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Stilkritik: Bernie Sanders
Vermonts Senator stiehlt mit seinen Handschuhen bei der Inauguration allen die Show
Donald Trump ist endlich weg vom Fenster - und Joe Biden der 46. Präsident der Vereinigten Staaten. Viele, viele Menschen atmeten gestern auf, on- und offline. Und die Amtseinführung des neuen »Leader of the free world« wurde natürlich genauestens im Internet verfolgt. Es gab durchaus viele nennenswerte Momente: die vereinende Rede von Joe Biden, das starke Gedicht der Lyrikerin Amanda Gorman, die Designer-Kleidung von Michelle Obama, die historische Ernennung Kamala Harris’, Lady Gagas Performance der Nationalhymne.
Doch einer stellte sie alle in den Schatten: Bernie Sanders, der Anti-Anti-Star schlechthin. Das Internet hofierte ihn, dankte ihm, feierte ihn mit Memes, Tweets und Videos. Grund dafür ist Sanders’ ikonenhaftes Bild bei der Inauguration seines ehemaligen Konkurrenten im Kampf um das Präsidentenamt. Immerhin zweimal hatte Sanders für die Nominierung des Amtes der Demokratischen Partei kandidiert.
Mit seinem »grumpy chic« entzückte der Senator von Vermont das Internet. Mürrisch, aber nicht missgünstig, und offensichtlich fröstelnd verharrt Sanders auf einem Plastikklappstuhl. Er trägt einen matschbraunen Windbreaker und eine blau-weiße Einwegmaske. Der Hingucker sind die braun-beigen Fäustlinge aus recycelter Wolle. Schon öfter hat er diese getragen, geschenkt und gestrickt hatte sie ihm Jen Ellis, eine Lehrerin aus Vermont.
Damit war das Bild einer Ikone komplett: Inmitten der elegant gekleideten Gäste sitzt ein frierender, immerhin fast 80 Jahre alter Mann, versunken in seinem Mantel, seine Hände mit den Strickhandschuhen verschränkt. Eigentlich ganz normal angezogen, komfortabel und sichtlich unbeeindruckt vom amerikanischen Tamtam, das so typisch für Feiern dieser Art ist. Aber genau das macht Sanders zum Trendsetter für viele: seine Unaufgeregtheit. Der Ritterschlag kam dann von der amerikanischen »Vogue«, die über seinen modischen Auftritt am Mittwoch berichtete: »Nichts steht ihm so gut, wie sein typischer Anti-Fashion-Stil.«
Mit seinem unaufgeregten Stil wirkte der Senator wie die Antithese zu dem glamourösen Aufwand der Amtseinführung. So ganz wollte er einfach nicht ins Setting passen, und genau das machte ihn zum Internet-Hit. Innerhalb kürzester Zeit trendeten Sanders und #Berniesmittens, also Bernies Fäustlinge. Amüsierte Twitter-User*innen bastelten Memes von Bernie Sanders, seinem Look und seiner eingekugelten Sitzposition. Unzählige Fotomontagen von dem Senator in den unmöglichsten Situationen schossen durchs Internet.
Sie zeigen den Demokraten mit Forrest Gump auf der Parkbank, auf dem eisernen Thron der Game of Thrones, Bernie mit Fäustlingen am Schlagzeug, mit den Golden Girls auf der Couch oder gemeinsam mit Gandalf und dem Hobbit Bilbo auf dem Weg nach Mordor; gleiche Pose, gleiches Outfit.
Ihm wird sogar eine große geschichtliche Bedeutung beigemessen; da wird Bernie »The Bern« auf seinem Klappstuhl mal eben in da Vincis »Abendmahl« reingeschnitten, ist bei der Mondlandung dabei oder beim Bau des Rockefeller Centers. Eine Userin schreibt: »Bernie Sanders ist ein nationaler Schatz. Wir müssen ihn um jeden Preis beschützen.«
Das Internet liebt Momente wie diese, denn sie lockern die durchaus ernsten Momente während dieser streng protokollierten Abläufe auf und zeigen die Menschlichkeit von wichtigen Politiker*innen. Ähnlich wie Bernie Sanders errang der ehemalige US-Präsident George W. Bush vor vier Jahren Internet-Ruhm, als er sich bei Trumps Amtseinführung im strömenden Regen einen erbitterten Kampf mit seinem flatternden Regenponcho lieferte. Es war ein irre komischer Moment.
Auch dass Sanders zur Zeremonie einen braunen A4-Briefumschlag aus recyceltem Papier dabeihatte, faszinierte die Twitter-User*innen. Hat er einem anderen Gast bei der Inauguration wichtige Dokumente übergeben, um das Porto zu sparen? Oder geht er wohl direkt nach der Amtseinführung Bidens zur Post, um den Brief zu verschicken? Wegen seines unauffälligen Outfits spekulierten auch viele darüber, was er wohl noch für den Mittwoch geplant habe - als wäre die Amtseinführung nur einer von vielen wichtigen Punkten in seiner Tagesplanung.
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