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Paris und das schöne Leben

Wer dieser Tage berufsbedingt oder aus triftigem Grund in die französische Hauptstadt reist, erlebt eine Stadt, die sich an einer Art Normalität versucht

  • Sandra Ehegartner
  • Lesedauer: 5 Min.

Dürfen die das? Das ist die erste bange Frage angesichts der fröhlichen Passanten, die sich durch Paris schieben. Ähnliche Gefühle erzeugen derzeit nur Filmszenen, in denen sich Menschen zur Begrüßung die Hände schütteln oder ungeniert um den Hals fallen. Verschlossene und abgewandte Gesichter sind die neue Realität. Wer an diesem strahlend-sonnigen Januarwochenende in die französische Hauptstadt kommt, kann kaum glauben, dass unser Nachbarland im europäischen Vergleich mit am heftigsten von der Corona-Pandemie gebeutelt sein soll. La vie est belle, das Leben ist schön, dieses Motto scheint in der Luft zu liegen. Und tatsächlich können die Pariser zwischen fünf und 20 Uhr ein weitgehend normales Leben führen.

Schon der Umgang mit den Terroranschlägen und Attentaten der vergangenen Jahre hat gezeigt: So leicht lassen sich die französischen Hauptstädter nicht unterkriegen. Das ist auf der einen Seite bewundernswert, auf der anderen Seite regt sich fast kindischer Widerstand. Warum machen die das? Die Franzosen müssten doch alle daheim bleiben und Angst haben!

Dass es nicht so ist, war auch schon 2015 nach den Terroranschlägen zu beobachten. Mit stoischem Gleichmut wurden die verschärften Sicherheitskontrollen im öffentlichen Leben hingenommen, nun scheint es mit den Anti-Covid-Maßnahmen ähnlich zu sein. Derweil hat Frankreich einen der härtesten Lockdowns weltweit erlebt. Wochenlang galten strenge Ausgangssperren, die am Tag lediglich eine Stunde für das Einkaufen oder Spaziergänge in einem engen Radius um den eigenen Wohnort zuließen.

Jetzt zeigt sich Paris bei einem Sonntagsbummel erneut von seiner - unter den Umständen möglichen - lebensfrohen Seite. Zwar ist Frankreichs Hauptstadt leerer, eiliges Durch-die-Straßen-Huschen indes gelingt einem keinesfalls. Auf Einkaufsstraßen, wie der Rue de Montorgueil oder der Rue Saint Honoré, geht es lebhaft zu. Schicke Pariserinnen trotzen der eisigen Kälte ohne Strümpfe in weißen Turnschuhen; die sonntägliche Plauderei fällt etwas distanzierter aus. Nur im Obst- und Gemüseladen drängen sich die Menschen. Jeder möchte etwas Gesundes erhaschen.

Im Garten des Palais Royal wird wie üblich vormittags Boule gespielt, während die Bänke in den Rosengärten allesamt belegt sind. Freundinnen treffen sich dort und plaudern, viele rauchen. Man fragt sich, ob sie vielleicht noch mehr rauchen, weil sie dann die Maske abnehmen dürfen? An der Rotonde mit dem Springbrunnen in der Mitte ist noch kein Wasser eingelassen. Weil es um die null Grad hat, sind sogar noch ein paar der pistazienfarbigen Eisenstühle zu ergattern. Die Sehnsucht nach Sonne, Gemeinschaft und Freiheit liegt in der Luft. Ein Stück weiter werden die üblichen Fotos auf den schwarz-weißen Säulen gemacht. Jugendliche sitzen auf jenen, die in von der Sonne beschienen werden, ein fast normaler Sonntag also?

Vorbei an der Metrostation Palais Royal mit den farbenfrohen Jugendstilkuppeln aus Aluminium liegt der Place du Palais Royal verwaist in der Sonne. Normalerweise tummeln sich dort fliegende Händler, Skateboarder oder Gruppen von Jugendlichen.

Ein ähnliches Bild bietet der Eingang zum Louvre. Einsam thront die sonst von Menschenmassen umschwärmte Glaspyramide auf dem Platz. Militärs bewachen die Absperrungen. Man möchte gerne über den Platz rennen und die Tauben aufscheuchen.

Rechter Hand, in Richtung Triumphbogen, ist da schon mehr los. Hundebesitzer, Verliebte und Jogger tummeln sich dort. Beim Beobachten des einen oder anderen kommt die Idee, dass die Funktionskleidung lediglich dem Umgehen der Maskenpflicht dient.

Ein Stück weiter wird die Symmetrie der Gartenanlagen jäh durch Erdhügel und Bagger unterbrochen. Ist es Zufall oder Pragmatismus, dass die Stadtverwaltung die Pandemie nutzt, um in der Mitte des Jardin des Tuileries Bauarbeiten durchzuführen? Die Picknicker auf der Bank unter den Bäumen lassen sich davon jedenfalls nicht stören. Fröhlich packen sie Baguettes, Käse und Getränke aus. Alles natürlich mit Abstand.

Etwas weiter, auf einer Brücke über die verwaiste Seine, haben sich sogar Verkäufer mit ihren Liebesschlössern breit gemacht. Ein Gitarrist zupft versonnen an den Saiten seiner Gitarre, ein junges Paar reibt die - mit Masken bedeckten - Nasen aneinander. Weder Kälte noch Corona-Angst können diese Momente trüben. Ein Blick nach unten aufs linke Seine-Ufer offenbart Freiluftathleten in Aktion. Da wird geboxt, gestretcht und gehullert (Hula-Hoop). Nur die Ausflugsschiffe liegen unbeweglich am Ufer vertäut.

Weiter geht's in Richtung Saint Germain des Près, dem quirligen Rive-Gauche-Viertel. Dort fällt die Ausnahmesituation besonders auf. Gerade am Sonntagmorgen tummeln sich normalerweise rund um die Bar du Marché in der Rue de Seine Baguette-Jäger und Spätaufsteher, Eltern mit Kindern auf kleinen Rädern und Verliebte mit zerzaustem Haar. Zwar traben auch dort die unermüdlichen Jogger und Spaziergänger, die heruntergelassenen Läden und freien Trottoirs führen jedoch unbarmherzig vor Augen, dass eben nicht alles normal ist.

Zeit zum Besuch eines weiteren Pariser Monuments, mit Uber geht’s zum Montmartre. Dort scheint alles wie immer zu sein. Die Stufen vor Sacré Coeur sind von jungen Menschen bevölkert, Mofas knattern halsbrecherisch vorbei, sogar eine 2CV-Ente steht dort wie sonst. Die Pariser haben sich ihre Wahrzeichen zurückerobert.

Auch die Künstler auf der Place du Tertre halten nach Kunden Ausschau. Über dem Platz liegt der Duft von Kaffee und Crêpes, die aus den Restaurants heraus verkauft werden. Und beim Klang der vertrauten Töne des Piaf-Evergreens »La vie en rose« aus einem Bistro heraus fragt man sich, ob das Genießen ein paar rosiger und sonniger Momente auch eine Art sein könnte, mit der Krise umzugehen - natürlich mit Abstand und Vorsicht.

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