Auch Russland setzt auf Flüssiggas

In der Arktis entstehen riesige LNG-Stationen entlang der neuen Seidenstraße

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

In Sachen Nord Stream 2 machen die USA jetzt ernst: Die USA verhängten am Dienstag erstmals Sanktionen wegen der deutsch-russischen Gaspipeline durch die Ostsee, wie aus einer Mitteilung der US-Botschaft in Berlin an die Bundesregierung hervorgeht. Die Strafmaßnahmen sollen demnach das am Pipelinebau beteiligte russische Verlegeschiff »Fortuna« betreffen. Zu Jahresbeginn war ein US-Gesetz in Kraft getreten, mit dem die Sanktionsmöglichkeiten noch ausgeweitet wurden.

Die Sanktionen dürften den Trend verstärken, dass sich Russland energiepolitisch umorientiert. Das Augenmerk gilt mittlerweile weniger dem Osten Europas und der Ostsee als dem hohen Norden. »Hier ist Moskau weit aktiver als jede andere Nation«, erklärt Joachim Weber, Forscher am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel. Russland tue nämlich ein Doppeltes, so Weber in einer Analyse: Es baut militärische Einrichtungen in der Arktis wieder auf oder errichtet neue, darunter Flugplätze, Marinebasen und Luftverteidigungsanlagen. Gleichzeitig investiert Moskau in die zivile Infrastruktur, insbesondere in die Förderung von Erdgas und dessen Abtransport in verflüssigter Form, kurz LNG.

Das bislang größte Projekt steht auf der Halbinsel Jamal in Sibirien, mehr als 2000 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegen. Ein Konsortium um das größte private Energieunternehmen in Russland, Novatek, hat mit massiver staatlicher Unterstützung dort eine LNG-Verflüssigungsanlage errichtet. Die an der Börse notierte Novatek ist auf Gas spezialisiert und auch in Deutschland aktiv. Der Bau der Anlage und des dazugehörigen Hafens kostete umgerechnet die gigantische Summe von mehr als 22 Milliarden Euro. Der Komplex fördert und verflüssigt seit Ende 2017 rund 16 Millionen Tonnen Gas pro Jahr. Das LNG wird mit eigens hierfür gebauten, eisbrechenden Flüssiggastankern zu Kunden in Europa und vor allem in Asien verschifft.

Russlands Energieriese Gazprom hat dagegen den Trend hin zum Flüssiggas verschlafen und sich fast ausschließlich auf den Export über Pipelines wie eben Nord Stream 2 beschränkt. Dabei boomt LNG weltweit. 2019 legte Flüssiggas um 12,5 Prozent auf 359 Millionen Tonnen zu. Shell erwartet bis zum Jahr 2040 eine Verdoppelung der globalen Fördermenge. Als Grund nennt der britisch-niederländische Energiekonzern in seinem »LNG-Ausblick 2020« die steigende Nachfrage durch eine wachsende Weltbevölkerung mit steigendem Lebensstandard. Gerade die schlechte Luftqualität in vielen Metropolregionen dieser Welt befördere den Einsatz von Gas, das weit geringere Emissionen als Kohle verursacht. Auch die neue Wasserstofftechnologie könnte die Nachfrage nach Gas zumindest vorübergehend erhöhen.

Vor allem auf Asien ruhen die Hoffnungen der LNG-Förderer. China und Indien haben ehrgeizige Umrüstungsprogramme ihrer Kohlekraftwerke gestartet. Auch andere Länder in Südostasien setzen verstärkt auf Erdgas. Die Energieversorgung Japans und Südkoreas basiert ohnehin schon zu hohen Anteilen auf LNG. Aufgrund fehlender eigener Förderstätten und ihrer Insellage sind diese auf eine Belieferung durch LNG-Tanker angewiesen.

Auf diesen wachsenden Bedarf setzt zunehmend auch Russland. Erklärtes Ziel ist es, den eigenen Anteil am globalen Energiemarkt, der vor Beginn des Jamal-Projektes lediglich bei vier Prozent lag, auf 20 Prozent zu erhöhen. Was auch für die Politik von Präsident Wladimir Putin von großem Gewicht ist: Seit langem liegt der Anteil der Staatseinnahmen aus den konventionellen Energieexporten bei fast 40 Prozent des Gesamthaushaltes, eine gefährlich hohe Abhängigkeit.

Durch den Export von LNG wird Russland außerdem mehr Devisen einnehmen, um den Fortgang weiterer Projekte zu ermöglichen. Begonnen haben bereits die Arbeiten an einem zweiten LNG-Terminal, das an die 20 Milliarden Euro kosten und ab dem Jahr 2023 rund 21 Millionen Tonnen Gas jährlich verflüssigen soll. Mit dem Bau eines dritten Terminals auf der Halbinsel Jamal soll in naher Zukunft begonnen werden.

An Deutschland dürfte der LNG-Boom vorbeiziehen. Die projektierten Terminals in Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven sind seit der Abwahl von US-Präsident Donald Trump von den Betreibern erst mal auf die lange Bank geschoben worden. Trump hatte massiven Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, US-amerikanisches LNG abzunehmen. Von diesem Kurs dürfte der neue Präsident Joe Biden abweichen, so zumindest die Erwartung von Energieanalysten.

Russlands Regierung sucht derweil Anschluss an die neue Seidenstraße China. Partner von Novatek ist der staatliche chinesische Energiekonzern CNPC mit 20 Prozent. Pekings Seidenstraßenfonds steuert weitere 9,9 Prozent bei. Beide Staaten wollen die arktische Nordostpassage wirtschaftlich nutzen. Als Folge des Klimawandels ist die Passage im hohen Norden im Sommer länger passierbar als früher. Dabei geht es nicht nur um die Nutzung dieses Seeweges als Abkürzung im globalen Transitverkehr, sondern auch um den Abtransport des Flüssiggases in Richtung China. Kommentar Seite 10

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!