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Alles für den Schah
Aus dem katastrophal verlaufenen BRD-Besuch von Mohammad Reza Pahlavi 1967 hat Leonhard F. Seidl einen Schelmenroman in Mittelfranken entwickelt
Im Jahr 1967 besuchte Mohammad Reza Pahlavi, der damalige Schah von Persien, gemeinsam mit seiner dritten Frau Farah Diba Westdeutschland und Westberlin, wo dann der protestierende Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten umgebracht wurde. Neben Köln und München wollte der Schah auch Rothenburg ob der Tauber in Mittelfranken sehen. Seine Rede auf dem dortigen Marktplatz bildet den Auftakt für Leonhard Seidls neue bissige Gesellschaftssatire »Der falsche Schah«.
Diese Rede, so die Erzählung, wurde nicht etwa vom Schah selbst gehalten, sondern vom Rothenburger Bartholomäus König. Er spricht einem strengem Blick in einer Fantasiesprache und bringt den offiziellen Farsi-Dolmetscher in Verlegenheit. Bartholomäus verbindet nicht nur das gemeinsame Geburtsdatum mit dem Schah, sondern auch eine große optische Ähnlichkeit. Hinzu kommt die Begeisterung seiner Mutter für das persische Königshaus, die Bartholomäus zwangsweise über den neuesten Klatsch aus der Boulevardpresse informiert.
Bartholomäus treibt gerne mal einen Schabernack. Auf seine Rolle als falscher Schah hat er sich sehr gut vorbereitet. Dennoch wird er diskret von zwei Mitarbeitern des persischen Geheimdienstes abgeführt, die sich aber nicht ganz sicher sein können, vielleicht doch den wirklichen Herrscher Persiens verhaftet zu haben. Sie schleppen ihn in eine mittelalterliche Folterkammer. Dort bleibt Bartholomäus weiterhin in seiner Rolle als Schah und provoziert den erfahrenen Folterknecht Reza und seinen etwas unsicheren Lehrling Kenan auf Deutsch, Englisch und Farsi. Es kommt zu wechselnden Machtdemonstrationen zwischen Reza und Bartholomäus, die von kreativen Beleidigungen begleitet werden, aus dem Hilfsfolterer Kenan eine Schachfigur werden lassen.
Parallel zu diesem bizarren Setting wird Königs Lebensgeschichte und damit auch seine Motivation für dieses gefährliche Rollenspiel erzählt - angefangen bei seiner zwanghaft ordnungsliebenden Mutter und seinem kriegsbegeisterten und königstreuen Vater. Seine Geburt ist sehr symbolträchtig. Als die Familie dann 1925 nach Rothenburg zieht, fühlt sich der sechsjährige Bartholomäus sofort wohl, »weil die ganze Stadt eine mittelalterliche Filmkulisse« ist, wie Seidl schreibt. Seine Schulzeit ist geprägt von Streichen, die Ausdruck seines Freiheitswillens sind und bei denen er die Kunst der Verstellung einübt. Als er sich dann in seine jüdische Mitschülerin Anna verliebt, die seine große Liebe wird, muss er mit ihr gemeinsam die die Verwandlung und Verstellung weiter perfektionieren, um den Nazis zu entkommen.
Nach dem Krieg eröffnet seine Mutter ein Friseurgeschäft und nennt es »Salon Soraya«, benannt nach der zweiten persisch-deutschen Ehefrau von Reza Pahlavi, mit der er in den 50er Jahren verheiratet war. Später übernimmt Bartholomäus König die Rolle seines Vaters als Schuldirektor, die ihm überhaupt nicht liegt. Lieber erfindet er Geschichten und perfektioniert seine Farsi-Kenntnisse. Seine Abneigung gegen Ordnung und Gehorsam ist durchgehend zu spüren, vom Kleinkindalter bis zum Erwachsensein. Er kann sie nur durch subversives Verhalten und schauspielerisches Talent mit der Realität vereinbaren. Als auch seine Tochter Aurelia eine rebellische Grundhaltung zu entwickeln beginnt, freut er sich sehr. Und noch mehr, als sie sich mit der damals überaus populären wie scharfsichtigen Journalistin Ulrike Meinhof beschäftigt und sich zum Protest gegen den anstehenden Besuch des Schahs wappnet, während die Stadt Rothenburg ihre Sicherheitsvorkehrungen trifft. Leider verschwindet Aurelia, wie auch ihre Mutter Anna in Seidls Erzählung hinter der Ausleuchtung der Biografie ihres Vaters.
Neben Bartholomäus wird der Roman von einer weiteren Schelmenfigur geprägt. Ein Erzähler sorgt für Klamauk zwischen den Zeilen. Nicht selten mischen sich die Scherze mit historischen und gesellschaftlichen Hintergrundinformationen und Querverweisen. Vielerlei Wortwitz und Situationskomik wechseln sich ab, auch wenn die politische Groteske alles andere als ein fröhliches Bild zeichnet. So berichtet der Erzähler etwa von den Schulstreichen des freiheitsliebenden Bartholomäus, der auf Lehrer beratungsresistent wirkt, und flicht quasi nebenbei eine Bemerkung über die »besonders erinnerungsresistenten« Deutschen ein.
Deutlicher als in Seidls früheren Romanen kommen in dieser neuen Schelmengeschichte mundartliche Elemente aus dem Bayrischen und Fränkischen zum Tragen. Sie geben dem Erzähler einen besonderen Sprachduktus. Er duzt die Lesenden, denn: »Was wir jetzt schon alles zusammen erlebt haben und noch erleben werden, da kann man sich eigentlich gar nicht mehr siezen, oder?« Auch bricht Seidl seine weitgehend chronologische Erzählstruktur durch Vorgriffe auf die spätere Handlung, sowie auch Verweise auf Zeiten, die weit außerhalb des Romangeschehens liegen, wie etwa den G 8-Gipfel, der 2017 in Hamburg stattfand. An anderer Stelle erzählt er von einem Esel, der in Persien erschossen wurde, weil er den Fehler machte, das falsche Stück Land zu betreten.
Trotz dieser mäandernden Erzählweise ist der Roman politisch angenehm klar. Er bezieht Stellung zu der Nähe des damaligen Persien zum sogenannten Dritten Reich und zu Menschenrechtsverletzungen im heutigen Iran, legt den Fokus auf politische Wendehälse im Deutschland des 20. Jahrhunderts und geht auf Geschlechterverhältnisse ein, so dass der Bezug zur Gegenwart nicht vergessen wird.
Leonhard F. Seidl: Der falsche Schah. Volk Verlag München, 191 S., br., 13,90 €.
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