturzentren mit allen angestellten und vor allem den Hunderttausenden soloselbstständigen Mitarbeiter*innen - diese Szene gehört zu den ersten, die von den notwendigen Einschränkungen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie getroffen wurde, und sie wird wohl als allerletzte mit einer Rückkehr zum Normalbetrieb rechnen können. Keine andere Branche ist so extrem und so lange mit der Coronakrise konfrontiert wie die Veranstaltungsbranche, immerhin der fünftgrößte Wirtschaftszweig hierzulande. Diese Szene ist besonders fragil, und viele der gut gemeinten, aber oft hilflosen und wirklichkeitsfremden Hilfsprogramme bleiben mehr oder minder wirkungslos.

Besonders problematisch ist, dass die Bundesregierung den Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmer*innen zwar Soforthilfe-Zuschüsse für fixe Betriebskosten zubilligt, nicht aber für den Lebensunterhalt, obwohl das einhellig die Kultur- und Wirtschaftsminister aller Bundesländer sowie, auf Initiative Berlins und Bremens, auch der Bundesrat gefordert haben. Das bedeutet zum Beispiel, dass die über 700 000 Selbstständigen im Kulturbereich zwar Zuschüsse zu ihren »Fixkosten« erhalten, aber ansonsten schauen müssen, wo sie bleiben. Büro- oder Atelier-Mieten werden sehr zur Freude der Immobilienwirtschaft bis zu 90 Prozent finanziert, wer aber auch noch etwas essen oder trinken will, hat Pech gehabt.

Für diese Entscheidung gegen einen sogenannten Unternehmerlohn ist vor allem Finanzminister Scholz verantwortlich. Der verweist immer wieder auf die Grundsicherung - wenn Künstler*innen, Kulturarbeiter*innen oder Kleinunternehmer*innen Lebenshaltungskosten benötigen, sollen sie doch auf Hartz IV zurückgreifen. Letztlich ist das irgendwie konsequent, denn es war ja die SPD, die zusammen mit den Grünen dieses Gängelsystem etabliert hat. Ein dringend notwendiges Kultur-Existenzgeld für Künstler*innen, Musiker*innen und Kulturarbeiter*innen als Erweiterung der bestehenden Künstlersozialkasse (KSK), mit der diese Personengruppe auch im Fall unverschuldeter Arbeitslosigkeit ihre Existenz sichern könnte, ist in weiter Ferne. Stattdessen drängt die KSK Versicherte, die in ihrer Not Aushilfstätigkeiten in anderen Bereichen annehmen, aus der Versichertengemeinschaft heraus - gesetzeskonform, ja, aber auch unmoralisch; eine Corona-Notverordnung des SPD-geführten Sozialministeriums könnte hier sofort Abhilfe schaffen.

Generell greifen die Überbrückungshilfen der Bundesregierung zu kurz. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmer*innen werden nicht erstattet, und ein fiktiver Unternehmerlohn ist erst im jüngsten Hilfsprogramm vorgesehen, mit der ab Januar dieses Jahres greifenden »Überbrückungshilfe III«, nämlich maximal in Höhe der gesetzlichen Pfändungsfreigrenze von knapp 1180 Euro monatlich. Für die meisten kleinen und mittleren Firmen entspricht die beantragte Hilfe nicht einmal 40 Prozent des realen monatlichen Betriebsverlustes im Corona-Jahr, und die Hilfen sind alles andere als »unbürokratisch«. Kein Wunder, dass bisher von den im Konjunkturpaket ausgelobten 25 Milliarden Euro für die Überbrückungshilfen gerade einmal etwas mehr als zehn Prozent, nämlich 2,7 Milliarden Euro, bewilligt wurden. Die Selbstständigen und kleinen und mittleren Unternehmen im Kultursektor sind in Not; nach Schätzungen von Verbandsvertreter*innen kämpft mehr als ein Viertel der Betriebe um die Existenz - aber die bürokratischen und realitätsfernen Programme sind im Regelfall keine Hilfe oder werden viel zu spät ausgezahlt, wenn überhaupt.

Wahrscheinlich war das auch der Bundesregierung bewusst, als sie im Herbst dann plötzlich wieder ihre Bazooka auspackte und großspurig »Novemberhilfen« und kurz darauf angesichts des verlängerten (Teil-)Lockdowns »Dezemberhilfen« ankündigte. 75 Prozent ihrer Umsätze aus dem Vorjahres-Vergleichsmonat sollten die Unternehmen erhalten, die im November als Erste schließen mussten, also vor allem aus der Kultur- und Veranstaltungsbranche, Hotels und Gaststätten (und für Selbstständige, etwa Musiker*innen, wurde kurzfristig nach Intervention von Helge Schneider auch die Möglichkeit geschaffen, den Monatsdurchschnitt des Vorjahres als Vergleichszahl heranzuziehen). Das hörte sich zunächst einmal gut an, und in der Veranstalterbranche war von einer Art »Schweigegeld« der Bundesregierung die Rede, das die lückenhaften und meist wirkungslosen vorherigen Überbrückungshilfen kaschieren würde. Auch hier wollte die Bundesregierung wieder »schnell und unbürokratisch« helfen.

