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Sonntag vor Gericht

Amazon und Verdi streiten über Arbeitszeit

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Rechtfertigt das Weihnachtsgeschäft Sonntagsarbeit bei Amazon? Mit dieser Frage befasst sich diesen Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Konkret geht es in der Verhandlung um Ausnahmegenehmigungen, die die deutsche Tochterfirma des US-Konzerns 2015 bei der Bezirksregierung in Düsseldorf für ihren Standort Rheinberg gestellt hatte. Dort betreibt Amazon eines von deutschlandweit 15 Logistikzentren. An zwei Sonntagen im Dezember wollte das Unternehmen dort jeweils 800 Beschäftigte einsetzen, um das auftragsstarke Vorweihnachtsgeschäft abwickeln zu können. Ansonsten, so die Argumentation des Konzerns, drohe ein unverhältnismäßiger Schaden, da man die Liefertermine nicht einhalten könne. Auch an anderen Standorten hatte Amazon entsprechende Anträge gestellt.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi klagte gegen die Erteilung der Erlaubnis durch die Bezirksregierung Düsseldorf. Das dortige Verwaltungsgericht gab der Klage 2018 statt. Das Gericht sah es als nicht erwiesen an, dass Amazon ein Schaden in einem Ausmaß gedroht habe, der eine Aufhebung der grundgesetzlich geschützten Sonntagsruhe rechtfertige. Es sei zweifelhaft, ob das Weihnachtsgeschäft eine vom Normalzustand abweichende Sondersituation darstelle. Zudem habe der Konzern den Lieferdruck selbst herbeigeführt, etwa durch sein Lieferversprechen am Bestelltag auch für das arbeitsintensive Weihnachtsgeschäft.

Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster bestätigte dieses Urteil 2019 in zweiter Instanz und hob noch einmal das Verstärken der Lieferengpässe durch das Geschäftsmodell des Onlineriesen hervor. »Besondere Verhältnisse«, die eine Ausnahme von der Sonntagsruhe nach dem Arbeitszeitgesetz ermöglicht hätten, seien nur dann vorhanden, wenn sie von außen auf ein Unternehmen einwirkten. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung ließ das OVG allerdings die Revision zu, von der sowohl das Land Nordrhein-Westfalen als auch Amazon Gebrauch machten.

Das deutsche Grundgesetz gelte für alle, auch für einen US-Konzern wie Amazon, sagte Orhan Akman, Leiter der Bundesfachgruppe Einzel- und Versandhandel der Gewerkschaft Verdi im Vorfeld der Verhandlung. »Es kann nicht sein, dass der Versandhändler seinen Kunden Lieferversprechen macht, die er nur erfüllen kann, wenn er die Beschäftigten zur Arbeit am Sonntag zwingt.« Amazon sei im Gegensatz zu Feuerwehr oder Krankenhäusern am Sonntag nicht unverzichtbar. »Niemand geht zugrunde, wenn das Paket erst am Dienstag angeliefert wird. Im Interesse des gesellschaftlichen Zusammenhalts fordern wir, die Sonntagsarbeit generell einzuschränken und nicht auszuweiten«, erklärte Gewerkschafter Akman weiter.

Die Sonntagsarbeit ist bei Weitem nicht der einzige Fall, bei dem Gewerkschafter*innen und Konzern über die dortigen Arbeitsbedingungen aneinandergerieten. Seit 2013 versucht Verdi durch Arbeitskämpfe, den Onlinehändler zum Unterzeichnen des Tarifvertrages für den Einzel- und Versandhandel zu bewegen. Insbesondere im lukrativen Weihnachtsgeschäft, aber auch bei Aktionstagen wie dem »Black Friday«, sieht sich Amazon daher seit Jahren mit Streiks konfrontiert. Zuletzt legten im vergangenen Dezember Beschäftigte an sechs Standorten die Arbeit nieder. Eine Anerkennung des Handelstarifs lehnt Amazon kategorisch ab. Das Unternehmen betrachtet sich nicht als Versandhändler, obwohl es seit 2020 Mitglied im Einzelhandelsverband HDE ist. Stattdessen orientiert sich der Konzern an den niedrigeren Löhnen der Logistikbranche.

Neben einer Eingliederung Amazons in die Tariflandschaft ist die Kritik an mangelndem Arbeitsschutz beim Branchenprimus ein Dauerthema. Um diesen zu verbessern, soll nach Ansicht der Gewerkschaft ein Tarifvertrag »Gute und gesunde Arbeit« abgeschlossen werden. Dass dies notwendig sein könnte, haben auch die Entwicklungen des letzten Jahres gezeigt. Immer wieder war es zu Ausbrüchen von Corona-Infektionen an verschiedenen Standorten des Internethändlers gekommen. Die Gewerkschaft ging Ende letzten Jahres von insgesamt mehreren Hundert infizierten Amazon-Mitarbeiter*innen aus.

Die Auseinandersetzung um die Sonntagsarbeit ist auch nicht der einzige Streit, den Verdi und Amazon vor Gericht ausfechten. So störte den Onlinehändler zum Beispiel, dass die Gewerkschaft vor den Werkstoren seiner Standorte demonstrierte. Er ging deswegen vor Gericht und argumentierte, dass er dadurch in seinem Hausrecht verletzt werde. Letztlich scheiterte Amazon damit in allen Instanzen. Im Sommer vergangenen Jahres schmetterte das Bundesverfassungsgericht zwei Klagen ab. Amazon werde durch die Streiks nicht in den Grundrechten auf Eigentum und unternehmerische Handlungsfreiheit verletzt, teilten die obersten Richter*innen aus Karlsruhe mit und bestätigte damit Urteile des Bundesarbeitsgerichts von 2018.

Währenddessen profitierte das Unternehmen weiter von den pandemiebedingten Schließungen im stationären Einzelhandel und erzielte Rekordumsätze. Für das vierte Quartal 2020 erwartet Amazon weltweite Erlöse von bis zu 121 Milliarden US-Dollar. Verglichen mit dem Vorjahr wäre das ein Anstieg um 38 Prozent.

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