Es wird spannend im Nordatlantik
Einmal allein um die ganze Welt gesegelt: Boris Herrmann könnte die Vendée Globe gewinnen. Von Oliver Kern
Alle paar Stunden aktualisieren Segelfans auf der ganzen Welt den Live-Tracker in ihrem Internetbrowser. Jeden Tag um 5, 9, 12, 15, 18 und 22 Uhr, wenn die neuesten Daten veröffentlicht werden, wollen sie genau sehen, wie weit ihr Favorit vorangekommen ist. Hat er ein paar Seemeilen auf die Gegner gutgemacht? Welche Route nimmt er? Wetterkarten werden studiert: Wie stark und woher bläst der Wind? Drohen Flauten oder hoher Wellengang? Die neunte Ausgabe der Vendée Globe ist die spannendste der seit 1989 ausgetragenen Weltumseglungsregatta, die als härteste überhaupt gilt. Ihr Ausgang interessiert nicht mehr nur die Franzosen, die bislang jeden Sieger stellten. Dank Boris Herrmann knabbern auch viele Deutsche an den Nägeln. Denn seit Tagen liegt er auf Podiumskurs. Sogar der Sieg ist drin.
Vor mehr als 75 Tagen waren 33 Boote vom französischen Atlantikhafen Les Sables d’Olonne in See gestochen. Seit dem 8. November haben die 25 noch im Rennen befindlichen Seglerinnen und Segler keinen Menschen mehr gesehen, denn sie fahren allein. Mit Ausnahme von Jean Le Cam, aber dazu später mehr. Mitte nächster Woche laufen die schnellsten von ihnen, die bereits fast 50 000 Kilometer hinter sich haben, wieder im Start- und Zielhafen ein.
Die Route führte das Feld um die südlichen Kontinentalspitzen Kap der Guten Hoffnung (Afrika), Kap Leeuwin (Australien) und Kap Hoorn (Amerika). Während die Besten um den Führenden Charlie Dalin aus Frankreich längst wieder den Nordatlantik erreicht haben, ist Ari Huusela noch immer dabei, die Antarktis einmal komplett zu umrunden. Traurig ist der Finne dennoch nicht. Es geht zuallererst darum, das Rennen zu beenden. Und noch läuft sein Boot.
Normalerweise ist zu diesem Zeitpunkt das Rennen längst entschieden. In manchen Jahren lagen mehr als sieben Tage zwischen dem ersten und dem zweiten Boot. Doch seitdem der klar führende Yannick Bestaven vor Südbrasilien in einer tagelangen Flaute mehr als 400 Seemeilen Vorsprung verlor, ist wieder Spannung im Rennen. Acht Boote können noch gewinnen. Dalin lag Freitagmittag nur 35 Kilometer vor seinem Landsmann Louis Burton. Mit gut 120 Kilometern Rückstand lag Boris Herrmann auf Rang drei. Und der Hamburger holt auf. Längst segelt er auf Sieg. Bis vor einer Woche ging es ihm nur ums Ankommen, als er sagte: »Ich habe ständig Angst, dass etwas am Boot bricht, daher gehe ich keine Risiken ein.« Am Donnerstag klang das schon anders: »Ich finde kaum Schlaf, bin ständig am Segeltausch. In der Spitzengruppe segelt gerade jeder so schnell er kann.«
Auf dem Atlantik kennt sich Herrmann aus, schon oft hat er ihn befahren. 2019 brachte er sogar die schwedische Aktivistin Greta Thunberg von England nach New York, damit sie abgasfrei zum dortigen UN-Klimagipfel reisen konnte.
Neben der Streckenkenntnis, die auch andere mitbringen, hat der Deutsche noch einen Joker in der Hinterhand. Da er Anfang Dezember bei der Suche nach dem zu sinken drohenden Kollegen Kevin Escoffier half, bekam er danach von einer internationalen Jury eine Zeitgutschrift von sechs Stunden zugesprochen. In dieser Zeitspanne kann er durchaus 120 Kilometer schaffen. Selbst wenn Herrmann also die Ziellinie nicht als Erster überqueren sollte, könnte er am Ende doch gewinnen.
Gerettet wurde Escoffier damals übrigens von Jean Le Cam, der danach also für ein paar Tage Gesellschaft genießen durfte, bis Escoffier von einem französischen Marinekreuzer aufgenommen wurde. Le Cam liegt derzeit zwar nur auf Rang acht, hat aber sogar 16 Stunden Zeitbonus erhalten. So werden die kommenden Tage spannend bleiben.
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