Was die Geschwindigkeit von Hilfsmaßnahmen angeht, haben Scholz und Altmaier ganz offensichtlich eine andere Vorstellung als Menschen, die täglich im wirtschaftlichen Überlebenskampf stehen und monatliche Kosten zu bestreiten haben: Erst im Januar funktionierte die Beantragung der Novemberhilfen endlich reibungslos, die Gelder tröpfeln bei den meisten Selbstständigen und Unternehmen zweieinhalb Monate nach ihrer Verabschiedung endlich ein.

Vor Weihnachten wurden Abschlagszahlungen überwiesen; »in einem besonderen Kraftakt von Bund und Ländern« habe man »das System der Abschlagszahlungen in kürzester Zeit (sic!) umgesetzt«, jetzt aber, am 12. Januar 2021, stehe die Technik für die Auszahlung, so Wirtschaftsminister Altmaier, und von den beantragten fünf Milliarden Euro Novemberhilfen sollen drei bis vier Milliarden ausgezahlt werden - bis Ostern … Klammheimlich sind die eilig verkündeten Novemberhilfen 2020 also zu Osterhilfen 2021 mutiert. Selbstständige und Kleinunternehmer*innen müssen hoffen, dass sie so lange durchhalten. Ob die von der Bundesregierung mit Milliardenhilfen gepamperten Großkonzerne wie Lufthansa oder TUI auch mehr als vier Monate auf die Auszahlung ihrer Staatshilfen warten mussten? Hier zeigt sich, dass der Bundesregierung die Selbstständigen und Kleinunternehmer*innen, die in Sonntagsreden gerne als Rückgrat der Wirtschaft gerühmt werden, in der Realität relativ schnurz sind. Und das gilt erst recht für den Kultursektor.

Für viele Betriebe stellt sich ein weiteres, grundsätzliches Problem, nämlich die Tücken und Fallstricke der Beihilferegelungen. Wer etwa bereits im März 2020 die Liquidität seines Unternehmens durch eines der Kreditangebote der KfW gesichert hat, die seinerzeit mit staatlicher Hilfe plötzlich zur Verfügung standen, dem kann es passieren, dass er bei den Novemberhilfen leer ausgeht. Als ob mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlende Kredite Hilfen wären und nicht dringend benötigte Liquiditätsspritzen. Dass die Kredite auf die »Sofort«hilfen angerechnet werden, darüber hat man die Antragsteller seinerzeit im Unklaren gelassen.

Doch Finanzminister Scholz ficht das nicht an. Er läuft weiter durch die Welt und verkündet frohgemut eine Wohltat nach der anderen, 2021 ist ja schließlich Wahljahr, und Scholz ist Kanzlerkandidat der SPD. So schien Scholz Anfang Dezember seine Bazooka wiedergefunden zu haben, als er in den Medien eine »Ausfallversicherung für Kulturveranstaltungen, die für die Zeit ab Sommer 2021 geplant werden«, ankündigte. 2,5 Milliarden Euro sollen für diesen Sonderfonds zur Verfügung gestellt werden, an den Details werde noch gearbeitet. Das machte »wumms« - doch bis heute, mehr als anderthalb Monate nach dem öffentlichen Paukenschlag, sind immer noch keine Details bekannt. Und niemand weiß, ob es dieses Förderprogramm für Festivals und Veranstaltungen ab Sommer 2021 überhaupt jemals geben wird oder ob sich der Finanzminister mit seinem Schnellschuss nicht wieder übernommen hat. Antragsteller*innen werden sich gut überlegen müssen, ob sie sich auf grobe Hilfszusagen verlassen wollen und können, da doch das Beispiel der Novemberhilfen gezeigt hat, dass auf die Erklärungen der Bundesregierung nicht unbedingt Verlass ist und die Bedingungen gerne im Nachhinein hopplahopp geändert werden.

Vieles erinnert an das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Ständig werden neue Fördermaßnahmen, neue Kleider, öffentlich angekündigt und angepriesen. Doch der Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Scholz läuft in einem Anzug aus leeren Versprechungen und bloßen Ankündigungen durch die Gegend. In Wirklichkeit ist der Finanzminister nackig, und alle können es sehen. Wer sagt es ihm?

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